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Wir müssen wissen, woher wir kommen, damit wir erfahren, wohin wir gehen", hat Arno Surminski einmal in einem seiner Romane ("Besuch aus Stralsund", 1995) geschrieben. Das Woher und das Wohin sind seit langem die Fragen, denen der Schriftsteller in seinem Werk nachgeht. Unsentimental und ohne den Zeigefinger belehrend zu erheben erzählt Surminsk i von den kleinen Dingen, die das Leben so lebenswert machen, aber auch von dem Dunkel der jüngsten Vergangenheit, von Heimatverlust, Krieg und Verderben, die eben dieses idyllische Leben im Nu zerstört haben. Licht und Schatten sind gleichermaßen verteilt in diesen Romanen, die so klangvolle Titel tragen wie "Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostdeutschland nach Deutschland" (1974), "Kudenow oder An fremden Wassern weinen" (1978), "Polninken oder Eine deutsche Liebe" (1984), "Grunowen oder Das vergangene Leben" (1989).
Es ist das Schicksal seiner Heimat Ostdeutschland und der Menschen, die Surminski hier schnörkellos und anschaulich schildert. Der Zweite Weltkrieg, Flucht und Vertreibung wurden von ihm lange vor Günther Grass & Co. literarisch aufbereitet. Viele seiner Titel sind auch ins Polnische, Russische oder Lettische übersetzt worden. Die Leser in diesen Ländern werden so nachvollziehen können, was Surminski am Herzen liegt. Der Schauspieler und Regisseur Peter Striebeck, langjähriger Freund des Schriftstellers, betonte in seiner Laudatio zur Verleihung der Biermann-Ratjen-Medaille an Surminski im Februar dieses Jahres, der Autor zeige auf, wie es habe geschehen können, daß Deutschland in Barbarei versank. Die Menschen "machten nicht, es wurde mit ihnen gemacht ... Er beschönigt nichts, entschuldigt nichts, vielmehr ist es eine Geste der Versöhnung mit unserer Geschichte."
Versöhnlich stimmt auch der neue Roman, der just zum 70. Geburtstag des Schriftstellers aus dem ostdeutschen Jäglack am 20. August erschienen ist: Vaterland ohne Väter (Ullstein Verlag, Berlin, 456 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 22 Euro). - Am Anfang steht das Zitat von Kurt Tucholsky, das vor nicht allzu langer Zeit die Wogen der Empörung in Deutschland hat höher schlagen lassen: "Soldaten sind Mörder." Rebeka Lange, geborene Rosen, fragt sich, als sie mit der Vergangenheit ihres Vaters, den sie nie gekannt hat, konfrontiert wird, wie es um ihren Erzeuger bestellt war. Hat auch er, der im Zweiten Weltkrieg Gefallene, sich etwas zuschulden kommen lassen? Wie war es damals in Rußland? Was haben sie erlebt die Männer, die auszogen, weil ein Befehl sie aussandte in alle Welt? "Den ersten, die nach Hause kamen und darüber schrieben, haben sie noch geglaubt, Wolfgang Borchert und Heinrich Böll. Aber dann gerieten Millionen in Vergessenheit, der ganze feldgraue Haufen wurde zur Räuberbande erklärt, mit der niemand etwas zu tun haben wollte ..."
Als Rebeka Lange, geborene Rosen, sich daran macht, die Vergangenheit ihres Vaters anhand von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen zu erkunden, trifft sie auf nicht allzu viel Verständnis. Aber: Einer muß sich doch kümmern und das Andenken der Toten ehren. Nach einem Jahr Recherche, Suchen und Einfühlen in eine zunächst fremde Welt gelangt die Frau zu der Erkenntnis: "Ich suchte Mörder und fand Menschen."
Arno Surminski ist mit diesem Roman wieder "ein großer Wurf" gelungen. In der ihm eigenen, schnörkellosen Art schreibt er über den Krieg in Rußland, meint aber auch die Kriege, die jetzt und heute die Schlagzeilen beherrschen, meint den Balkan, Afghanistan und den Irak. In einer gelungenen Mischung von Auszügen aus Briefen und Tagebucheintragungen, Zitaten aus einer Schulchronik und dem Kriegstagebuch eines napoleonischen Soldaten läßt Surminski den Leser eintauchen in die Realitäten der verschiedenen Kriege, die sich so sehr nicht unterscheiden. Dann wieder erzählt er von den Empfindungen der Rebeka Lange, die ihrem Vater Robert Rosen immer näher kommt, sich darüber hinaus über ihren Sohn Gedanken macht, der im fernen Prishtina für Ruhe und Ordnung sorgen soll, er erzählt aber auch von dem Geschehen lange vor ihrer Geburt im ländlichen Ostdeutschland. Er erzählt von der Ruhe, die dort herrschte, obwohl jenseits der Grenze der Krieg bereits tobte; er berichtet von den Menschen, ihren Sehnsüchten und Hoffnungen.
Eindrucksvoll die Schilderung des Aufmarsches vor dem Rußlandfeldzug: "Die schweren Waffen, die Kanonen und Lastwagen rasselten abgedunkelt durch die Nächte. Ihr Gebrumme störte die Nachtruhe, es übertönte die vertrauten Geräusche, das Klagen des Käuzchens im Park. Das Rufen der Unken im See und das Plätschern der Karpfen. Sogar das Brüllen der Kühe, die im Nebel auf der Waldwiese standen, ging unter in dem eintönigen Dröhnen, das von Westen heraufzog und im Osten verwehte ..."
Robert Rosen und seine Kameraden Walter Pusch aus Münster und Heinz Godewind aus Hamburg haben den Krieg nicht überlebt. Das friedliche Leben in Ostdeutschland wurde grausam unterbrochen, als die Kriegswalze über das Land fegte. Menschen wie Rebeka Lange sind gefordert, an diese Zeiten zu erinnern, Schriftsteller wie Arno Surminski darüber zu schreiben. - Nach altem Brauch erhalten Geburtstagskinder an ihrem Ehrentag in der Regel Geschenke; diesmal aber ist es umgekehrt: Arno Surminski schenkt seinen Lesern an seinem 70. ein ganz besonderes Buch, ein Buch gegen den Krieg, ein Buch der Versöhnung mit der Vergangenheit. Danke schön! Peter van Lohuizen
Arno Surminski: Schriftsteller mit eingängigen Themen
Neuer Roman: In "Vaterland ohne Väter" (Ullstein Verlag, Berlin, 456 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 22 Euro) beschreibt Surminski eindrucksvoll die jüngste Geschichte.
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