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Polen verfolgt den Regierungswechsel in Bonn nicht ohne Sorge. Offiziell spricht man in Warschau zwar von Kontinuität, und der konservative Ministerpräsident Jerzy Buzek rechnet "mit genauso guten Beziehungen wie bisher". Doch die Polen haben in Kohl ihren Anwalt gesehen. Der katholische Pfälzer habe das christliche Haus Europa bauen wollen, zu dem die Polen unbedingt dazu gehören würden. Dabei sei er bereit gewesen, alltägliche Probleme wie beispielsweise Schwarzarbeit nicht zu dramatisieren. Gerhard Schröder wird hier viel pragmatischer an die Interessen der deutschen Arbeiter denken, fürchtet man in Warschau.
Da verwundert auch folgendes Ergebnis nicht: Wenn die Polen über den deutschen Kanzler hätten abstimmen dürfen, dann wäre Kohl mit 54 Prozent wiedergewählt worden, Schröder hätte nur 35 Prozent erhalten. Dies ergab eine Abstimmung unter den polnischen Teilnehmern einer Testwahl in der deutschen Botschaft in Warschau. Diese Befragung erhebt zwar keinen Anspruch auf Repräsentanz, sie gibt aber die Stimmung der führenden Köpfe in Politik, Medien und Wirtschaft zutreffend wieder. Helmut Kohl ist für die Polen geradezu das Symbol der Aussöhnung. Unvergessen ist in Polen das Bild von der Umarmung Kohls mit dem ersten Reformpremier Tadeusz Mazowiecki bei der Versöhnungsmesse in Kreisau.
Der ehemalige polnische Botschafter in Bonn und jetzige Leiter des Warschauer Zentrums für Internationale Politik, Janusz Reiter, sagte mit Blick auf den Altersunterschied von Kohl und Schröder: "Mit Kohl tritt der letzte Vertreter einer Generation ab, die den Krieg noch bewußt erlebt hat. Wird jemand ohne diese Lebenserfahrung mit gleicher Überzeugung und Leidenschaft die europäische Politik und die Erweiterung der EU vertreten, wie dies Kohl getan hat?" Eine Frage, die in Polen viele beschäftigt.
Der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski erinnert auch daran, daß die SPD sich klar machen sollte, daß manche in Polen "auf die SPD nicht gut zu sprechen sind. Die deutschen Sozialdemokraten haben nicht viel getan für die Arbeiter-Opposition in Polen, die den Kommunismus stürzte."
Getrübt wird dieses freundliche Kohl-Bild allerdings durch den Streit um die Oder-Neiße-Linie. Während dies für die "normalen" Polen kein Thema ist, wird von deutschen Journalisten immer wieder darauf hingewiesen. So auch von der deutschen Warschau-Korrespondentin Edith Heller, die für ihre propolnische Einstellung und ihre Vorbehalte gegenüber den Vertriebenen bekannt ist.
Edith Heller schrieb dazu: "Das europäische Engagement des langjährigen Kanzlers ließ die Polen sogar vergessen, daß Kohl keineswegs immer der ,Anwalt Polens war: Schließlich hat er der Anerkennung der Grenze nur auf Druck der Alliierten zugestimmt und den Nazi-Opfern keine Entschädigung, sondern nur eine verschwindend geringe ,humanitäre Hilfe zuerkannt. Auch von den Forderungen des Vertriebenenverbandes wollte sich Kohl niemals distanzieren."
Bei Schröder ist es in diesem Punkt einfacher: In Polen ist man fest davon überzeugt, daß ein Kanzler Schröder die BdV-Präsidentin Erika Steinbach nicht unterstützen wird. Bei ihm gibt es aber andere Probleme: In den polnischen Zeitungen werden die Schröder-Zitate wiederholt: "Das Berliner Baustellenproblem darf sich nicht auf die ganze Republik ausweiten" und "Unter Freunden müsse man sich unangenehme Wahrheiten ins Gesicht sagen können".
In Polen weiß natürlich jeder: Daß so viele Polen in Deutschland schwarzarbeiten können, ist der stillschweigenden Duldung durch die Kohl-Regierung zu verdanken. Ein neuer SPD-Kanzler immer in Sorge um Jobs für seine Klientel dürfte da schon anders handeln. Zusätzlich sorgen Forderungen von SPD-Politikern nach Übergangsfristen von 15 Jahren bei der Osterweiterung oder ein Abwarten, bis sich das wirtschaftliche Leistungsvermögen angeglichen hat, für Aufsehen in Warschau. Allerdings wird hierbei oft verschwiegen, daß diese Forderungen durchaus der Linie der Kohl-Regierung entsprechen.
Vor diesem Hintergrund ermahnte Staatspräsident Aleksander Kwasniewski Schröder, daß die deutsch-polnischen Beziehungen für Helmut Kohl nicht nur ein politisches, sondern auch ein moralisches Anliegen gewesen seien. "Ich hoffe, daß sich unter Schröder das Verhältnis zu Polen nicht ändert und daß er als Politiker in die Geschichte eingehen will, der die europäische Integration aufbaut."
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