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Vom Jammern haben wir allmählich die Nase voll. Welcher ehemalige ökonomische Superstar möchte schon dauernd im Abstiegskampf stecken und sich dann auch noch gegen die Angreifer aus Asien zur Wehr setzen? Nur Masochisten laben sich an ständiger Selbstkasteiung. Ulrike Fokken, ehemalige Redakteurin von "taz" und "Tagesspiegel " sowie zuvor Research Analyst bei der "Boston Consulting Group", geht einen anderen Weg. In ihrem Buch "So geht s, Deutschland!" diagnostiziert sie zwar, daß der deutsche Patient bettlägerig sei, doch sie offeriert zugleich eine Art Medikamentenkoffer. Denn in einigen europäischen Staaten und in Kanada läuft es nach Ansicht von Fokken deutlich besser als bei uns. Man mag über manche These der Autorin streiten, einiges ist zu naiv geraten und zu blauäugig, doch im Grunde lohnt sich die Lektüre, die den Leser aus der lähmenden Depressionsspirale befreien soll.
Eine, pardon, feministisch getönte Voreingenommenheit zeigt sich unter anderem darin, daß Fokken sozusagen aus Frauensolidarität große Stücke auf Angela Merkel zu halten scheint. Seit die erste Frau ins Kanzleramt eingezogen sei, herrsche ein anderes Klima. Die Veränderung an der Regierungsspitze signalisiere: "Der Aufbruch in den Aufschwung kann gelingen." Hier handelt es sich um den Fluch der frühzeitigen Veröffentlichung, denn dieses Buch ist vor einigen Monaten abgeschlossen worden, und damals war noch nicht allen Beobachtern klar, daß Angela Merkel mehr Unfreiheit wagen würde. Doch diese kleinen Einwände sollen nicht davon ablenken, daß viele beherzigenswerte Dinge zwischen zwei Buchdeckel auf rund 240 Seiten gepreßt wurden.
Fangen wir am Rande Europas an: Von den Iren können die Deutschen lernen, wie man sich im Wettbewerb behaupten kann. Aus dem agrarisch geprägten Armenhaus ist innerhalb von nur 15 Jahren der "keltische Tiger" geworden. Aus dem katholischen Bauernvolk sei eine moderne, hoch technologisierte Dienstleistungsgesellschaft entstanden. Beim EU-Beitritt 1973 arbeiteten noch 24 Prozent der Bevölkerung auf dem Feld, 20 Jahre später waren es nur noch neun Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil bei den Dienstleistungen von 45 auf 63 Prozent.
Anders als Deutschland hat Irland einfach die Phase der "schmutzigen Industrialisierung" übersprungen. Deutschland tut sich schwerer damit, den Sprung zu schaffen von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, daß der industrielle Erfolg seit dem Kaiserreich mit den Unternehmen der Stahl- und Kohleindustrie, der Chemie- und Autokonzerne, der Werften und Textilfabriken verbunden ist. Und wer trenne sich schon leichten Herzens von dem, was ihn einst reich gemacht habe? Der Erfolg vergangener Zeiten lähme die Deutschen.
Und was können sich die Deutschen von den übrigen Ländern abschauen? In Finnland funktioniert das Bildungswesen besser; dies wird durch internationale Tests bestätigt. Besonders verlockend erscheint, daß in Finnland die Lehrer keine Beamten sind. Unfähige Pädagogen haben daher schlechte Karten, weil sie dem Wettbewerb auf dem freien Arbeitsmarkt unterliegen. Lehrer in Finnland können es sich daher nicht leisten, unzufriedene und ungebildete Schüler zu produzieren.
Schweden, so Fokken, zeige, daß man selbst ein "Volksheim" modernisieren könne. Die Schweden hätten ihr Rentensystem nicht reformiert, sondern abgeschafft und ein neues erfunden, nämlich einen Mix aus umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Altersvorsorge. Spätestens seit 1990 ist auch in Deutschland klar, daß die staatliche Rente nicht sicher ist. "Die umlagefinanzierte Rente als lebensstandardsicherndes Einkommen für die breite Masse ist organisierter Selbstbetrug", sagt der grüne Finanzexperte Oswald Metzger. Doch in der Gesundheits- und Rentenpolitik stümpern die deutschen Konsens- und Stillstandspolitiker nur herum.
Deutschland müsse seinen eigenen Weg finden. Dazu bedürfe es der Münchhausen-Methode, so die Autorin: "Auch Deutschland mit seinen komplizierten Systemen eines hoch entwickelten Sozialstaats am Ende des Industriezeitalters kann sich selbst wieder in Schwung bringen." Dazu muß es sich aber am eigenen Schopf aus dem Morast ziehen. "Kein System ist in Stein gemeißelt." Mit diesem Satz schließt das Buch. Diese Botschaft ist tröstlich. Man sollte sie sich jeden Tag als Losung vorlesen - zumindest so lange, wie wir noch das Gewürge der Großen Koalition ertragen müssen.
Ulrike Fokken: "So geht s, Deutschland! Nachhilfe für unsere Politiker", Knaur, München 2006, 253 Seiten, 12,95 Euro 5978 |
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