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Sie ist ein vielseitiges Energiebündel und hat für ihr aktuelles Buch "Tschador - Im geteilten Herzen des Iran" ein ebenso geartetes Land über Monate hinweg studiert. Lilli Gruber, die als Journalistin, Bestsellerautorin und Europaabgeordnete in der italienischen Öffentlichkeit steht, wurde beim Lesen eines Zeitungsartikels zu den im Iran anstehenden Wahlen im Jahr 2005 in einem Pariser Café von einer Exil-Iranerin angesprochen. "Im Iran wird Ihnen jedermann versichern, daß es keine wirkliche Revolution gegeben hat ... Unter der Herrschaft des Schahs waren die Menschen glücklich. Die Arbeitslosigkeit ging zurück. Alle Kinder konnten die Schule besuchen. Auch wer nicht besonders reich war, konnte sich zwei Autos leisten."
Der Behauptung geht die Italienerin, begleitet von ihrem französischen Ehemann und einer iranischen Architektin, vor Ort nach. Zusammen erkunden sie den Iran: die Kaderschule der Ayatollahs in Qom, die jüdische Gemeinde in Shiraz, die Pilger-Stadt Maschad und Isfahan mit seiner Teppichindustrie und alten Baupracht. Sie besuchen Shirin Ebadi, die Menschenrechtlerin und Nobelpreisträgerin, und Zohreh Sefati, die einzige Frau, die Ayatollah wurde.
"Zu meiner großen Überraschung stelle ich fest, daß wir nicht die einzigen Frauen im Stadion sind. Meine Nachbarinnen tragen Tschador, aber Designersonnenbrillen ..." Immer wieder stolpert die Europäerin über Merkwürdigkeiten im iranischen Alltagsleben. "Ich frage mich, warum die Iraner so auf Einhaltung bestimmter Vorschriften bestehen, nur um sie dann einen Moment später einfach zu ignorieren."
Ungläubig vernimmt Lilli Gruber, daß Schönheitschirurgen im Iran sehr gefragt seien. Grund hierfür sei das Tragen des Tschadors, da die Frauen, ansonsten verhüllt, zumindest durch ein schönes Gesicht auf sich aufmerksam machen wollten.
Erstaunlich offen erzählen die unterschiedlichsten Menschen der Journalistin von ihren Sorgen, Nöten und Meinungen. In Frauenhäusern, Drogenvierteln, Taxis, Hotels und Geschäften erfährt die 1957 in Bozen geborene Lilli Gruber, was die Iraner bewegt. Revolutionsbefürworter und -gegner reden gleichermaßen offen über ihre Belange. Daß die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, wird schnell offenbar. "Auf der schattigen Terrasse ihres Hauses in Darband erzählt Taraneh von der aufregenden und hoffnungsvollen Zeit der Revolution. ,... dann kam die Zeit, in der Frauen (ohne Tschador) auf der Straße mit Säure angegriffen wurden. " Taranehs Hoffnung auf Freiheit wurde mit der Unterdrückung der Frau beantwortet.
Lilli Gruber hinterfragt die verschiedensten Dinge, beschreibt farbenfroh das Leben in dem von Armut gekennzeichneten Erdöllieferanten. Der Gottesstaat verordnet allzu viele Regeln, die sich die Menschen laut Gruber immer wieder bieten lassen. Die Iraner wollen stolz auf ihr Land sein, deswegen befürworten sie auch mehrheitlich die weltweit umstrittene Atomforschung ihres Landes, ansonsten ist das Land aber sehr uneinheitlich.
Nach der Lektüre von "Tschador - Im geteilten Herzen des Iran" ist der Leser sehr umfassend über Gegenwart und auch die Vergangenheit des Landes am Kaspischen Meer informiert, doch wer eindeutige Eindrücke und Stimmungen sucht, wird enttäuscht. Bel
Lilli Gruber: "Tschador - Im geteilten Herzen des Iran", Blessing, München 2006, geb., 350 Seiten, 19,95 Euro |
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