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Es sei schließlich nur eine „Ein-Punkt-Partei“, außerdem hätten Ronald Schill und seine Mannen „keinerlei politische Erfahrung“. Daher werde der Laden schon bald wieder auseinanderfliegen oder aber die „Rechtsstaatliche Offensive“ spätestens bei der nächsten Wahl vom Wähler selbst beerdigt.
Mittels Schnellschuß-Analysen versuchen die Verlierer von Hamburg dieser Tage, ihre strapazierten Nerven zu beruhigen. Was jedoch auf den ersten Blick nur allzu schlüssig erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als Pfeifen im Walde. Ein-Punkt-Partei? Keine Politik-Erfahrung? Insbesondere Grünen-Politiker, die das monieren, sollten die Schöpfungsgeschichte ihrer eigenen Partei studieren. Nichts anderes hatten die Etablierten der jungen Truppe vor 20 Jahren um die Ohren gehauen. Und siehe da - es gibt sie immer noch.
Um die Überlebenschancen der Schill-Partei zu beurteilen, lohnt sich ein Blick auf die Herkunft ihrer Wähler: Von den rund 160.000 Schill-Anhängern stammen je etwa 35.000 von CDU und SPD. 20.000 hatten den Demoskopen zufolge vor vier Jahren DVU gewählt. Den dicksten Brocken, satte 40.000, hat Schill aus dem bis zu dieser Wahl stets angewachsenen Reservoir der Nichtwähler gezogen.
War dies nun ein Hamburger Ausrutscher, oder gerät bundesweit die Parteienlandschaft in Bewegung? Seit Jahren schon plagt einen beträchtlichen Teil der SPD- und Unions-Klientel die zermürbende Suche nach dem „kleineren Übel“. Die Begeisterung, welche beide Großparteien noch in den 70er Jahren bei Millionen Wahlbürgern auszulösen vermochten, ist auf breiter Front verflogen. Sprüche wie „Augen zu - CDU“ signalisieren die Müdigkeit, ja den Widerwillen, sein Kreuz denn doch wieder an gewohnter Stelle zu machen.
Andere wandern ganz ab und wählen schlicht „Protest“, verteilten bis dato allerdings selten mehr als politisch unwirksame „Denkzettel“.
Eine kritisch werdende Masse von Wahlberechtigten geht schließlich gar nicht mehr zu den Urnen. Nicht etwa aus Desinteresse, sondern aus Frustration. Diesen Trend hat Schill gestoppt. Endlich stieg die Wahlbeteiligung wieder auf etwas über 70 Prozent. Und nicht nur die Zahlen haben sich zum Besseren gewendet: Wer sich seit dem politischen Auftreten von Richter Schill in der Hansestadt umhörte, konnte allerorten ein neu erwachtes, ja feuriges Interesse für die Landespolitik erleben. 1997 noch hatte das Thema lediglich Achselzucken, bestenfalls fades Genöle ausgelöst.
Parteigründer Schill hat bereits durchblicken lassen, daß er nun bundesweit antreten will. Nach Blitzumfragen kann er auch hier mit zweistelligen Ergebnissen rechnen. Das mag kaum überraschen - gerade ein Blick über die deutschen Grenzen sollte den Optimismus des Amtsrichters beflügeln.
Seit den 70er Jahren ist in beinahe ganz (West-)Europa das bürgerliche Lager in Bewegung geraten, haben sich neue Parteien einen festen Platz neben Christdemokraten und Altliberalen erkämpft. Nur in Deutschland blieb die herkömmlichen, traditionellen Milieus entstammende Parteienstruktur wie festgefroren.
Freilich nur an der Oberfläche: Seit Beginn der 80er Jahre rumort es auch hierzulande, etliche Kleinparteien und die Zunahme politisch bewußter Nichtwähler zeigen an, daß das alte Parteien- gefüge in die deutsche Gegenwart nicht mehr paßt. Versuche, das Vakuum zu füllen, verliefen indes im Sande - bis zu Schills gewaltigem Triumph. Womöglich hat sich Deutschland von Hamburg aus auf den Weg in die europäische Normalität begeben.
Hamburgs CDU-Chef Ole v. Beust hat die Unausweichlichkeit dieses Trends offenbar erkannt. Sein Lohn: Trotz der Verluste der Union ist das bürgerliche Lager an der Alster auf einen Schlag um rund 16 Prozentpunkte stärker geworden. Daß die Linke da beinahe hysterisch reagiert - wen wundert’s. Elisa Wachtner
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