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Was macht Joschka so sexy?

 
     
 
Totgesagte leben länger. Das gilt auch für Gegengift, eine Zeitschrift für Politik und Kultur, die mehr als ein Jahrzehnt im bayerischen Pfaffenhofen erschien. In dieser Zeit erwarb sie sich in gehobenen konservativen Kreisen einen guten Ruf. Die Zeitschrift schlief aber ein, als der Herausgeber, damals noch Inhaber einer kleinen

Regionalzeitung, nach Madrid auswanderte, um dort als freier Korrespondent zu arbeiten. Nach zwei Jahren Auszeit meldet sich Gegengift nun zurück auf der publizistischen Bühne Deutschlands. Das alte Format wurde beibehalten, nur kommt Gegengift jetzt als Monatsheft heraus. Das Titelblatt ziert eine grob gezeichnete Faust, die eine spritzenartige Feder umfaßt, von der ein dicker Klecks Tinte (oder Gegengift?) tropft.

"Wen hassen? Wen verachten? Wen verspotten?" fragt Herausgeber Michael Ludwig im Editorial mit Blick auf Deutschlands politische "Elite" und zitiert dazu Kurt Tucholsky
: "Wer die Menschen mit 40 Jahren nicht haßt, der hat sie nie richtig geliebt." Haß auf Deutschlands politische Klasse, die verantwortlich ist für den unübersehbaren Verfall des Landes, hält er für nicht ganz abwegig. Die große Gegengift-Umfrage "Was macht Joschka so sexy?" basiert auf einer Schlagzeile der Bild-Zeitung und hat erstaunliche Antworten zutage gebracht, von zotig-deftigen Liebeserklärung an den Außenminister über den Versuch, ihn als "vollendet selbstreferentiellen Politiker" zu deuten, bis zum naheliegenden Hinweis auf seine Macht und Brutalität, die manche Frauen durchaus schätzten.

Gegengift veröffentlicht politische Analysen wie auch feuilletonistische Aufsätze und bemüht sich, eine gesunde Balance zwischen beiden zu halten. Der Beitrag des Historikers Kenneth Killiany aus Washington mit dem Titel "Wie weit rückt Amerika nach rechts?" beleuchtet die jüngste Entwicklung der Supermacht. Viele Deutsche haben Aversionen gegen die Bush-Regierung entwickelt, doch sollte dies nicht die Sicht verstellen auf ein Land, das immer konservativer erscheint und doch in vielem moderner ist als Europa. Was für einen Kontrast bietet da die deutsche Hauptstadt mit armseligen Clownpolitikern wie Klaus Wowereit, dessen jüngste Eskapaden Frank Sage in seinemAufsatz "Wowi und die Biedermänner" geißelt.

Weitere Artikel der ersten Ausgabe der wiederbelebten Zeitschrift befassen sich mit dem Antidiskriminierungsgesetz, der Entwicklung von Parallelrechtswelten und dem aufregenden Leben in einem multikulturellen Viertel sowie mit den Gewerkschaften und ihrer Rolle beim Abstieg Deutschlands. Daran schließt ein ausführlicher Rezensionsteil an, der ausgefallene oder vergessene Literatur würdigt. Schließlich gibt es eine Rubrik "Berliner Spaziergänge", diesmal zu den entlegeneren Denkmälern der Hauptstadt. Gegengift, einst aus der bayerischen Provinz angetreten, hat an Format gewonnen. Bei seinem Weg scharf gegen den Wind des Zeitgeistes sind ihm viele Leser zu wünschen. FPP

Probeheft: Gegengift-Verlag, Gerstenstraße 2, 85276 Pfaffenhofen
 
     
     
 
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