|
Ob informiert über den hohen Besuch, oder nicht: Geflucht haben sie am 14. und 15. Oktober alle über die Staatsvisite: vor allem die Autofahrer in Königsberg und Umgebung wegen der zahlreichen gesperrten Straßen und des daraus resultierenden Verkehrschaos. Viele kamen zu spät zur Arbeit oder zur Schule. Termine platzten, und wer gar am 14. Oktober abends nach Rauschen wollte, der wurde beschieden, das sei leider nicht möglich, denn der ganze Weg zwischen dem Königsberger Stadttheater und dem Luxushotel in Rauschen, inklusive aller Zufahrts- und Waldwege, sei komplett für jeglichen Verkehr gesperrt.
Der Verursacher des Verkehrschaos war kein Geringerer als Weißrußlands Staatspräsident Alexander Lukaschenko. Dieser hatte sich die Ehre eines bereits seit zwei Jahren geplanten offiziellen Besuches im Königsberger Gebiet gegeben.
Doch obwohl in dem Gebiet die Weißrussen den zweithöchsten Bevölkerungsanteil stellen, ist auch hier Lukaschenko wenig beliebt. Dies schienen wohl auch die Gastgeber geahnt zu haben, denn sie schirmten ihren Gast weitgehend von der Öffentlichkeit ab. Es gab keine Pressekonferenz mit dem hohen Gast, und zum Festakt im Königsberger Stadttheater waren nur einige Fotoreporter und Kameraleute der örtlichen Fernsehanstalten zugelassen; Reporter und Kollegen der schreibenden Zunft waren ausgeschlossen, Fragen nicht zugelassen. Es reichte den Verantwortlichen anscheinend, daß die anderthalbstündige Rede Lukaschenkos zeitversetzt im Fernsehen in kompletter Länge gezeigt wurde. In dieser Rede beschwor der Präsident noch einmal ganz deutlich die russisch-weißrussischen Gemeinsamkeiten und hob die Stärken einer solchen Allianz hervor, insbesondere gegenüber der "Hydra". Damit war die Nato gemeint und, so Lukaschenko wörtlich, "dieser große Staat jenseits des Ozeans".
Auch Seitenhiebe gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma blieben in der Rede des weißrussischen Präsidenten nicht aus. Dieser hatte kürzlich Lukaschenko von der Schwarzmeerkonferenz wieder ausgeladen und ist seither bevorzugtes Ziel von Angriffen des weißrussischen Präsidenten. Kutschma sei, so Lukaschenko, von der westlichen Hydra bereits ganz verschlungen und strebe nur noch gen Westen.
Aber auch einige politische Entwicklungen innerhalb des Königsberger Gebiets stießen beim weißrussischen Präsidenten auf Widerspruch. So kritisierte er insbesondere den höheren Grad der Privatisierung im nördlichen Ostdeutschland wie insgesamt in Rußland, den er für völlig falsch halte. Ein Haus, ein paar Acker Boden und ein kleines Auto, das könnte, so der weißrussische Präsident, als Privateigentum gelten, aber ganze Betriebe oder Kolchosen zu privatisieren, das sei für ihn in seinem Land unvorstellbar. Er sei stolz darauf, daß bei ihm die Kolchosen noch alle funktionierten. Im Prinzip also nichts grundlegend Neues aus Minsk.
Der eigentliche Zweck des Aufenthaltes seiner Regierungsdelegation im nördlichen Ostdeutschland war dennoch ein anderer: Es ging darum, ein Abkommen über die engere Zusammenarbeit zwischen Rußland und Weißrußland in Königsberg zu unterzeichnen. In Königsberg deshalb, weil die Weißrussen unbedingt auf den Königsberger Hafen als Warenumschlagplatz angewiesen sind. Eines der wichtigsten weißrussischen Exportgüter, die über Königsberg exportiert werden sollen, ist Mineraldünger.
Engagieren will sich Lukaschenko auch im landwirtschaftlichen Sektor. So will man einen Teil der über 1,5 Millionen Hektar Brachfläche im nördlichen Ostdeutschland pachten und bewirtschaften. Hier liegen aber die Vorstellungen über die Realisierung noch weit auseinander. Das trifft ebenfalls für die vorgesehene Steigerung des Warenaustausches der beiden Regionen zu: Minsk will mehr Dünger und Baustoffe ins Königsberger Gebiet exportieren und im Gegenzug Fisch und Fischprodukte aus dem nördlichen Ostdeutschland importieren. Daß solchen hochfliegenden Plänen auch Taten folgen werden, wird aber wohl schon allein aufgrund der Tatsache scheitern, daß Weißrußland kaum über irgendwelche Valutareserven verfügt. Der geplante "Beförderungskorridor" zwischen den Städten Minsk und Königsberg auf dem Schienenweg müßte durch die Republik Litauen führen. Ohne große Zollkomplikationen wird auch das nur so lange funktionieren, wie die Litauer mitmachen und die Transportkosten auf ihren Schienenwegen nicht erhöhen. Gerade das aber scheint zur Zeit unsicherer denn je. Und so verbuchen politische Beobachter die Ergebnisse des jüngsten Besuch Lukaschenkos in Königsberg denn auch eher unter der Rubrik "Viel Getue um Nichts". BI
|
|