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Die Szene hätte aus einem Horrorfilm stammen können: zwei vermummte Gestalten mit weißen Gesichtsmasken, in die lediglich Augenschlitze geschnitten waren, verlasen vor laufender Kamera eine Erklärung, die in der spanischen Innenpolitik wie eine Bombe einschlug. Sie erklärten, daß die bas-
kische Untergrundorganisation ETA künftig keine Attentate in der nordostspanischen Provinz Katalonien mehr verüben werde, um so den revolutionär en Kampf der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter zu unterstützen. Die Ankündigung stürzte das Land auf der iberischen Halbinsel, das aufgrund seiner unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ohnehin starken Fliehkräften ausgesetzt ist, in eine schwere innenpolitische Krise, die durch die bevorstehenden Parlamentswahlen am 14. März zusätzliche Brisanz gewinnt.
Hintergrund des makabren Auftritts der ETA-Terroristen im baskischen Fernsehen ist die geheime Reise eines katalanischen Spitzenpolitikers in das benachbarte südfranzösische Perpignan Anfang Januar dieses Jahres. Dort traf Josep Luis Carod-Rovira, der als Chefberater der Provinzregierung in Barcelona einen einflußreichen Posten bekleidete, die beiden ETA-Führer Mikel Albizu und "Josu Ternera" (Josu das Kalb). Was bei dem konspirativen Treffen genau besprochen wurde, blieb ein Geheimnis. Kein Geheimnis blieb allerdings das Treffen selbst, das offensichtlich vom spanischen Geheimdienst genau observiert wurde. Er informierte die Madrider Zentralregierung von dem ungewöhnlichen Treiben Carods, der zugleich Vorsitzender der Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) ist, einer Partei, die zusammen mit der sozialistischen PSOE und den katalanischen Grünen die Regierung in Barcelona stellt.
Für die konservative Regierung in der spanischen Hauptstadt bedeutete die Entdeckung von Carods geheimen und von keiner amtlichen Stelle autorisierten Verhandlungen ein gefundenes Fressen, das sich in vortreffliche Wahlkampfmunition verwandeln ließ. Genau an dem Tag, an dem der spanische Thronfolger, Prinz Felipe, in Madrid eine internationale Konferenz über die Opfer des Terrorismus eröffnete und in seiner Rede den Tag herbeisehnte, an dem "wir das Ende des Terrorismus feiern können", enthüllte die Tageszeitung ABC die Wallfahrt des katalanischen Politikers zu den meistgesuchten Terroristen Spaniens. In einer ersten Stellungnahme erklärte Carod, es sei ihm nur darum gegangen, mit der ETA einen Waffenstillstand auszuhandeln, keinesfalls aber darum, die Untergrundorganisation zu bewegen, ihre Bomben lieber anderswo, nur nicht in Katalonien hochgehen zu lassen. Genau das aber wirft die konservative Partido Popular, die die Regierung in Madrid stellt, Carod vor. Als nun die ETA tatsächlich ankündigte, Katalonien bis auf weiteres von Attentaten zu verschonen, brach sich in der übrigen spanischen Bevölkerung eine Welle der Empörung Bahn. Viele Bürger des Landes fühlen sich in ihrem Kampf gegen den Terrorismus von der ERC und ihrem Vorsitzenden verraten.
Der amtierende Ministerpräsident Jose Maria Aznar und sein Parteifreund Mariano Rajoy, der bei den Parlamentswahlen in drei Wochen Aznar im Amt des Regierungschefs nachfolgen möchte, beschuldigten nun die PSOE, den wichtigsten Konsens zwischen den beiden großen Parteien, den Anti-Terrorismus-Pakt, gebrochen zu haben. Gleichzeitig forderten sie die katalanischen So-zialisten dazu auf, sich von ihrem in Verruf geratenen Koalitionspartner zu trennen. Damit brachten sie den PSOE-Vorsitzenden Rodriguez Zapatero in eine schwierige Lage, denn zum einen reicht seine Weisungsbefugnis nicht so weit, den Vorsitzenden der katalanischen Genossen und Chef der Provinzregierung in Barcelona, Pasqual Maragall, zu diesem Schritt zu zwingen, andererseits konnte er es sich nicht leisten, mitten im Wahlkampf die Krise weiter vor sich hin schwelen zu lassen. Am Wochenende schließlich gab Maragall nach und entließ seinen Chefberater Carod, der nun durch Josep Bargallo, ebenfalls ERC-Mitglied, ersetzt wird.
Für die Sozialisten läuft die ganze Auseinandersetzung auf ein wahres Desaster hinaus. Ihr Präsidentschaftskandidat Zapatero, dessen Partei den letzten Umfragen zufolge mit 38 Prozent rund fünf Prozentpunkte hinter der Partido Popular von Rajoy rangiert, wird es wohl nicht mehr schaffen, die Regierungspartei einzuholen, geschweige denn zu überrunden. Angesichts der glänzenden ökonomischen Daten, die Ministerpräsident Aznar in den letzten Jahren vorlegen konnte - so wuchs beispielsweise die Wirtschaftskraft des Landes im letzten Jahr um 2,3 Prozent und in diesem Jahr wird sie sich um voraussichtlich 2,9 Prozent vergrößern -, hat es die Opposition ohnehin schwer, die Regierung in Bedrängnis zu bringen. Deshalb konzentrierte sie sich in den letzten Wochen auf die Außenpolitik und versprach im Falle eines Wahlsieges, die spanischen Soldaten, die im Irak stationiert sind und bereits mehrere Todesopfer zu beklagen hatten, wieder nach Hause zu holen. Doch dieser wahlstrategische Ansatz ist angesichts der aktuellen innenpolitischen Entwicklung völlig in den Hintergrund getreten. Michael Ludwig |
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