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Sichtungen Von Peter Fischer

 
     
 
Welche Partei auch immer in der nächsten Woche den Wahlsieg zu erringen vermag, die Gewinner müssen ihre Fahnen in Bälde in Berlin entrollen, was bedeutet, auch Abschied von der Bonner Republik zu nehmen. Dabei fällt es gewiß leichter eine Definition oder wenigstens einer Wesensbeschreibung für die Bonner Republik zu finden, als für die erst im Werden begriffene Berliner. Der Wochenzeitung "Die Zeit" ist jenes Werden verdienstvollerweise mehrere Folgen wert, was nun keineswegs bedeutet, daß sie enthusiastisch den Abschied von Bonn feiert.

Erhellend wirkt da schon ein kleinerer Beitrag mit der Unterzeile: "Wer ein neues Berliner Schloß baut, verrät die Gegenwart." Eines ist klar, wer nun von Berlin aus regiert, tut dies von preußischem
Boden aus. Dort stehen sich gegenüber die Gefolgschaft mit Westbindung, die sich nach Teilung, Vertreibung und Fremdverwaltung seit 1945 um den von Berlin nach Bonn verlagerten Mittelpunkt Bonn schart, und das durch Gebietsverluste, Fremdherrschaft und SED-Regime geschwächte preußisch-etatistische Erbe.

Jenes etatistische Erbe aber, das naturgemäß rasch Energien für das eigene Vorankommen in

Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung bündelt und rasche Wirkung zeigen würde und wohl auch deswegen heftigsten Widerstand konkurrierender Mächte findet, wird kaschiert mit sattsam bekannten Klischees aus der deutschen Nationalgeschichte. Natürlich schafft ein bloßer Etatismus, der nicht im Bunde mit befördernden Ideen ist, wie sie aus dem Geist gewollter Gemeinschaft entspringen, wenig, wie dies die verdient untergegangene DDR anzeigt.

Neben diesem antipreußischem Reflex bewegt besorgte Gemüter weiterhin die Möglichkeit der Gegenseite, die Zeit vor 1989 bis 1914 "historisieren" zu können, was bei dem flotten Fortgang gesicherter historischer Erkenntnisse, wie sie durch die Öffnung sowjetischer Archive möglich wird, wahrscheinlich wird. Sofort kommt die Befürchtung hoch, daß "die Zäsur von 1945 verblassen" muß, weil die Zeitgeschichte das "Jahr 1989 als den eigentlichen Bruch feierte" und nicht die "Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern die ,Erlösung‘ Deutschlands aus der ,Doppelhegemonie‘ von USA und Sowjetunion dann "den Ankerpunkt der Zukunft bildet", wie Thomas Assheuer in der "Zeit" schreibt.

Und er wittert mit einigem Recht, daß der so mühsam errichtete westliche Maibaum, um den sich dann auch wohl die Berliner Republik scharen soll, wenn er schreibt, "Extremisten der Mitte"(sic!) treiben das Zahlenbeispiel noch weiter: sie isolieren gleichsam die Jahrzehnte von 1914 bis 1989, um sie zum großen "Ausnahmezustand" zusammenzuziehen, um die "Bundesrepublik verächtlich zu machen" – als Prothese des amerikanischen Westens, als undeutsches Interim ohne Macht und Metaphysik. Jeder Lehrplan eine Umerziehung, jede Reise Genschers ein Zittern vor der Macht. Nun, nach dem Untergang Moskaus und dem Ende des totalitären Zeitalters kann Deutschland in nationaler Unschuld an die 1914 abgebrochene Vorgeschichte anknüpfen: machtpolitisch an 1871, ideengeschichtlich an die Epochenschwelle von 1800.

Natürlich behaupten dies nicht einmal die "Extremisten der Mitte", doch selbstverständlich bleibt nach dem Ende des furchtbaren "Dreißigjährigen Kriegs", der Deutschland um Land, Leute und Rang in Wissenschaft, Kunst und Technik brachte, die Aufgabe des Neubauens.

Dazu gehört selbstverständlich auch eine machtpolitische Positionierung, wie sie jedem Land selbstverständlich ist, und eine ideengeschichtliche, die, wie billig, an 1800, an den Befreiungskriegen und ihren Reformen anknüpft. Es hieße sich doch betrügen, wollte man ableugnen, daß die "Doppelhegemonie USA-Sowjetunion" nicht tiefe Seelenspuren in unserem Nationalcharakter hinterlassen hat. Weshalb auch für unsere unterbrochene Nationalgeschichte gelten sollte, was in bewährter Weise schon der Apostel Paulus empfahl: "Prüfet alles, und das Beste behaltet."

 

 

 
     
     
 
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