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Warum die DGB-Philosophie nicht greift

 
     
 
Erste Warnstreiks hat es bereits gegeben, die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall, blasen zum Arbeitskampf. 6,5 Prozent mehr wollen die DGB-Metaller sehen. Angesichts einer schwächelnden Konjunktur erscheint dies nicht nur den betroffenen Arbeitgebern als verantwortungslos. Auch viele Außenstehende sehen die Arbeitnehmervertreter Amok laufen.

Die DGB-Gewerkschafter aber kontern energisch: Eine solche Lohnsteigerung deutlich über der Teuerungsrate schaffe Kaufkraft im Lande und stärke so die Konjunktur. Das Geld fließe ja in die Wirtschaft zurück und bringe endlich den Aufschwung auf Touren. Dieser Logik folgend müßte ein Gehaltszuschlag
von über zehn Prozent ein wahres Wirtschaftswunder auslösen.

Längst vergangenen Lohnrunden, als Gewerkschaften einen "großen Schluck aus der Pulle" mit zweistelligen Zuwächsen durchsetzen konnten, folgte indes eher das Gegenteil von Aufschwung. Also alles Unsinn? Das ARD-Wirtschaftsmagazin "Plusminus" hat nachgeforscht, warum die IG-Metall-Philosophie in der Praxis nicht greift.

Plusminus machte folgende Rechnung auf, die sich an wissenschaftlich ermittelten Durchschnittswerten orientiert: Demnach bekommt ein Beschäftigter von 100 Euro Gehaltserhöhung ohnehin nur 47 Euro ausbezahlt. Der Rest geht als Steuern und Abgaben von vornherein ab. Von den 47 Euro kauft er für zwölf Euro Importwaren. Gut zehn Prozent sparen die Deutschen, hierbei also rund fünf Euro. Am Ende bleiben von den 100 Euro gerade 30 für die gewerkschaftliche "Konsumoffensive" übrig. Dem stehen höhere Lohnkosten von 120 Euro gegenüber, denn schließlich muß der Arbeitgeber auch seinen Anteil an den Sozialabgaben entrichten.

Eins zu vier - so sieht das Verhältnis zwischen gesteigerter Nachfrage zugunsten der deutschen Wirtschaft und den zusätzlichen Kosten aus. Und schlimmer noch: Die höheren Lohnkosten müssen ja irgendwo eingespart werden. Etwa bei den Investitionen der Unternehmen. Da aber auch unternehmerische Investitionen Nachfrage erzeugen, sinkt diese abermals. Einen solchen Abwärtsstrudel - "Schluck aus Pulle", Gewinneinbruch, Investitionsrückgang, Nachfragekollaps, steigende Arbeitslosigkeit - hat die (west-) deutsche Wirtschaft bereits geradezu beispielhaft in den 70er Jahren durchgemacht. Schon vergessen?

Die gescheiterte IG-Metall-Philosophie nun einfach umzukehren, wonach sinkende Löhne alles wieder richten würden, funktioniert indes ebenso wenig. Denn die Ursache der Malaise liegt nicht in den bescheidenen 17 Euro für Importe und Sparen, sondern in den saftigen 73 Euro, welche die öffentlichen Hände aus den Taschen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ziehen. Das ist der Löwenanteil, der Moloch, in dem alle Kaufkraft-Kampagnen am Ende versanden.

Nur eine Lockerung des staatlichen Zangengriffs also kann den gordischen Knoten aus sinkenden Investitionen und zurückgehender Kaufkraft zerschlagen. Zu den abnormen Lohnnebenkosten gesellt sich nämlich ein wirtschafts- und arbeitsrechtlicher Vorschriftendschungel, der den Betrieben kaum noch Luft läßt.

Die weltweit renommierte Unternehmensberatung McKinsey hat deutsche Abiturienten nach ihrer Bereitschaft befragt, selbständige Unternehmer zu werden. Die Mehrheit derer, welche die Selbständigkeit scheuten, gab als Grund hierfür nicht etwa das unternehmerische Risiko an, sondern das unübersehbare Geäst von Vorschriften, das eine Tätigkeit als eigener Herr in Deutschland unattraktiv mache. Nicht die (verständliche) Angst vor dem unternehmerischen Scheitern schreckt - es sind der Staat und seine Folterinstrumente.

Jenes schon unter Schmidt und Kohl hinreichend abschreckende Gruselkabinett hat Rot-Grün um weitere Daumenschrauben ergänzt (325-Euro-Gesetz, erweiterter Kündigungsschutz, Betriebsverfassungsgesetz etc.). Insbesondere die in der SPD einflußreichen DGB-Gewerkschaften und der aus ihnen hervorgegangene Arbeitsminister Riester hinterließen hier ihre Handschrift. Begonnen hatte die Fehlentwicklung freilich lange zuvor. Doch während die meisten unserer Nachbarn in den 80er und 90er Jahren die Wende schafften (und uns daraufhin wirtschaftlich abhängten), sorgten hierzulande Kanzler Kohl und sein Arbeitsminister Blüm dafür, daß in Deutschland alles beim alten blieb. Ihr Motiv: Lieber Reformstau als Krach mit dem DGB. Konsensgerede und das "Bündnis für Arbeit" sollten weihevoll verhüllen, daß zum längst überfälligen, beherzten Zupacken der Mut fehlte.

Es stimmt daher nicht gerade optimistisch, wenn nun auch Unions-Kandidat Stoiber die alte Kamelle vom "Bündnis für Arbeit" aus der Truhe zieht. Ein neues "Bündnis" dieser Art wird genauso wenig bewegen wie das alte. Das kann Deutschland sich aber nicht mehr leisten. Ab September müssen die deutschen Reformdefizite bei der Wurzel gepackt werden. Um herauszubekommen, was zu tun ist, bedarf es keiner großen Phantasie - der Blick auf Skandinavien oder die Niederlande reicht. Es bedarf eines Kanzlers mit Stehvermögen und dem eisernen Willen, sich gegen die DGB-Lobby des Stillstands durchzusetzen.

Bietet Edmund Stoiber diesen Kräften erst noch ein "Bündnis" an, muß er ihnen Zeit geben, darauf einzugehen. Diese Zeit würde ihm später fehlen für auch schmerzhafte Veränderungen. Die Erfahrung zeigt, daß die großen programmatischen Würfe im ersten Jahr einer Legislaturperiode erfolgen oder gar nicht mehr. Danach werden die Weichenstellungen (so sie denn erfolgten) nur noch umgesetzt, um die Wiederwahl zu sichern. Tragisch, wenn ein Kanzler Stoiber seine entscheidenden Monate mit sinnlosen Konsensrunden vertät
 
     
     
 
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