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Visuelles Ergreifen der Welt

 
     
 
Es war die Befreiung der Farbe, die am Anfang der Moderne stand. Die Impressionisten hatten sich von der Lokalfarbe gelöst und damit begonnen, in ihren Bildern jene Farben zu verwenden, die sie auch tatsächlich sahen. Und natürlich hatte die chemische Industrie mit der Entwicklung der Anilinfarben den Künstlern erstmals leuchtkräftige und lichtstabile Pigmente an die Hand gegeben, die sich unproblematisch aufbewahren, vor allem aber auch ebenso unkompliziert verarbeiten ließen.

In besonderem Maße waren es jedoch die Gemälde Vincent van Gogh
s, die gleichsam ein neues Sehen einleiteten. Ab 1905 waren die Bilder des Holländers auch in Deutschland zu sehen gewesen und hatten bei den meisten jungen Künstlern sogleich ihre Wirkung hinterlassen.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatten einige französische Künstler mit der optischen Farbmischung experimentiert. Hierbei wurden die unterschiedlichen Töne nicht auf der Palette angemischt, sondern sollten sich - zusammengesetzt aus möglichst kleinen Flecken und Tupfen reiner Primärfarben - erst im Auge des Bildbetrachters zu den wiederzugebenden Farben mi-schen. Diesen wegen ihrer kleinteiligen Malweise zunächst als Pointillisten verspotteten Malern war zwar die beabsichtigte Revolutionierung der Malerei nicht in dem umfassenden Sinne gelungen, wie sie es ursprünglich beabsichtigt hatten, ihr verändertes Bewußtsein im Umgang mit der Farbe jedoch sollte für die nachfolgenden Malergenerationen Folgen haben, die bis heute andauern.

Liest man alte Ausstellungsbesprechungen aus der Zeit um 1900, so fällt auf, daß immer wieder "koloristische Exaltationen" angemahnt wurden: "Da gibt es grünen, zinnoberroten, hellgelben, violetten und weißen Schnee; das hochinteressante Naturereignis ist ... von Herrn Bössenroth gemalt worden ...", mokierte sich beispielsweise ein Rezensent über ein Wintergemälde Carl Bössenroths, von dem das Gemälde "Bewegte See mit Segelboot" in der Berliner Ausstellung "Von der Freiheit der Farbe - Malerei deutscher Post-Impressionisten" der Galerie Barthelmess & Wischnewski zu sehen ist. Und César Kleins farbstarkes, fast schon expressionistisches Gemälde der Ostseeküste erschreckte seinerzeit mit seinen dunkelvioletten Schatten, die er unmittelbar neben das leuchtende Orangegelb des Sandstrandes setzte, sicherlich so manchen Betrachter.

Ebenfalls von den Impressionisten hatte diese Malergeneration gelernt, daß die Unmittelbarkeit eines Gemäldes nur durch eine spontane, nicht übertrieben detailliert ausgearbeitete Malweise erzielt werden kann. Ja, die Künstler bekannten sich nun zum "Gemachten" eines Bildes, zu ihrem ganz individuellen und persönlichen Strich. Ein Gemälde sollte nicht mehr nur eine präzise Schilderung des Gesehenen sein, sondern auch Empfindungen und Gefühle vermitteln.

Ein grundsätzlicher Leitgedanke, der den in Entstehung begriffenen Expressionismus schließlich erst ermöglichte. So zeigte Hermann Wassmuth in seinem mit "Vorfrühling" betitelten Gemälde zwei Kinder beim Blumenpflücken in einem derart spontanen Vortrag, der weit über die Zeit der Entstehung dieses Bildes hinausweist. Ganz bewußt benutzte er eine Mahagoni-Platte als Malgrund und ließ ihren warmen Holzton insbesondere in den Konturen der noch unbelaubten Birkenstämme stehen und somit für die Gesamtwirkung seiner Komposition wirksam werden. Dem aufmerksamen Betrachter wird nicht entgehen, daß zahlreiche Elemente der modernen Kunst in jenen Jahren erstmals angewandt und eingeführt wurden. Zu sehen - und zu erwerben - sind auch Gemälde der Malerin Elfriede Thum, die meist unter dem männlichen Pseudonym Erich Thum signierte und mit dem Dramatiker Rolf Lauckner verheiratet war.

Lauckner, der Stiefsohn des aus Matziken, Kreis Heydekrug, stammenden Hermann Sudermann, hatte das Erbe seines Vaters angetreten und auch Schloß Blankensee übernommen, wo heute eine kleine Gedenkstätte an den Dichter erinnert (Führungen ab dem Frühjahr wieder über Mitarbeiter des Bauernmuseums in Blankensee, Telefon 03 37 31 / 80 01 1).

Paul Fechter nannte Elfriede Thum "eine der begabtesten und eigenwilligsten Gestalterinnen ihrer eigenen Generation" und bedauerte, daß sie "sehr zu Unrecht bis zum Ende im Schatten geblieben und nur dann und wann einmal etwas stärker in den Vordergrund getreten ist". Landschaften, gemalt mit kräftigen Farben und vehementem Pinselstrich, Stilleben und Szenen aus dem Theater begegnen dem Kunstfreund im Werk der Künstlerin.

Fechter war es, der den Nachlaß der 1952 verstorbenen Malerin für eine Gedächtnisausstellung 1955 sichtete. Dabei fand er frühe Bilder, die voll zwingender Kraft waren, und späte Werke, die in der Substanz immer dünner und blasser wurden. Herrliche Stilleben standen neben "Landschaften von einer Intensität des visuellen Ergreifens der Welt". Fechter: "Wie stark schon der Wille zu dieser Kraft war, sieht man bereits an den Signaturen der einzelnen Bilder. Thum steht da, in lauter einzelnen festen Buchstaben, meist oben rechts hingesetzt. Das männliche Element in dieser Frau spricht sich in diesem knappen kurzen Wort unübersehbar aus."

Elfriede Lauckner-Thum selbst wollte keinen Unterschied sehen zwischen rein "männlicher" und "weiblicher" Kunst; es gäbe nur gute und schlechte Malerei, echte und nicht echte Kunst, soll sie gesagt haben. Wo ihre Bilder anzusiedeln sind, auch davon können sich die Besucher der Berliner Ausstellung ein Bild machen.

Die Ausstellung in der Berliner Galerie Barthelmess & Wischnewski, Giesebrechtstraße 10 (Ecke Kurfürstendamm), ist montags bis freitags von 10 bis 13 Uhr und von 14.30 bis 18.30 Uhr, sonnabends von 11 bis 15 Uhr zu sehen, bis 29. April.

Elfriede Thum: Landschaft bei Blankensee (Öl, um 1915)
 
     
     
 
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