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Schulsterben im südlichen Ostdeutschland

 
     
 
Fast 130 Schulen im südlichen Ostdeutschland werden voraussichtlich in nächster Zeit geschlossen oder zusammengelegt werden. Im Zuge einer landesweiten Schulreform müssen immer mehr Gemeinden kleine und kleinste Schulen aus finanziellen Gründen zumachen. Manche von ihnen werden von weniger als sech- zig Schülern besucht. Für solche Einrichtungen wird es künftig keine staatlichen Zuschüsse mehr geben; sie werden vom Erziehungsministerium auf eine "Schwarze Liste" gesetzt. Dennoch bleibt die eigentliche Entscheidung, eine Schule zu schließen, Gemeindesache.

Inzwischen haben sich die Gemeinden entschlossen, 70 Schulen zu schließen. Einige Beispiele: Löbau mit sieben Schulen, Prostken mit fünf; allein im Gebiet Allenstein sind vier Gymnasien
vom Aus bedroht. Schlecht dran ist auch die Samtgemeinde Guttstadt, wo vier von elf bestehenden Lehranstalten betroffen sind. Dies hat dort in der zu Guttstadt gehörenden Gemeinde Glottau zu einer Protestbewegung ungeahnten Ausmaßes geführt. Eine aufgebrachte Elterndelegation aus Glottau legte beim Kuratorium in Allenstein seine Einwände gegen die Schließung vor. Grund ist unter anderem, daß die Kinder dort einen erweiterten Deutschunterricht genossen, der bei einer Schließung der Schule wieder wegfallen würde. Gerade erst waren für die Glottauer Schüler zwei Computer für den Sprachunterricht angeschafft worden. In einer neuen zusammengelegten Schule wäre der Deutschunterricht nicht mehr gewährleistet.

Überall in den betroffenen Gemeinden des südlichen Ostdeutschland schließen sich mittlerweile Eltern und Lehrer zu Protestgruppen zusammen, werden Schulbesetzungen organisiert, ja sogar Hungerstreiks. Die Argumente gehen einhellig in die Richtung, daß finanzielle Überlegungen nicht das allein Ausschlaggebende sein dürften. So wird argumentiert, daß im Falle der Schließung einer kleineren Schule jedesmal etwa 20 Arbeitsplätze verlorengehen würden, außerdem auch die Vorschule, die Müttern die Mitarbeit gestattet; die Schule als ein kultureller Dorfmittelpunkt sei ohnehin unersetzlich.

Nachdem die Glottauer Eltern keinen Erfolg hatten, beantragten sie beim nationalen Wahlbüro in Allenstein die gemeindeweite Durchführung eines Referendums zwecks Abwahl des örtlichen Rates. Die nötigen Unterschriften wurden dem Antrag gleich beigefügt. Inzwischen macht das Glottauer Beispiel Schule: In etlichen weiteren Gemeinden wurden ebenfalls entsprechende Referenden beantragt. Manchen Gemeinderat machte diese neue Entwicklung wieder gesprächsbereit. Einige Gemeindevertretungen nahmen unter dem Druck der Öffentlichkeit ihre Entscheidung zurück, auch wenn dadurch die Probleme bestenfalls um ein Jahr vertagt wurden.

Auch der Protest der Glottauer Eltern war so von Erfolg gekrönt; der Rat nahm die Entscheidung der Schulschließung wieder zurück: die Kinder können dort weiterhin Deutsch lernen.

Insgesamt wird die Situation der Deutschen in der Heimat durch die Bildungsreform aber schwieriger. Bei der knappen Finanzlage und dem Sparzwang der Gemeinden rückt die Erfüllung der Forderung sämtlicher Deutscher Vereine nach erweitertem Deutschunterricht für alle Gemeinden mit deutschem Bevölkerungsanteil in weite Ferne.

"Die Verhältnisse werden sich dem Westen Europas angleichen: größere Klassen, weniger Lehrer, große Schuleinheiten mit all ihren sozialen Problemen. Erste Disziplinlosigkeiten sind schon da. Gehorchen will niemand mehr", klagt Artur Lipka, Junglehrer aus Oste-rode. Vor einem Jahr hatte man ihm noch zu einem befristeten Vertrag geraten, damit er nach Abschluß seines Zweitstudiums nicht gebunden sei, meint seine Mutter Ingrid Lipka, Schatzmeisterin des Deutschen Vereins "Tannen" in Osterode. Mittlerweile ist auch sein Arbeitsplatz nicht mehr sicher. BJD

 
     
     
 
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