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Ates hat das Handtuch geworfen", titelte die türkische Tageszeitung "Hürriyet", als die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates jetzt ihre Zulassung zurückgab. Ates ist eben nicht nur in Deutschland über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Die gebürtige Türkin hat immer wieder - ähnlich wie die somalisch-niederländische Frauenrechtlerin Hirsi Ali - schwere Vorwürfe gegen den Islam erhoben.
Mittvierzigerin Ates entstammt einer türkisch -kurdischen Familie. Im Alter von sechs Jahren kam sie 1969 nach Berlin - in den Wedding. Sie durchlebte hier ihre Jugend in einer von archaischen Familienstrukturen geprägten Parallelwelt.
Seyran berichtete später, wie sie ihre Brüder bedienen mußte und an die elterliche Wohnung gefesselt war, die nur ein Zimmer hatte. Anders als die meisten "Problemkinder" aus Einwandererfamilien nutzte sie aber die Chance, die ihr das deutsche Bildungssystem bot. Sie hatte gute Noten. Ihre Mitschüler wählten sie zur Schulsprecherin.
Erst kürzlich ist Günter Piening in diese Parallelwelt eingetaucht. So gut das eben geht, als Außenstehender. Berlins Ausländerbeauftragter lud zum Rundgang in die Soldiner Straße, genau den Kiez, in dem die kleine Seyran großgeworden ist.
Hätte der Ortstermin nicht zufälligerweise eine Woche nach den vereitelten Anschlägen in London stattgefunden - kaum ein Journalist wäre aufgetaucht. Doch so ist das halbe Pressekorps der Hauptstadt im Wedding dabei.
Zur Pressekonferenz präsentierte Piening im Gebetsraum eines Moscheevereins die heile Multikulti-Welt: Dr. Marianne Kapler, eine zum Islam konvertierte Deutsche, berichtete von der guten Bildungsarbeit in ihrer Moschee, von Deutsch-, Koch- oder Kosmetikkursen. "Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen der Gemeinde und der Gesellschaft." Gefördert wird das ganze mit Steuergeldern, etwa aus dem Fonds "Soziale Stadt".
1999 existierten im "Soldiner Kiez" drei Moscheevereine, heute seien es schon sieben, berichtet ein Vertreter der Stadtverwaltung. Wedding - das ist Parallelgesellschaft pur.
Das bekamen auch die Journalisten zu spüren bei ihrem anschließenden Rundgang. Aus Hauseingängen und Wettbüros wurden die "Fremden" die ganze Zeit angestarrt. Eher friedlich aus den türkischen Cafés, eher feindlich aus Internetcafés.
Aus dieser Welt brach Seyran Ates mit 18 Jahren aus. Sie begann das Jurastudium und lebte in einer Wohngemeinschaft. Für ihren Unterhalt arbeitete sie nebenbei in einem Frauenladen.
1984 erschoß ein vermeintlicher Auftragskiller dort eine Frau und verletzte Ates lebensgefährlich. Die heute 43jährige wurde durch den langwierigen Genesungsprozeß in ihrem Studium um Jahre zurückgeworfen.
Als Anwältin nahm sie die Rechte von türkischen Mädchen und Frauen wahr, kämpfte gegen Zwangsehe, Ehrenmord und Kopftuchzwang. Von ihr sind markige Äußerungen zur Integrationsproblematik bekannt: "Die Linken und Liberalen sind immer nur ratlos und veranstalten Tagungen und suchen den Konsens - das ist zu wenig." "Multikulti" bedeutet für Ates nichts als "die organisierte Verantwortungslosigkeit". Grüne Politiker und türkische Verbände, die sich der Deutschpflicht an der Weddinger Hooverschule widersetzt hatten, nannte sie "eine böse, integrationsfeindliche und rassistische Allianz".
Als 2005 die junge Türkin Hatun Sürücü Opfer eines sogenannten Ehrenmordes wurde, veranstaltete Seyran Ates eine Mahnwache. Damals erhielt sie erste Drohbriefe. Mit ihren eindeutigen Aussagen hat sie sich keine Freunde im Einwanderermilieu gemacht.
Trotzdem kommt ihr Rückzug jetzt überraschend: Am 11. August hat Ates ihre Anwaltslizenz zurückgegeben. Der Grund könnte ein Vorfall nach einer Verhandlung zwei Monate zuvor gewesen sein. Ates hatte eine Türkin vertreten, die sich von ihrem Mann scheiden lassen wollte.
Der Mann hatte die Frau mehrfach geschlagen und ihr für den Fall der Scheidung mit dem Tod gedroht. Nach der Verhandlung vor Gericht ging er dann tatsächlich auf seine Frau und deren Anwältin los. Auf einem U-Bahnhof prügelte er auf beide ein.
Solche Fälle sind Seyran Ates wohl immer wieder untergekommen. Ihre Kanzlei ließ sie vorsichtshalber von einer Kamera überwachen. Trotzdem rätselt halb Berlin jetzt, ob Ates wirklich wegen eines zwei Monate alten Überfalls ihre berufliche Existenz aufgegeben hat. Verschiedene Politiker jedenfalls gaben sich bestürzt, forderten besseren Schutz für Frauen wie Ates. "Hürriyet" dagegen berichtete sarkastisch: "Sie sucht jetzt einen Job." |
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