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Zeitlich ist es nur ein kurzer Schritt von den "Ami go home"-Parolen in Deutschland bis zum Wehklagen über den angeblichen "Liebesentzug", den die Amerikaner mit dem angekündigten Abzug rund der Hälfte ihrer in Deutschland stationierten Truppen beabsichtigen. Dabei hatten im Kalten Krieg SPD und Grüne, besonders ihre 68er-Klientel, oft genug im Bündnis mit den westdeutschen Kommunisten und den Machthabern in der "DDR" nichts unversucht gelassen, um die "US-amerikanischen Imperialisten" und ihre Raketen, Flugbasen und militärischen Einrichtungen zu bekämpfen. Der rot-grün e Flirt mit den damaligen Kremlherren im "Weltfriedenskampf" war nicht zu übersehen. Heute nun weint Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) den abziehenden amerikanischen Soldaten Krokodils-tränen nach und lobt das "wunderbare Verhältnis zwischen der US-Armee und den Bürgern", das an jedem Standort bestehe.
Das Nein des derzeitigen Bundeskanzlers und seiner rot-grünen Mehrheit zur Irak-Intervention der USA und die Verweigerung deutscher Teilnahme daran - vor zwei Jahren massiv und mit Erfolg im deutschen Wahlkampf eingesetzt - hat es der amerikanischen Administration gewiß nicht schwer gemacht, ihre jüngste Entscheidung zum Truppenabzug aus Deutschland zu treffen. Doch das entscheidende Argument für den Abzug sind die weltweiten strategischen Interessen der einzigen verbliebenen Supermacht. Haben doch die USA in ihrer Geschichte und Gegenwart stets ihren eigenen Interessen Vorrang eingeräumt. Das zu erkennen und bei eigenen Entscheidungen zu bedenken, ist eine der wichtigsten Aufgaben deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Das 1989 vom da- maligen US-Präsidenten George Bush sen. gemachte Angebot an Deutschland zur "partnership in leadership" hat nach der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten auf deutscher Seite nie die Bedeutung erlangt, die ihr von amerikanischer Seite zugedacht war.
Gerade darum ist es erfreulich, daß sich der auslandserfahrene Bundespräsident Horst Köhler in seiner Antrittsrede unlängst zu der Einsicht bekannte: "Für mich ist Freiheit der wichtigste Wert, der Europa und Amerika dauerhaft verbindet. Und ich sehe Amerika weiterhin als Hort der Freiheit. Es ist wahr: Die Amerikaner haben ihre Fehler gemacht - wir Europäer die unseren. Klar ist für mich aber auch: Niemandem kann an einem Zerrbild Amerikas in der Welt gelegen sein."
Angesichts dieser Situation und der Tatsache, daß sich auf dem deutschen Büchermarkt eine einseitig amerikafeindliche, oft gehässig bis verleumderische Literatur breitgemacht hat, ist es erfreulich, daß unlängst beim Münchner Verlag Herbig eine objektive und kritische, aber wissenschaftlich zuverlässige Geschichte der Weltmacht Amerika erschienen ist. Die 600 Seiten des Buches "Pax americana. Die Geschichte einer Weltmacht" wurden mit Sachverstand und spannend von zwei ausgewiesenen Wissenschaftlern, dem Professor der Politik an den Universitäten Erlangen, Nürnberg und Bayreuth, Konrad Löw, und dem Politikwissenschaftler Wolfgang Effenberger, München, geschrieben.
Die Autoren gehen von den angelsächsischen Wurzeln aus, veranschaulichen die Entstehung und Entwicklung der Vereinigten Staaten, die Zusammenhänge sowie die Parallelen im Aufstieg des frühen England und des heutigen Amerika zur Weltmacht. Sie entschleiern die Gründungsmythen, das zielstrebige Ausblenden der dunklen Seiten aus dem Buch der eigenen Geschichte (Bürgerkrieg mit 600.000 Toten, das Schicksal der Ureinwohner und der schwarzen Sklaven). Effenberger und Löw beschreiben den unbändigen Freiheitsdrang als Ergebnis einer Entwicklung, die sich bereits in den Unternehmungen der Normannen und Wikinger zeigte. Die Rolle der ersten Siedler, der späteren Einwanderer und die Bedeutung der religiösen Gemeinschaften mündet in ein Sendungsbewußtsein, "in Gottes eigenem Land" zu sein. Sie gründeten Städte und Staaten, stets auf dem Weg zu "neuen Grenzen", die es zu überwinden galt. Hehre Ziele ergaben sich aus alledem: schließlich die Entschlossenheit, die Welt, notfalls mit Gewalt, von ihren Schurken zu erlösen.
Die ganz außergewöhnliche Erfolgsgeschichte, die Amerika zu seiner "historischen Mission" inspiriert, wird eindrucksvoll beschrieben: Während der Aufstieg Roms zur "Weltmacht" der Antike mehr als ein halbes Jahrhundert gedauert hat, benötigten die USA dafür weniger als ein halbes Jahrtausend. 142 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von England (1776) entschied ihren Interessen gemäß das Eingreifen der Vereinigten Staaten den ursprünglich europäischen Ersten Weltkrieg. Als vorherrschende Kontinentalmacht zwischen Atlantik und Pazifik entfalteten die Vereinigten Staaten weltweit ihre maritime Macht zum Schutz ihrer Handelsverbindungen wie ihrer Märkte. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Amerika Großbritannien in dessen Rolle als Beherrscher der Meere endgültig abgelöst. Schließlich überstand die atomare Supermacht USA ihre ideologiegestützten Kontrahenten: Die atomar ebenfalls hochgerüstete expansive Sowjetunion implodierte, und es gelang, das kommunistische bevölkerungsreichste Land der Erde, China, einzudämmen.
Die Sowjetunion, vom US-Präsidenten Ronald Reagan unter der interessenbedingten Zustimmung der Mehrheit der Deutschen als das "Reich des Bösen" angesprochen, wurde durch die bis in den Weltraum reichende Rüstung der USA in den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch getrieben. In unseren Tagen genügte der vermeintliche Griff nach Massenvernichtungswaffen durch Saddam Hussein, um den Irak als "unzuverlässigen Staat" mit Krieg zu überziehen. Die Mehrheit der Deutschen zollte diesmal nicht Beifall, sondern lehnte diesen amerikanischen Krieg ab, weil eigene deutsche Interessen nicht erkennbar waren. Die Ausweitung potentieller amerikanischer Kriegsziele ist eher zur Besorgnis geworden. Sicher ist, daß die USA ihre Interessen weltweit offensiv vertreten und die restliche Welt als ihren eigenen Hinterhof betrachten. Das führt zwangsläufig dazu, daß Fehler der USA weltweit ihre negativen Auswirkungen auch auf scheinbar Unbeteiligte haben. Mit anderen Worten: Die Politik der USA geht alle an, und die Kenntnis der Geschichte der USA und des von ihr geprägten Denkens und Handelns als Supermacht ist unverzichtbar bei der Gestaltung jeglicher Außen- und Sicherheitspolitik.
Die Schlußfolgerung der Autoren: Nach dem Zusammenbruch des Sow-jetblocks und dem Ende des Kalten Krieges sieht sich Amerika als "einzig verbliebene Supermacht" und schickt sich an, die Welt nach seinen Interessen in einer "Pax Americana" zu gestalten. Die Siege in beiden Weltkriegen und im Kalten Krieg sowie das Trauma des 11. September rechtfertigen in den Augen vieler Amerikaner die vorbeugende Selbstverteidigung einschließlich der Mißachtung des Völkerrechts.
Die Autoren geben damit die Antwort auf die Fragen: Sind wir Zeitzeugen eines "neuen Roms" - der Vereinigten Staaten von Amerika? Führen heute "alle Wege nach Washington", so wie einst zum imperialen Rom? In ihrem Nachwort "Pax Americana oder Imperium Americanum?" verweisen sie nicht nur darauf, daß im vergangenen Jahr Peter Bender über die "Weltmacht Amerika - Das Neue Rom" geschrieben hatte, sondern auch Herbert Krempt in der Tageszeitung "Die Welt" gefragt hatte: "Sind die Amerikaner die Römer unserer Tage?" Er habe zugleich aufgezeigt, daß Imperien immer an ihrer Überdehnung gescheitert seien. Moralisch-religiöse Kategorien von "Gut und Böse" lieferten den Unterbau der imperialen Perspektive, so daß heute in dem "Drama von Raum und Reich" erneut alle Zutaten für eine Tragödie im Weltmaßstab angelegt seien.
Auch der Hinweis der Autoren auf einen Beitrag von Stefan Rabenisch in der Wochenzeitung "Die Zeit" sei angeführt. Er schreibt, daß im Unterschied zum historischen Rom es in den USA nicht aristokratische Feldherren seien, die sich als Boten von Menschlichkeit, Zivilisation und Kultur verstünden. Heute in den USA bestimmten vielmehr Geschäftsleute und Anwälte die Geschicke des Landes, die sich als Garanten der Freiheit und Demokratie verstünden und damit den "American way of life" meinen, und das, solange es den amerikanischen Interessen diene. Dazu Rabenisch: "Während die antike Großmacht durch Krieg und Kriegsdrohung ihre Herrschaft vergrößerte, erobern die USA nur solche Staaten, die sie nicht kaufen können - gemäß der Devise: ‚Vor den Kugeln kommen die Dollars. Erobern wiederum sei für Rom das Ergebnis politischer Verwicklung gewesen, für das durch wirtschaftliche Interessen geleitete Amerika hingegen ein Lebensgesetz." Auch angesichts dieser Bandbreite kluger und nachdenklicher Äußerungen ist das Buch von Löw und Effenberger ein hervorragender Beitrag zur außen- und sicherheitspolitischen Diskussion unserer Zeit.
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