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Heftige Kritik am Umgang der evangelischen Kirchen mit den einst Mächtigen des SED-Staates hat der bei der Gauck-Behörde tätige Theologe Ehrhart Neubert geübt. Für die starke Entchristlichung des mitteldeutschen Raumes sei nicht allein die kirchen- und christenfeindliche Politik der SED verantwortlich, sondern auch die Kirche selbst.
Für den äußeren Rahmen seien die vielfältigen Formen des Versagens in den Akten der Gauck-Behörde deutlich greifbar geworden. Insbesondere sei der zu enge Umgang mit den SED-Behörden zu kritisieren, der zudem noch mit durchsichtigen Mitteln und Methoden als notwendig kaschiert worden sei: "Sie ethisierten den Vertrauensbruch und nannten ihn Kirchendiplomatie", meinte Neubert. Voraussetzung für eine kraftvolle Zukunft aber sei eine endlich auch erkennbare Umkehr: "Weil aber die Versöhnung in der DDR-Zeit zur konfliktscheuen Kirchendiplomatie und dem ängstlichen Ausgleich mit den atheistischen Machthabern verkam, wird auch heute noch Versöhnung in geist- und kraftlosen Worthülsen als Waschanlage der Angepaßten mißbraucht."
Ähnlich argumentierte auch der frühere Bevollmächtigte des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung, Altbischof Heinz-Georg Binder (Esens / Ostfriesland), der bereits kurz nach dem Fall der Mauer erklärt hatte, die Kirche habe "das brutale, totalitäre System des östlichen Sozialismus zu oft verharmlost". Der Altbischof warnte in diesem Zusammenhang übrigens davor, die Praxis der öffentlichen Beichten nicht inflationieren zu lassen. Sie wirkten oft wie der ritualisierte Vorspann zu einer politischen Stellungnahme: "Wenn über Entwicklungshilfe geredet wird, gilt es, zuerst die Schuld des Kolonialismus und möglichst der Missionare zu bekennen". Das Schuldbekenntnis gehöre aber zuallererst in den Gottesdienst, in das Gebet sowie in das "offene Gespräch mit dem Nächsten".
Hierzu gehört es aber sicher auch, das Versagen der westdeutschen Teilkirchen stärker öffentlich zu benennen, die bekanntlich seit den Tagen des Mauerbaus zunehmend stärker den Weg der Abkehr gegangen sind, indem trotz vielfältigster Hilfe auf unterer Ebene bald nur noch der Weg zu den Oberen von Kirche und Staat der DDR gesucht wurde. Es bleibt auch im nachhinein unverkennbar, daß die evangelische Kirche seit der Nachkriegszeit noch immer keine tragfähige Konzeption für den Umgang mit der deutschen Nation gefunden hat.
Während sie wie selbstverständlich die westdeutsche Bundesregierung anerkannte, ließ sie zunehmend stärker den Begriff der Nation außer Betracht, ohne ihn aber je ersetzen zu können oder zu wollen und wertete zugleich das SED-Regime auf, was zugleich die Glieder der Kirchen in Mitteldeutschland noch ratloser werden ließ, um den machtpolitisch geradezu beispiellos unterfütterten ideologischen Vorstoß auffangen zu können.
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