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Sprache:

 
     
 
Erbgut sind Wörter, bei denen Fremdes weder nachweisbar noch wahrscheinlich ist. Lehngut ist alles, was trotz fremden Ursprungs voll ins heimische Laut- und Formensystem paßt. Fremdwörter wiederum sind durch Lautung, Schreibung oder Formung als Fremdkörper erkennbar. Im Gebrauch sind Lehnwörter den Erbwörtern gleichwertig - sie hatten entweder ohnehin ins heimische System gepaßt, was bei Entlehnung aus eng verwandten Sprachen vorkommt, oder sie sind längst dem heimischen Laut- und Formenspektrum angeglichen. In manchen Fällen wird das Fremde sogar irrigerweise einer heimischen Wortfamilie zugeordnet, wie etwa der aus dem Ungarischen stammende „Tolpatsch“, der mit „toll“ verknüpft und daher meist falsch geschrieben wird.

Der Übergang vom Fremdwort
zum Lehnwort ist gleitend und zudem stark vom Bildungsgrad des Sprechers abhängig. Zu unterscheiden ist zwischen aktivem und passivem Wortschatz, also dem, was man selber gebraucht, und dem, was man zumindest versteht. Der „Normalverbraucher“ benützt etwa 5.000 Wörter, während sein passiver Wortschatz fünf- bis zehnmal so groß ist. Im aktiven Wortschatz sind Fremdwörter seltener vertreten, denn ihr (richtiger) Gebrauch kostet eben mehr Mühe. Lehnwörter beweisen, daß das sprachliche Immunsystem funktioniert haben muß. Fremdwörter sind, eben weil sie fremd wirken, Indiz dafür, daß das Immunsystem noch existiert, aber nicht Garantie dafür, daß es auch funktioniert! Insgesamt umfaßt die deutsche Sprache mehrere hunderttausend Wörter - je nachdem, welche Zusammensetzungen, Fremdwörter, Regionalismen, Modewörter, Kurzwörter („Uni“), Silbenwörter („Azubi“), Buchstabenwörter („GAU“) Buchstabierwörter („EDV“) sowie Orts-, Eigen- und Produktnamen man einrechnet.

In den meisten Sprachen ist das Wortgut aus jeweils 30 bis 40 „Phonemen“ gebildet, den bedeutungsunterscheidenden, quasi idealisierten Einzellauten (Mit- oder Selbstlauten). Charakteristisch für eine Sprache ist nicht nur, wie viele und welche Phoneme sie verwendet, sondern auch ihre „Phonetik“, also wie sie ausgesprochen und gehört werden. Muttersprachliche Prägung bestimmt auch den Umgang mit Fremdlauten: Manche werden gar nicht gehört, manche bewußt ignoriert, manche verwechselt, manche ersetzt. So kommt es etwa, daß aus französisch „chance“ je nach mundartlichem Hintergrund „Schanß“ oder „Schangse“ wurde. Oder daß das im Deutschen nicht existierende stimmhafte „dsch“ durch „tsch“ ersetzt wird („Mänätscher“). Oder daß die vielen aus dem Französischen entlehnten Wörter auf „-age“ mit stimmlosem „sch“ gesprochen werden. (Und außerdem eine Geschlechtsumwandlung durchmachen mußten, denn im Original sind sie männlich.)

Was ist heute anders?

Die ursprüngliche Sippengesellschaft kannte nur unmittelbare Sprechakte, und die Rückkopplung vom Hörer zum Sprecher war stets gegeben. In größeren Gemeinschaften entstanden dann Machtstrukturen. Es redete nicht mehr jeder mit jedem, und die Mächtigen machten sich durch Mittelsmänner oder überhaupt durch andere als sprachliche Mittel „verständlich“. Dies war und ist besonders extrem bei allen Formen von Eroberung, Unterdrückung und Versklavung, die stets mit sprachlicher Deformation bis hin zur Sprachvernichtung einhergehen. Oder anders: Sprachverfall ist ein Indiz für außersprachliche Mißstände.

Schrift ermöglichte - einem zunächst sehr kleinen Personenkreis - die völlige räumliche und zeitliche Trennung von Mitteilung und Wahrnehmung. Allerdings verfügten die Eliten über sprachliche und logische Bildung, die wie eine „Impfung“ das Immunsystem ersetzen konnte. Und seit die Schrift durch Drucktechnik und Schulpflicht allgemeine Verbreitung hat, gibt es - selbst wenn die sprachliche Ausbildung nicht mithält - eine Art Rückkopplung in Form von Verkaufszahlen oder „erfolgreicher“ Korrespondenz.

Rundfunk und Fernsehen hingegen bringen eine grundsätzliche Änderung: Sprache wird nicht wie beim Lesen mittelbar und ohne Zeitdruck, sondern in Echtzeit wie beim Gespräch erlebt, doch ohne Möglichkeit der Gegenrede - Hörer und Seher werden überfahren. Nun würde man sich vielleicht von einem Demosthenes, Cicero, Shakespeare oder Goethe überfahren lassen, doch was da heute ans Mikrophon kommt und sich millionenfach vervielfältigt, ist meist nicht einmal Durchschnitt. Die scheinbare Rückkopplung über Umfragen, Einschaltquoten oder „hot-lines“ nützt nichts, denn sie erfaßt bestenfalls den Inhalt, nicht die sprachliche Qualität. Die größte Gefahr kommt allerdings vom Bild selber: Es vermittelt eine Scheinwelt, die keiner verbalen Bewältigung mehr bedarf - Sprache wird Teil der Geräuschkulisse. Davon sind heute alle Sprachgemeinschaften bedroht, die anglo-amerikanische vielleicht am stärksten - Stichwort „sekundärer Analphabetismus“.

Die leidigen Anglizismen

Es läßt sich leicht feststellen, wie oft ein Wort in einem bestimmten Text vorkommt, nicht aber, wie oft es insgesamt gesagt, geschrieben, gehört und gelesen wird. Es gibt zwar Studien über die Häufigkeitsverteilung von Wörtern in der deutschen Alltagssprache, aber wegen der ungeheuren Datenmenge hat diese Statistik nur bedingte Aussagekraft und beschreibt - wegen der langwierigen Auswertung - auch nur einen bereits überholten Zustand. Über die Häufigkeit der oft kurzlebigen Anglizismen gibt es überhaupt keinen wissenschaftlichen Nachweis, sondern nur subjektive, wenngleich weitverbreitete Meinungen.

Diese Meinungen rühren daher, daß Anglizismen in den Medien eindeutig überrepräsentiert sind. Weit mehr noch als bei sonstigen Fremdwörtern macht sich daher das Mißverhältnis zwischen dem Vorkommen im aktiven und im passiven Wortschatz bemerkbar. Das heißt auch, daß die oft nur unterbewußte Irritation über Wörter, die man immer wieder vorgesetzt kriegt, aber nicht richtig versteht, überproportional häufig ist.

Indirekte Schlüsse lassen sich ziehen, wenn man die existierenden Anglizismen näher ansieht. Eine nützliche Ausgangsbasis dafür liefert das in „Engleutsch? Nein danke!“ (Thomas Paulwitz, Stefan Micko u. a.: „Engleutsch? Nein danke!“ Erlangen und Wien, ISBN 3-00-005949-0) zusammengetragene Material. Um eine subjektive Wertung, was als eigenständiges Wort anzusehen ist, kommt man allerdings nie herum, weshalb auch die Zahl der Anglizismen nur ungefähr mit 2.000 bis 3.000 zu beziffern ist. Mehr als 80 Prozent davon sind Hauptwörter, Abkürzungen („CPU“, „RAM“, „DNA“), Zusammensetzungen („Sit-in“, „Call-Center“, „Dumpingpreis“) oder hauptwörtlich gebrauchte Eigenschafts- und Mittelwörter („Daily“, „Meeting“, „Joint“). Zeitwörter mit eingedeutschter Endung machen etwa fünf Prozent aus, der Rest entfällt vor allem auf Eigenschafts- und Mittelwörter, teils mit englischer, teils mit verdeutschter Endung („corned“, „gekidnappt“).

Die meisten dieser 2.000 bis 3.000 Wörter dürften nur bei wenigen Leuten zum aktiven Wortschatz gehören. Jene Wörter, die im Alltagsleben häufiger anzutreffen sind, stammen vorwiegend aus den Bereichen Elektronik, Sport und Unterhaltung. Bemerkenswert ist, daß das „th“ in nur wenigen Wörtern aufscheint: Was sich schlecht aussprechen läßt, wird also eher gemieden. Diverse Mischbildungen („antörnen“, „pörformen“) sind zwar mündlich, besonders im „Fach-Chinesisch“ anzutreffen, schriftlich kommen sie aber kaum vor, weil sie eben weder der englischen noch der deutschen Orthographie entsprechen.

Wer sich umhört, kann auch feststellen, daß Eigenschaftswörter nur prädikativ, aber kaum attributiv gebraucht werden: „Er ist fit/soft/sexy“, aber kaum „ein fitter/softer/sexier Mann“. Zeitwörter kommen meist in Nennform oder als Mittelwort, aber kaum in persönlichen Formen vor: „Ich werde das mänätschen“, „er hat das gemänätscht“, aber nicht „du mänätschst“, „ihr mänätschtet“. Auch bei der Mehrzahlbildung zeigt sich, daß deutsche Endungen durchwegs vermieden werden, während umgekehrt bei Wörtern auf „-er“ den deutschen Regeln entsprechend das englische „-s“ nicht vorkommt: „die Player/Deco-der/Freelancer/Catcher“.

Solche Vermeidungsstrategien sind einerseits ein gutes Zeichen, beweisen sie doch, daß das Sprachgefühl vieler Menschen Systemstörungen nach wie vor erkennt. Andererseits läßt sich erahnen, welche Spannungen und Mißverständnisse (etwa zwischen Alt und Jung!) durch - oft überflüssige - Fremdkörper ins Land getragen werden.

Schlußfolgerungen

Es bringt nichts, gegen Windmühlen zu kämpfen oder die normative Kraft des Faktischen zu ignorieren. Nur rechtzeitiges und richtiges Handeln hat Aussicht auf Erfolg. Es gilt, Alternativen anzubieten, noch ehe sich ein Fremdkörper einnisten konnte. Wer Ideen hat, sollte sie daher umgehend weitergeben - in Gesprächen, Diskussionen, Leserbriefen, Veröffentlichungen und durch Einschaltung in laufende Sendungen. Vielleicht bleibt etwas hängen - auch etliche jener Wortschöpfungen, die unseren Dichtern und Denkern zugeschrieben werden, stammen vielleicht gar nicht von ihnen selbst, sondern wurden von ihnen nur richtig gehört, als nützlich erkannt und weiterverbreitet.

Alternativen müssen vor allem besser sein! Monströse Wortzusammensetzungen haben keine Chance gegen kurze und prägnante Amerikanismen, seien diese noch so primitiv. Vorzuziehen ist daher Wortbildung durch Ableitung, das heißt die Verwendung von jeweils nur einem einzigen Wortstamm, doch mit bedeutungsträchtigen Vor- und Nachsilben. Eine wichtige Quelle der Inspiration ist die Mundart: Warum sollten im Volk entstandene Wörter oder sogar „Verstümmelungen“, sofern sie treffend und witzig sind, nicht in die Hochsprache aufsteigen?

Überflüssig ist der Kampf gegen Wörter, die in Lautung, Schreibung und Form ohnehin wie Lehnwörter erscheinen, denn sie stören nicht das System („splitten“, „mixen“, „liften“, „Killer“, „Slip“). Und wenn sie noch dazu kürzer und prägnanter sind, bringen sie sogar Gewinn („Box“, „Grill“, „Dress“, „Star“). Ähnliches gilt für die aus Latein und Griechisch stammenden „Internationalismen“, selbst wenn manche heute anglisiert auftreten. Sie sind gemeinsames europäisches Kulturerbe und bringen echte Vorteile, wenn sie als Fachausdrücke Mißverständnisse vermeiden oder eine (beabsichtigte) andere Konnotation mitbringen als ihr deutsches Gegenstück. Sprecher und Schreiber sollten allerdings stets überlegen, wo und mit welchen Fremdwörtern sie Nutzen - oder Unverständnis - stiften.

Der statutenmäßige Bildungsauftrag im öffentlich-rechtlichen Runkfunk und Fernsehen sollte vor allem bezüglich der Sprache ernster genommen werden. Man sollte zwanglose Gesprächsrunden (nicht Sendungen) einrichten, in denen Wissenschaftler, Techniker und Medienleute mit Linguisten über aktuelle Ausdrücke plaudern. Damit wäre zu kompensieren, daß Fachleute heutzutage kaum sprachliche Bildung, Linguisten aber kaum Fachkenntnisse haben.

Es fällt auf, daß nicht nur Personen ohne Englisch-Kenntnisse, sondern auch solche mit sehr guten Kenntnissen auf Anglizismen eher verzichten - und genau das muß im öffentlichen Bewußtsein verankert werden: Wer mit Anglizismen um sich wirft, ist ein halbgebildeteter Angeber! Und sobald einer weiß, daß das Publikum es weiß, wird er vorm Mikrophon nicht mehr riskieren wollen, als solcher dazustehen! Gerade Politiker tragen eine hohe sprachliche Verantwortung, und es ist grotesk, wenn sie statt in der gemeinsamen Muttersprache in einer Fremdsprache miteinander korrespondieren.

Schädlich ist nicht das Fremde, sondern die Überfremdung.

Schädlich sind nicht die Fremdwörter, sondern die Systemstörungen, Mißverständnisse und Konflikte. Dabei geht es nicht um Sprache an sich und nicht um „Reinheitsgebote“. Es geht um den Menschen, um optimale Nutzung angeborener Gaben, um Muttersprache als Mittel zur Daseinsbewältigung. Orientierungslosigkeit unter Gastarbeiterkindern resultiert nicht zuletzt aus ihrem Aufwachsen in zwei Sprachen, von denen keine wirklich Muttersprache sein konnte. Doch anstatt hier - so oder so - gegenzusteuern, werden Maßnahmen gesetzt, die zu noch mehr Muttersprachlosigkeit führen! Denn was sonst kann Fremdsprach-Unterricht bei Kindern bewirken, deren Muttersprache noch nicht gefestigt ist und die obendrein einer Dauerberieselung mit (pseudo)-englischen Wortfetzen ausgesetzt sind? Nur Globalisierer und Internationalisten haben ein Interesse an der Pidginisierung, an der Züchtung von Sprachkrüppeln und wehrlosen Manipulationsobjekten.

Wie deutsch soll Deutsch sein? Der Mensch braucht einen festen Punkt, um „die Welt aus den Angeln zu heben“, und wer sich seines eigenen Bezugspunkts sicher sein darf, der hat auch keinerlei Probleme damit, daß sich andere anderswo auf andere Bezugspunkte stützen.

Ein Kabarettist meinte einmal, Deutsche und Österreicher seien „durch die gemeinsame Sprache getrennt“. Sind sie nun, wie der obige Brief schließen läßt, durch die gemeinsame Fremdsprache vereint?

 
     
     
 
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