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Von der Demokratie zur Telekratie?

 
     
 
Laut Grundgesetz geht in Deutschland "alle Macht vom Volke aus". Das Volk kann dieses Privileg allerdings nur konkret nutzen, wenn Wahlen anstehen; dann darf es per Stimmzettel bestimmen, wer in den nächsten Jahren stellvertretend die Macht ausüben soll. Das ist auch ganz gut so; die repräsentative Demokratie hat sich weitgehend bewährt. Eine "direkte Demokratie" wie einst im antiken Athen wäre bei einem 80-Millionen-Volk etwas unpraktisch.

Wenn also das Volk die Macht nur indirekt von sich ausgehen lassen darf, will es wenigstens wissen, von wem es sich vertreten lassen soll. Daraus leiten die Volksvertreter die auf ihnen lastende Verpflichtung ab, möglichst lange, möglichst intensiv, möglichst laut und unübersehbar - und meist heißt das auch: möglichst teuer - Wahlkampf zu machen.

In der modernen Massen- (und Massenkommunikations-)Gesellschaft bedeutet Wahlkampf in erster Linie Medien-Wahlkampf. Wie anders als mit Hilfe der Medien (in des Wortes reinster Bedeutung) sollte ein Politiker den Inhabern der Wählerstimmen
vermitteln, warum gerade er und nicht etwa der Konkurrent von der anderen Partei der Beste ist!

Die Medien, die sich gern als "vierte Gewalt" gebärden, ohne im Grundgesetz dazu ernannt zu sein, befinden sich also in einer starken Machtposition. Ob sie der damit verbundenen Verantwortung stets gerecht werden, muß allerdings in Frage gestellt werden. Dies gilt auch für die beiden Fernsehduelle zwischen den Spitzenkandidaten der großen Volksparteien.

Dabei geht es gar nicht darum, wer angeblich Sieger und wer Verlierer war - wer vorher für Schröder war, war es hinterher auch, wer vorher für Stoiber war, war hinterher nicht gegen ihn, und wer vorher unentschlossen war, wird sich seine Entscheidung wohl bis zum Wahltag offen halten. Insofern müßte das Doppel-Duell für die Wahlkampfstrategen eigentlich eine ziemliche Enttäuschung gewesen sein; zählbare Stimmengewinne dürfte keiner erzielt haben.

Dennoch brachte die Veranstaltung Gewinn.

Allein schon die Tatsache, daß jeweils über 15 Millionen Menschen am Sonntagabend, gegen die Konkurrenz von 30 anderen TV-Programmen, sich stundenlang für Politiker - und für Politik! - interessieren, ist bemerkenswert. Das Volk hat sich damit selber ein politisches Reifezeugnis ausgestellt. Dazu gehört auch die von Demoskopen untermauerte Erkenntnis, daß die breite Masse der Wähler ihre Entscheidung eben doch nicht danach trifft, welcher Kandidat die modischere Krawatte, die flippigere Frisur oder die flotteren Sprüche darbot.

Das tagelange Werbe-Trommelfeuer der Öffentlich-Rechtlichen vor der zweiten Runde hätte zu dem Trugschluß verleiten können, vielleicht sogar sollen, an diesem 8. September werde die Bundestagswahl entschieden, der TV-Duell-Sieger sei auch der künftige Kanzler. Am 22. September wird sich zeigen, ob "alle Macht" noch vom Volke ausgeht - oder von den Medien, ob also unsere Demokratie zur "Telekratie" entartet ist. Hoffen wir, daß Heiner Geißler Recht behält, wenn er mit lange vermißter Klarheit kundtat, Deutschlands Schicksal dürfe nicht in die Hände von Visagisten und Frisören falle
 
     
     
 
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