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Weit weg und doch gegenwärtig

 
     
 
Im Jahr 1526 herrschte in Europa die blanke Angst. Am 29. August jenes Jahres verlor der ungarische König Ludwig II. gegen die Türken Schlacht und Leben. Nicht bloß der größte Teil Ungarns stöhnte unter der Fuchtel des Sultans, ganz Südosteuropa spürte die Knute der Türken. Nun bedrohte ihr Krummsäbel das entsetzte Mitteleuropa, gegen dessen löcherige Verteidigung die Heerscharen der Osmanen immer häufiger anrannten. Schon 1529 belagerten sie Wien, und Europa sah sich "existentiell in Frage gestellt".

Lange Zeit verkannten viele Historiker die elementare Bedeutung der Türkenkriege. Klaus-Peter Matschke, emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte und Byzantinistik, entfaltet wie ein kubistischer Maler souverän, kenntnis- und facettenreich das verwickelte Geschehen.

Am gründlichsten bearbeitet Matschke die Zeit vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, während er das 17. Jahrhundert eher summarisch erläutert. Die Darstellung endet mit dem Frieden von Karlowitz (1699), der den "großen Türkenkrieg" abschloß.

Der erste "säkulare Vorstoß" der Türken zertrümmerte stückweise das oströmische Reich. Jede byzantinische Stadt wurde einzeln abgeschnürt, ausgehungert, erobert und besiedelt. 1354 betraten die Türken dauerhaft europäischen Boden.

In dem zutiefst militaristisch geprägten Staat der Osmanen war "Krieg der Normalzustand". Jugendliche unterworfener christlicher Völker rekrutierten die Türken zwangsweise, zwang sie zum Islam zu konvertieren und steckten die "Janitscharen" genannten Berufs
soldaten in Kasernen. Bis heute traumatisiere jene schaurige "Knabenlese" die Völker des Balkans.

Allerdings wollten die Türken nicht nur rauben und okkupieren. Sie erstrebten ein islamisches Weltreich, das seine Krönung in der Eroberung Roms finden sollte. Diese "Weltreichsidee" betrachtet Matschke etwas zu beiläufig.

Der Westen leistete Byzanz keine wirksame Hilfe. 1396 und 1444 scheiterten europäische "Kreuzzüge" bei Nikopolis und Varna. Die europäischen Staaten rivalisierten miteinander und bekämpften manchmal sogar das oströmische Reich. Am Ende erschien es dem Papst wichtiger, die orthodoxen Byzantiner zur katholischen Religion zu bekehren, als ihnen tatkräftig beizustehen. Konstantinopel erlag 1453 dem türkischen Ansturm. Aber der Westen, so Matschke, mußte an den Folgen "seiner Uneinigkeit und seines Eigennutzes" bitter tragen.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts eroberten die Türken unter Süleyman dem Prächtigen binnen weniger Jahre Nordafrika, ebenso Mekka und Medina, beugten Ungarn ins Joch. Erst jetzt entstand im Westen "das Bewußtsein einer unmittelbar drohenden türkischen Gefahr". Luther veröffentlichte seine Brandschrift "Vom Kriege wider die Türken", und das schwerfällige römisch / deutsche Reich konstruierte ein Steuersystem zur Finanzierung der Türkenkriege. Hingegen unterstützte Frankreich zeitweise die Hohe Pforte.

Süleyman eiferte Alexander dem Großen nach und hoffte, Karl V., der im Mittelmeer gegen osmanische Korsaren kämpfte, die Kaiserwürde abzunehmen. Dennoch erstarrten in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Fronten. Habsburg errichtete eine "Militärgrenze", in deren Nähe Freibauern lebten. Allmählich erstarkte der Westen; gleichzeitig verlor das autokratische Osmanenreich an Dynamik. Effektive, zentral geleitete Staatsverwaltungen, Manufakturen, neue kriegswissenschaftliche Erkenntnisse und moderne Waffen ermöglichten die Wende in den Türkenkriegen. 1683 gelang es deutsch / polnischen Truppen, die zweite Belagerung Wiens durch die Türken siegreich aufzuheben.

Nur Matschkes sehr knappe universalhistorische Analyse der Türkenkriege läßt zu wünschen übrig. Aber dieses Manko schmälert keinesfalls den Wert des informativen und spannenden Buches. Heute seien, meint der Autor, die "Türkenkriege weit weg und doch irgendwie gegenwärtig". Rolf Helfert

Klaus-Peter Matschke: "Das Kreuz und der Halbmond - Die Geschichte der Türkenkriege", Artemis und Winkler, Düsseldorf 2004, Hardcover, 420 Seiten, 28 Euro

 
     
     
 
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