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Schönes und Zwiespältiges aus Schlesien

 
     
 
Der Tag im späten August war so warm, daß sich vor dem westlichen Horizont Brandungen blauen Lichtes erhoben, in denen die Ferne ertrank und zur Nähe wurde. Letzte Hitzewolken des Nachmittags standen noch am Himmel, in weiße Kathedralen getürmt, von denen sich Weihen herabfallen ließen - ihre Schreie flogen auch noch übers Land, als die Schatten des Augustabends schon lang waren. Dazu der Katzenschrei der Bussarde, die über den Wäldern kreisten, Wind über den Stoppelfeldern, Raubvogelruf und die Stimmen von Bauern, die mit ihren Erntewagen über die Linie der Hügel zogen - Abend eines Erntetages im zum erstenmal gesehenen Lubowitz von 1973. Hierhin also ist Eichendorff lebenslang
zurückgewandert, in den Träumen des Dichters und in den nächtlichen. Die Ruine des Schlosses - 1767 von der Großmutter des Dichters erbaut - war unter Schuttbergen und wucherndem Holunder halb verschwunden, in den Fensterhöhlen Zwergbirken und Huflattich, vereinzelt spätblühende Wildblumen. Der alte Friedhof völlig verwildert und kaum zugänglich, in seiner Mitte hatte die 1905 abgebrochene Schrotholzkirche gestanden, in der die Eltern des Dichters begraben waren. Im dichten Gras stieß der Fuß an eine zerbrochene Grabplatte, es war die der 1797 mit fünf Jahren gestorbenen Schwester des Dichters, Henriette. Nur die Hainbuchenhecke mit dem Weg zum oft erwähnten "Hasengarten" des Dichters schien unverändert. Hain- buchen wachsen so langsam, daß für sie 200 Jahre keine lange Zeit sind, im Abendlicht glichen sie den Netzen eines gotischen Kreuzganges. Die Steilflanken des Hügelsporns, auf dem Lubowitz steht, waren mit Wald und dichtem Unterholz bedeckt, nur in einzelnen Ausblicken wurde in der tiefliegenden Ebene die Oder im sinkenden Licht sichtbar.

Eichendorff hat zwar die Vorrangstellung des Adels nie in Frage gestellt, aber deshalb war er nicht auch blind für dessen Schwächen, seine Werteverluste und vor allem für die Folgen der (selbst)mörderischen adeligen Güterspekulation in Schlesien, die den übrigen preußischen Ostprovinzen unbekannt waren. Seine Bilder für diesen Verfall waren verwilderte Parks mit Gartenhäusern, in denen verlassene Flötenuhren spielen, Springbrunnen, in denen die Wasserkünste vertrocknet sind, und Schlösser, die donnernd in den Gluten großer Brände versinken und dann vom Wald wieder erobert werden, der durch leere Fensterhöhlen klettert und zusammen mit wildem Efeu alles gnädig überwuchert. Die Bilder hatten sich erfüllt - so sah Lubowitz aus - 150 Jahre, nachdem es die Eichendorffs verlassen hatten. Dem Dichter gehörte es wieder. Das war 1973.

30 Jahre später ist es die "Deutsch-Polnische Literaturgedenkstätte Eichendorff Lubowitz", aus der Regierungsvereinbarung zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem ersten nichtkommunistischen Regierungschef Polens und Mittelosteuropas, Tadeusz Mazowiecki, 1989 entstanden. Der Schutt ist beiseite geräumt, die Schloßruine ist aus der Wildnis zurückgekehrt und steht wie in die Zeitlosigkeit versetzt im laubgrünen dämmernden Schatten sommerlichen Lichtes, als hätte der Dichter es selber so bestimmt. Wo die Eichendorffs ihre "Kaiserkronen und Phäonien rot" gepflanzt hatten, blühen auch jetzt wieder Blumenrabatten. Der Weg zum Steilhang und der Blick zur Oder und zum Odergebirge am Horizont sind frei, es könnte der Abhang sein, an dem das Reh gegrast und der Wald verwirrend aus der Tiefe gerauscht hat. Die sehr mühselige Arbeit der Dorfbewohner, die sich im Lubowitzer Eichendorff-Verein zusammengetan und das geschaffen haben, hat sich in Schönheit verwandelt. Im Pfarrhaus gibt es eine "Eichendorff-Stube", nicht ohne Rivalität zu der Gedenkstätte im endlich und gefällig renovierten alten Dorfgasthaus. Nach endlosem juristischen Gezerre bis zum obersten polnischen Registergericht in Warschau gibt es auch eine "Eichendorff-Stiftung" mit dem Auftrag der Pflege seines Andenkens und sogar mit wissenschaftlichem. Der einst so verwahrloste alte Friedhof ist neu gestaltet, auch mit einigen bizarren Elementen wie dem alten Totenwagen der Pfarrgemeinde, der sich irgendwo gefunden hat und jetzt in Wind und Wetter verfällt, vor denen er eigentlich geschützt werden müßte, denn auch er wäre als Überlieferungsgut schützenswert, oder den ausgedienten Glocken aus der - unschönen - Backsteinkirche, die seit 100 Jahren Lubowitz überragt. Was diese Präsentationen mit Eichendorff zu tun haben, erschließt sich ebensowenig wie der Sinn eines Denkmals, das bei ansprechender bildhauerischer Gestaltung deutlich proportionslos aufgestellt ist. Eigentlich ist es überflüssig, denn ganz Lubowitz ist ja das Eichendorff-Denkmal schlechthin. Es wurde von einer privaten rheinischen Spenderin bezahlt, nachdem die längst bereitgestellten Bundesmittel dafür unauffindbar geworden und geblieben sind.

Die Baulichkeiten für die Begegnungsstätte sind in jeder Hinsicht gelungen, aber inhaltlich ist im Grunde nichts weitergegangen. Den in der achtbarsten Weise einsatzbereiten Einheimischen - nicht nur aus Lubowitz - fehlt immer noch eine verwert- und umsetzbare germanistische und polonistische Beratung, an den Wegen stehen zweisprachige Tafeln mit besonders bekannten Gedichten und Texten von Eichendorff. Sie sind mit all ihren deutschen und polnischen Fehlern immer noch die von 1992. Kontexte fehlen in allen Richtungen. Für Besucher wird eigentlich nur deutlich, daß der Dichter an diesem Ort "O Täler weit, o Höhen" geschrieben hat, das dann auch gesungen wird. Besonders bedauerlich ist und wird wohl auch bleiben, daß nicht eine Chance genutzt wird, den sozial- und agrargeschichtlichen Lebenshintergrund der Eichendorffs, ihre Einbindung in die kulturellen Welten der oberschlesischen Spielart der gesamteuropäischen Adelsgenossenschaft, deren Lebensgrundlagen im wesentlichen gleich waren, die Beheimatung in der deutschen und polnischen Sprache und die Ähnlichkeit ihrer Lebensformen mit denen des alten polnischen und böhmischen mittleren Landadels wahrnehmbar zu machen. Auch ist nicht zuviel gesagt, daß es schmerzlich ist, wahrzunehmen, wie offenbar nicht einmal daran gedacht wurde, die Dorfbewohner der Gegenwart zurückzugeben und sie mit ihren Namen, ihrer Arbeit und ihrem Alltag zum Teil der Eichendorff-Gedenkstätte zu machen, wie sie einst Teil der "familia" waren. Auch der quälend langsame Niedergang, vor allem vom Vater des Dichters verschuldet ("ich habe euch alle zu reichen Leuten machen wollen, nun hat uns Gott gestraft") wurde nicht ins Lubowitz der Gegenwart zurückgeholt. Am fehlenden Forschungsstand liegt es nicht, er ist gegeben. Die deutsche Germanistik und Mittelosteuropa-Historiographie hat genügend Zeit (und Geld!) gehabt, um diese Informationsstrukturen aufzubauen, geschehen ist unverkennbar so gut wie nichts. Da sind wohl die allein durch private Initiative entstandene Wiechert-Gedenkstätte in Kleinort und die für Thomas Mann in Nidden weit schlüssiger.

Kaum 40 Kilometer südlich von Lubowitz findet sich ein Gegenbild, dazwischen die polnisch-tschechische Grenze. Bei Troppau (tschechisch: Opava) steht in der Kleinstadt Kravare (Deutsch Krawarn) das Stammschloß der Eichendorffs, von den Urgroßeltern des Dichters von 1721 bis 1728 erbaut. Zu Recht galt es einmal als das schönste Adelsschloß Oberschlesiens aus dem Hochbarock. Die Eichendorffs haben es bis 1782 besessen, Schloßherrinnen waren nach der Polin Veronika Maria Sendivoj drei Tschechinnen und wieder eine Polin. Mit der Mutter des Dichters ist nach fünf Generationen die erste Deutsche in die Familie gekommen. Durch Brandlegung 1937 teilweise zur Ruine geworden, hat es die damals noch tschechoslowakische Denkmalpflege in 15 Jahren so restauriert, wie es die Eichendorffs gebaut hatten. Seit 1992 ist es Eigentum und Kulturzentrum der Stadtgemeinde Krawarn. Auf die Eichendorff-Traditionen und die Erinnerung an sie legen wie vorher die Denkmalpflege der Stadt und die Bevölkerung großen Wert.

Erstaunlich ist das nicht - hier war ein Entstehungsort der vor 1914 größten Urkatastrophe der deutschen und auch der böhmischen Geschichte. Der letzte Besitzer vor den Eichendorffs war Kaspar Matzak von Ottenburg, in Nordmähren einer der Anführer des böhmischen Adelsaufstandes, der zu den 27 Hingerichteten vom 21. Juni 1621 in Prag gehörte. Der mehr als 1.000 Hektar umfassende Besitz wurde von den kaiserlichen Behörden eingezogen und in fünfjährigen Ver- handlungen dem polnischen Alchimisten Sendivoy übertragen. Seine Erbtochter Veronika Maria heiratete 1626 den wallensteinschen Obristen Jakob von Eichendorff. Damit waren die Eichendorffs, ursprünglich in Nie- derbayern, dann in der Mark ansässig, Schlesier. 1656 wurde er Landeshauptmann im liechtensteinischen Troppau-Jägerndorf und kaiserlicher Generalquartiermeister für Schlesien, zwei seiner Nachfolger ebenso. Nach den Magnaten gehörten die Eichendorffs einmal zu den ersten Familien Oberschlesiens. Die Gestalter des Kulturzentrums im Eichendorff-Schloß von heute haben sich alle Mühe gegeben, diesen größeren historischen Kontext wahrnehmbar zu machen. In den Galerien um den Atriumhof des Schlosses werden die Eichendorffs umfassend präsentiert, aber auch hier fehlt der familien-, besitz- und agrargeschichtliche Kontext, fehlt der alltagsgeschichtliche Bezug zum - oft düsteren - Umfeld und zur damaligen Bevölkerung ähnlich wie in Lubowitz.

Das Eichendorff-Schloß hatte einmal mit 50 Hektar den größten Schloßpark des südlichen Oberschlesiens, mit Baumbeständen, die schon zur Zeit der Eichendorffs 300 bis 500 Jahre alt waren. Tausende von Nachtigallen sollen in den Jasmin- und Schlehengehegen die Sommernächte hindurch geschlagen haben. Vor allem im Eichendorff-Roman "Ahnung und Gegenwart" klingt ihr Schluchzen und Schlagen nach. Den Landschaftsplanern kann man bescheinigen, daß sie eine vorbildliche, fast diskrete Einbindung eines Golfplatzes in den Westteil des Eichendorff-Parkes geschaffen haben. Hier wurde mehr Rücksicht auf das Herkommen von Park und Schloß als auf etwaige Snobs genommen.

Obwohl auch die Präsentationen im Stammschloß immer noch vor allem Defizite zeigen, die Gedenkstätte Eichendorff in Krawarn ist Teil eines vitalen, vielgestaltigen Gemeinschaftslebens, die in Lubowitz wirkt zwar bemüht, aber aufgesetzt, ohne eigene Sprache.

Krawarn: Das Stammschloß der Eichendorffs existiert noch in alter Pracht und Herrlichkeit Foto: ARR

Eichendorff-Büste: Sie erinnert in Lubowitz an den Schlesier Foto: dfk

Lubowitz: Das Schloß (rechts) ist nur noch Ruine. Das Eichendorff-Zentrum (links) bemüht sich um die Pflege des Erbes Fotos (2): dfk (links), Xlibris (rechts)
 
     
     
 
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