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Eugène Ionesco, der Großmeister des absurden Theaters, hätte es kaum besser erfinden können: Das Staatsschauspiel, das SPD-Chef Müntefering und sein Kanzler Schröder dem über nichts mehr staunenden Publikum boten, geriet zum absurden Schmierenstück. Erst bekundet der Regierungschef, er könne sich für seine Politik nicht mehr auf die rot-grün e Koalition stützen und bitte daher, ihm das angeblich nicht mehr vorhandene Vertrauen formell zu entziehen, dann versichert der Partei- und Fraktionsvorsitzende Schröder des fortbestehenden vollen Vertrauens, um sich bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage zu enthalten. Daß dabei auch der Fragesteller selbst klarstellte, daß er sich selber nicht mehr so recht traut, wurde schon als fast normal empfunden.
Indem er das Gerangel um die Vertrauensfrage zur Farce degradierte, mit der die in diesem Punkt lückenhafte Verfassung ausgehebelt werden soll, hat Müntefering den Bundespräsidenten in die Bredouille gebracht. Köhler kann natürlich nicht so tun, als seien diese verworrenen Äußerungen des SPD-Chefs nicht gefallen; falls er sie nicht als unerhebliches Geschwätz abtut, müßte er eigentlich die beantragte Auflösung des Bundestages ablehnen.
Politische Beobachter in der Hauptstadt halten es für durchaus denkbar, daß genau dies einkalkuliert war. Was will "Münte" also wirklich? Hat er - angesichts der anhaltend schlechten Umfragewerte und der lästigen Linksaußen-Konkurrenz - "kalte Füße bekommen" und sich innerlich von dem angeblichen Geniestreich mit den vorgezogenen Neuwahlen längst wieder verabschiedet?
Sollte der Bundespräsident tatsächlich Münteferings überraschende Ergebenheitsadresse gegenüber Schröder so wichtig nehmen, daß er den Weg zu Neuwahlen versperrt, würde nach allgemeiner Einschätzung alles auf einen Rücktritt des Kanzlers zulaufen. Schröder hätte nur noch eine letzte Karte im Ärmel: den Rausschmiß der grünen Minister. Damit wäre aber nicht nur die Koalition, sondern das gesamte linke Lager in politisch kaum noch wahrnehmbare Trümmerstückchen zerlegt. Der Parteichef wird alles daran setzen, seiner SPD ein solches Debakel zu ersparen.
Zum Beispiel, indem er sich selber für ein knappes Jahr zum Kanzler küren läßt. Dies ließe den gebeutelten Sozialdemokraten wenigstens die vage Hoffnung, irgendwann die Talsohle der Wählergunst durchschritten zu haben und den "Genossen Trend" wieder auf ihre Seite zu bringen. Mit etwas Glück könnte man im Herbst 2006 ja auch auf günstigere Wirtschaftsdaten und Arbeitslosenzahlen zugreifen. Und ob eine jetzt unter Zeitdruck in Stellung gebrachte Kanz- lerkandidatin Merkel ein ganzes Jahr lang "die Reihen fest geschlossen" halten kann, darf mit einigen Fragezeichen versehen werden. So könnte es aus Münteferings Perspektive mehr als nur ein letzter Strohhalm sein, die eigenen Neuwahlpläne zu torpedieren. Juliane Meier
Was sagt eigentlich das Grundgesetz?
Artikel 68: "Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen."
Kein Wort also davon, daß die Bedingungen, unter denen die Nicht-Zustimmung zustande kommt, ein Rolle spielen - vielleicht sollte man sich ja, bis der Bundestag sich ein sauberes Selbstauflösungsrecht gegeben hat, einfach an den Wortlaut des Grundgesetzes halten. |
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