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Man wagt es kaum zu glauben: Sollten die Amerikaner nun tatsächlich einen rechtskräftig und unwiderruflich gewählten neuen Präsidenten haben? Allem Anschein nach und unter dem Vorbehalt, daß doch noch irgendein Bezirks-, Bundes- oder sonstiger Richter dem letzten ein allerletztes Wort hinzuzufügen hat, scheint es sich um Georg W. Bush zu handeln. Aber ganz sicher können wir wohl erst sein, wenn der Mann tatsächlich Anfang Januar ins Weiße Haus eingezogen ist.
In einem Punkt aber können wir jetzt schon sicher sein: Die Vereinigten Staaten von Amerika werden sich in Zukunft schwer tun, in aller Welt als demokratische Musterknaben aufzutreten, meist verbunden mit der Attitüde des Weltpolizist en. Diese Rolle ist ausgespielt, seit die Kandidaten für das höchste Staatsamt nicht mehr mit politischen Argumenten, sondern nur noch mit formaljuristischen Winkelzügen um den Sieg kämpfen.
Nicht zuletzt wir Deutsche haben allen Anlaß, aus dem Debakel von Florida die richtigen Schlüsse zu ziehen. Hierzulande gilt es ja seit langem als schick, unsere eigene Verfassungsordnung, unsere demokratische Reife und auch unser Wahlsystem klein und schlecht zu reden. Am liebsten zerfließen wir vor Dankbarkeit dafür, daß die Amerikaner uns 1945 als Siegermächte mit der Demokratie beglückt haben. Und insbesondere die Pressefreiheit à la US-Ostküstenpresse gilt bis heute als so vorbildlich, daß viele Journalisten ihre Texte am liebsten gleich im amerikanischen Kauderwelsch verfassen würden was zumindest absolut "political correct" wäre.
Haben wir das eigentlich nötig? Haben wir nicht auch große demokratische und freiheitliche Traditionen? Hambach, Paulskirche, Weimar ist das alles nichts? Und haben wir nicht in nunmehr über 55 Jahren bewiesen, daß wir durchaus in der Lage sind, einen demokratisch organisierten freiheitlichen Rechtsstaat aufzubauen und stabil zu halten?
Und das auch in ausgesprochen schweren Zeiten, nicht nur als "Schönwetter-Demokratie". Wiederaufbau eines zerstörten Landes, nach einem geistig wie physisch totalen Zusammenbruch, Flucht und Vertreibung, Aufnahme und friedliche Integration von mehr als zwölf Millionen Heimatvertriebenen, Jahrzehnte der schmerzlichen Teilung des Vaterlandes, schließlich die Wiedervereinigung, zugleich aber der bis heute andauernde Verlust der alten Ostprovinzen das alles ohne die geringste Gefährdung unserer Verfassungsordnung, darauf können wir doch nun wirklich stolz sein! Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie brauchen wir jedenfalls nicht.
Eher sollten die Amerikaner, die sich bislang so gern als demokratische Lehrmeister aufgespielt haben, künftig etwas bescheidener auftreten. Ein solches Schauspiel, wie wir es nun seit Wochen vorgeführt bekommen, pflegen die europäischen Demokratien sich nicht zu leisten. Und bei aller berechtigten Kritik an vielen Dingen in unserem politischen Alltag: Unser demokratisches System ist wohl doch besser als so manches, was politisch korrekte Kommentatoren diesseits und jenseits des Atlantik uns manchmal einreden wollen.
Nina Schulte
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