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Es ist Buchmesse in Havanna, und das fühlt sich so an, wie wenn die Deutschen sagen, es ist Weihnachten. Die ganze Stadt, ja die ganze Insel, ist wie elektrisiert. Ununterbrochen rollen die Busse hinüber auf die andere Seite der Hafeneinfahrt, zur Cabana, der jahrhundertealten Festung, denn da sind die Bücher. 4,38 Millionen Menschen haben die Bücher letztes Jahr in Havanna und in den Provinzstädten gesucht, gefunden und gekauft. 17 Millionen Pesos Cubanos (15 Millionen Euro) haben sie für diese Bücher ausgegeben, und diese Rekordsumme wird dieses Jahr auf der 15. International en Buchmesse übertroffen werden. Ein endloser Strom von Lesesüchtigen bewegt sich durch die Kasematten des Festungskomplexes, der einst die englische Flotte aufhalten sollte und kläglich versagte. Und hier und da läuft dem Besucher ein echter Nobelpreisträger für Literatur über den Weg, und er erkennt ihn nicht.
Die Kubaner sind ernsthaft verrückt nach Lesematerial. Selbst über ihren Nationalsport, den Baseball, sprechen sie in den zehn Tagen der Messe nicht mehr. Alles ist Buch, Buch, Buch. Die Menschen sparen wochenlang, um auf der Messe einkaufen zu können, obwohl die Bücher unglaublich billig sind. Manchmal kosten sie gar nichts wie die neue spanische Ausgabe des "Don Quijote". Die Warteschlange vor dem Stand ist gut 100 Meter lang. Und wer es geschafft hat, ein Exemplar zu ergattern, setzt sich zwischen die alten Kanonen, belächelt glücklich
seinen Erfolg und blickt über die Hafeneinfahrt hinweg hinüber auf die weiße Silhouette der Stadt, bereit, sich von Cervantes endgültig bezaubern zu lassen. Über sich hat er den blauen Himmel der Karibik, in dem weiße Wolken baden, neben sich sein Kind mit einem Buch aus Venezuela in der Hand, in sich eine große Ruhe.
Der Ehrengast dieser Ausgabe der Messe ist Venezuela, und wie es in diesen Breiten üblich ist, kam die ganze Angelegenheit erst einmal ins Schwimmen.
Hugo Chavez, der Präsident des südamerikanischen Landes, hatte am Eröffnungstag der Messe keine Zeit, nach Kuba zu kommen, also wurde die Eröffnung und mit ihr die ganze Messe erst einmal um anderthalb Tage verschoben. So etwas geht im karibischen Sozialismus, und zumindest die Kubaner wundern sich auf diesem Gebiet schon lange nicht mehr. Schließlich lief die Maschinerie, und es war an der Zeit, den deutschen Pavillon zu besuchen. Dort drängten sich 46 deutschsprachige Verlage, mehr als je zuvor, obwohl es bei dieser Veranstaltung eigentlich nichts zu verdienen gibt.
Was die Teilnahme so vieler deutscher Verlage bedeutet, macht ein kurzer Blick in die jüngere Vergangenheit klar. Es war im Jahr 2003, als die deutsch-kubanischen kulturellen Beziehungen sich so gut und weit entwickelt hatten, daß Deutschland der Ehrengast auf der Messe sein sollte, so wie jetzt Venezuela. Das Tauwetter wurde so heftig, daß Castros Stellvertreter Carlos Lage Berlin besuchte und die deutsche Botschaft in Havanna bereits Späher verschickte, um nach einem Gebäude für ein Goethe-Institut zu suchen.
Dann kerkerte Fidel Castro wieder einmal Dissidenten ein und ließ Todesurteile vollstrecken. Ende des Tauwetters. Die Europäische Union verhängte Sanktionen - ausgerechnet auf dem Gebiet der Kultur. "Weil es am billigsten kommt", verriet ein Mann aus der Botschaft.
Deutschland gab seine Einladung als Ehrengast zurück. Seither leistet die deutsche Botschaft auf Anordnung aus Brüssel an der Messe interessierten Verlegern keine Hilfe mehr.
Trotzdem haben sich 40 deutsche und sechs deutschsprachige Verlage, darunter nicht nur solche aus der linken Szene, sondern auch Gruppen wie Fischer, Rowohlt, Klett Cotta oder Homilius, hier eingefunden und teilen den Saal zehn auf dem Ausstellungssegment brüderlich mit der PDS und ihrer "Jungen Welt", ohne an Berührungsängste auch nur zu denken.
Die Messe zieht weiter, nach Havanna in 35 weitere kubanische Städte. Am 5. März kommt das Halali im Fernen Osten Kubas, in Santiago de Kuba. Danach werden neue Pläne geschmiedet. Henky Hentschel
Deutsche Botschaft unterstützt keine Verlage mehr
Gern gesehener Gast: Venezuelas Staatschef Hugo Chavez wird von Kubas Fidel Casto immer gern empfangen. |
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