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Was machen die Gänse am Martinstag? / Gi, ga, gick? / Man holt sie aus dem Stall heraus, / zu einem fetten Martinsschmaus ...
Was wäre der Martinstag ohne die in der Bratröhre brutzelnde Gans, die schon das alte Kinderlied besingt. Auch da, wo der Heilige Martin nicht auf seinem Schimmel geritten kam, wo es keine Laternenumzüge gab wie im alten Ostdeutschland, gehörte der Gänsebraten zu diesem Tag. Vor allem auf dem Lande, denn zu Martini wechselte früher das Gesinde. Und zum Einstand gab es dann auf der neuen Stelle zumeist Gänsebraten. Den ersehnten sich jedenfalls die neuen Hofleute.
Auf den Höfen und Gütern sah man große Gänseherden, und auch vor den kleinen Insthäusern schnatterten die weißen Martinsvögel. Sie waren gute Futterverwerter, wurden auf die Weide getrieben und erst sechs Wochen vor dem Schlachten gemästet. Zu unserer Zeit war das Stopfen der Gänse zum Glück verbote n. Das "Nudeln" war doch eine arge Tierquälerei, hinzu kam, daß die Fettgans nicht mehr gefragt war wie in früheren Zeiten, wo eine fette Gans die Schmalztöpfe für lange Zeit füllte und die selbstgemachten Gänseleberwürste jeden Gourmet entzückt hätten.
Eine Gans ist eben eine "gute Gabe Gottes", nicht nur, wenn sie gebraten ist! Was liefert uns solch ein Martinsvogel nicht alles! Bi ons tohuus wußte man eine Gans bis zum letzten Fetzchen zu verwerten. Das Gänseklein - Kopf, Hals, Flügel, Magen, Herz - wurde zu Suppe, Weißsauer, Schwarzsauer und zum Schmoren verwendet. Aus der Leber wurden Pasteten und Wurst bereitet. Die Brust lieferte die köstliche Spickgans. Rücken und Flügel wurden gepökelt, ebenso wie Keulen, die auch geräuchert wurden. Das Haut-, Flomen- und Darmfett wurde ausgebraten. Eine Köstlichkeit war der gefüllte Gänsehals. Und wer kennt noch "Wickelfüße"? Das sind die gebrühten, abgezogenen Gänsefüße, die mit gereinigten Därmen umwickelt gekocht oder geschmort werden. Bratenreste wurden zu Ragout verwendet, und ich kann mich daran erinnern, daß selbst die Knochen noch zu einer leckeren Reis- oder weniger reizvollen Graupensuppe ausgekocht wurden.
Das war noch nicht alles! Die gut gesäuberte Gänsegurgel wurde mit trockenen Erbsen gefüllt, zum Ring gebogen und in der Bratröhre getrocknet. Das war ein idealer Beißring für die kleinsten Butzer und Marjellchen. Die Federkiele wurden als "Speilchen" benutzt - die Zeiten waren ja schon lange vorbei, als man damit schrieb und die Tinte dann mit feinem Sand aus der Streusandbüchse bestreute.
Aber das Federrupfen - das war geblieben. Nicht nur die geschlachteten Gänse wurden gerupft, sondern auch die noch lebenden. Doch das konnte nur von geübten Händen getan werden, sonst wurde es leicht zur Tierquälerei. Das Lebendrupfen durfte nicht an Junggänsen vorgenommen werden, weil die Federn noch nicht reif waren, auch das Rückenrupfen war verboten. Man rupfte also keine festsitzenden Federn, sondern nur die losen. So spürte das Tier keine Schmerzen. Sorgsam wurden auch in den Ställen die herumliegenden Federn aufgesammelt.
Das Rupfen der Schlachtgänse mußte schon gelernt sein, denn das war eine Arbeit, die in Hände und Arme ging. Eine ostdeutsche Geflügelhalterin berichtet von ihrer Methode:
"Ich dämpfe die Gänse vor dem Rupfen, und zwar in folgender Weise: In einen kleinen Wäsche- oder Kartoffeldampfkessel gieße ich ein Drittel Wasser und stelle oben darauf ein rundes Sandsieb mit hohem Rand, lege etwas Stroh hinein, damit der Dampf nicht so stark direkt an die Gänse kommt. Wenn nun das Wasser kocht, legt man eine Gans darauf und deckt einen dichten Sack darüber, damit der Dampf besser in die Federn zieht. Nach zwei bis drei Minuten dreht man die Gans auf den Rücken. Nach weiteren zwei bis drei Minuten ist sie zum Rupfen fertig. Man muß aufpassen, daß die Gans nicht überdämpft wird, sonst nimmt man die Haut mit den Federn mit. Das Dämpfen beeinflußt das Fleisch nicht, wenn es nicht zu stark geschieht. Bei meiner Methode rupft man drei bis vier Gänse in der Stunde!"
Ja, das Federzeug war schon wichtig für jeden Haushalt. "Für eine Feder muß eine junges Mädchen über sieben Zäune springen", besagt ein altes ostdeutsches Sprichwort. Die Mitgift mußte ja auch Bettzeug enthalten: Oberbett, Unterbett und Kissen - die ostdeutschen Winter waren kalt und die Kammern oft ungeheizt. Aber die Gänsedaunen wärmten ...
Höhepunkt aller Genüsse aber war, ist und bleibt der Gänsebraten, mit Äpfeln und Meihran, in den mit Salz ausgeriebenen Bauch gestopft! Mein Onkel Otto pflegte zu sagen: "Eine Ent ist zum Frühstück zu wenig, zwei sind meist e bißchen viel! Aber eine junge Gans, da kannst gleich huckenbleiben!" Man sah es ihm an! Meine Mutter schwärmte allerdings von einer anderen Zubereitungsart! Als sie Kind war, pflegte mein Großvater nach der Ernte ganze Gänseherden im hinter der nahen Grenze gelegenen Polen aufzukaufen und sie über die Stoppeln zu treiben. Auch die Hirten kamen von "drüben". Die durften sich schon bei den Hunderten von Gänsen einen Vogel holen und ihn auf ihre Weise bereiten: Die ausgenommene, mit Kräutern gefüllte, aber nicht gerupfte Gans wurde in Lehm gehüllt und stundenlang in glühender Asche gegart. Die hart gewordene Hülle wurde dann zerbrochen, die Federn blieben im Lehm stecken, und zum Vorschein kam ein Gänsebraten, von dem ein geradezu sagenhafter Duft aufstieg. Meine Mutter behauptete, sie hätte nie wieder in ihrem Leben etwas so Köstliches gegessen! Heute bereiten Nobelrestaurants allerlei Geflügel auf ähnliche Art (aber zu welchen Preisen!).
Früher legte man wenig Wert auf eine bestimmte Rasse. Das änderte sich erst, als man in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Gänsehaltung zu intensivieren begann, um Großmästereien mit geeigneten Magergänsen zu beliefern. Sie bevorzugten die mittelgroße, feinknochige, nicht zu schwere, weißhäutige Gans, die sich schnell mästen ließ. Diese Anforderungen erfüllte besonders die "masurische Gans", eine alte Rasse, die sich noch hier und da in Masuren erhalten hatte und deren Zucht nun intensiviert wurde. Bei den Landfrauen erfreute sich die masurische Gans großer Beliebtheit, weil sie eine gute Selbstbrüterin war und sich vorzüglich zur Zucht eignete. Allerdings wurde dadurch die Zahl der Gössel - wir sagten zärtlich "Gisselchen" auf die Flaumbällchen - begrenzt, denn die masurische Gans legte gewöhnlich nur 15 bis 20 Eier.
Anders dagegen die weiter verbreitete Viellegergans, wie ihr Name schon besagt. Der Hauptvorteil dieser zweiten ostdeutschen Rasse war eben die große Fruchtbarkeit. Eine Gans konnte es im ersten Jahr schon auf 60 Eier bringen. Dafür brütete sie nicht und sollte es auch nicht. Sie war etwas großknochiger als die masurische Gans und benötigte deshalb mehr Futter. Sie war wie die masurische Gans eine ausgezeichnete Bratgans. Diese beiden Rassen brachten in Ostdeutschland die Gänsehaltung auf einen hohen Stand. So manche Hausfrau in Berlin schwor auf ihre masurische Gans, denn sie war eben als "jut jebratne Jans eine Gabe Gottes".
Da Gänse ein hohes Lebensalter haben, brachte ein guter Zuchtstamm schon großen Vorteil für manche Landfrau. Allerdings hieß es für die Ganter schon in jüngeren Jahren: Kopf ab! Was übrigens laut Gesetz nur mit Betäubung geschehen durfte! Alte Ganter konnten schon bösartig werden. Wer als ostdeutsches Landkind Gänse hüten mußte, wird sich noch daran erinnern, wie solch ein Ganter schon zum Alptraum werden konnte. Dem Angriff eines wütenden Ganters war kein noch so flinkes Kinderbeinchen gewachsen, es gab Bißwunden und blaue Flecken! Manch einer dieser Nachfahren der sagenhaften Capitolretter verteidigte sein Territorium besser und böser als der Hofhund. Nun, der Ganter konnte ja auch nicht den Zagel einkneife |
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