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Wenn die Wildgänse ziehen

 
     
 
Wildgänse rauschen durch die Nacht, mit schrillem Schrei nach Norden ... Genauso wie Walter Flex den Zug dieser scheuen Vögel in der 1. Strophe dieses Liedes beschreibt, haben wir Niederunger dieses Naturereignis in jedem Frühjahr aufs neue erlebt. Sie kamen mit der Schneeschmelze, wenn die riesigen Wassermassen aus Rußland die Eisdecke von Memel, Ruß und Gilge bersten ließen und die außendeichs gelegenen Wiesen überschwemmten. Noch mußten sie nachts auf den weiten Äckern und Weiden
der eingedeichten Niederung rasten und ließen sich weder durch Vogelscheuchen noch durch die Flüche der Bauern von den Saaten fernhalten. Selbst die Jäger konnten die nacheinander einfallenden "Heerscharen" wenig beein-drucken. Bald reichte das Hochwasser bis an die Deichkronen und ließ die Deichwachen nicht schlafen. Schlick und Schlamm, Sträucher, Bäume, Holzschuppen, Tierkadaver und selbst Leichen trieben dem Haff zu.

Bald türmten sich die Eisschollen auf dem Rußstrom zu haushohen Gebirgen auf, bis sie durch die starke Strömung in sich zusammensackten und von Pionieren gesprengt werden mußten. Mit dem Eisgang konnte nun das mächtige Oberwasser zum Haff und zur Ostsee abfließen. Die höher gelegene Krant (Uferdüne) am Rußstrom fiel trocken. Viele riesige, scharfkantige Eisschollen blieben auf ihrem Rücken liegen, während die tiefer liegenden Wiesen zum Deich hin noch lange unter Wasser standen, um dann allmählich einem goldenen Teppich von Sumpfdotterblumen zu weichen.

Nun wurde der lange schmale Krantstreifen zum bevorzugten Rastplatz der "graureisigen Geschwader". Ihre dichten Schwärme konnten die Sonne verdunkeln, und ihr Schreien war bis in unsere Schlafzimmer zu hören. Meine Erinnerung daran ist so nachhaltig, daß ich heute noch - nach vielen Jahren - die ersten ziehenden Graugänse sogar körperlich spüre. Und schon ihr leisester Laut läßt mich zum Himmel schauen und beglückt den keilförmigen Zug bis zum Horizont verfolgen. Da wird mir die Weser zum Rußstrom. Die heimatlichen Moore, die sumpfigen Erlenwälder, das ganze Mündungsdelta mit Ruß, Skirwieth-Strom, Atmath, Minge, Schiesche werden wieder lebendig - und machen mich oft krank. Dieses Eldorado von Elchen, Reihern und Kranichen und eben auch ziehenden Wildgänsen gibt es heute noch. Nur nicht für uns, die im Frühjahr 1945 in langen, grauen Trecks über das zugefrorene Frische Haff ausgerechnet nach Westen fliehen mußten.

Zu den beglückenden Erinnerungen an die Wildgänse gehört allerdings auch die Jagd auf sie. Sie machten es dem Jäger nämlich viel schwerer als Hase, Reh oder anderes Flugwild, mit einer lohnenden Beute heimzukommen. Wegen ihres dichten Gefieders müßte man möglichst aus nächster Nähe zum Schuß kommen. Da war guter Rat teuer, denn die einfallenden Gänse witterten förmlich jeden Fremdkörper auf dem sonst so sicheren Rastplatz am Rußstrom. Ein findiger Kopf kam schließlich auf die geniale Idee, schon im Herbst eine größere Holztonne auf der Krant einzugraben. Der erste Versuch schlug fehl, weil der Frost während des Winters die Dauben eingedrückt hatte. Im nächsten Herbst stabilisierte man sie daher von innen mit Holzkreuzen, die dann im Frühjahr wieder entfernt wurden. Nach dem Ausschöpfen des Wassers gewährte nun die Tonne inmitten der liegengebliebenen Eisschollen eine perfekte Deckung. Nichts sollte die Wildgänse vergrämen. Selbst den Kahn durfte es nicht geben. Meist ließ sich der Jäger daher schon am frühen Nachmittag vom Deich zur Krant übersetzen. Der Ansitz in der engen Tonne konnte dann bis zum einsetzenden Vogelzug noch Stunden dauern. Gewiß war das qualvoll. Aber mit Naturbeobachtungen, Träumereien und im Jagdfieber verging die Zeit wie im Fluge.

Und plötzlich hundertfaches Flügelschlagen. Zeit, auf die einfallenden Gänse zu schießen. Danach stiebt der Schof durcheinander und streicht eilends über den Strom ab. Zwei Gänse bleiben auf der Strecke. Keine Zeit zum Einsammeln. Gleich werden weitere Züge bis zur Dunkelheit folgen. Aber der Himmel blieb leer. Genug für heute. Die Jagd ist ja noch bis zum 31. März offen.

Dank dieses listenreichen Einfalls wurde das Jahr, als das Memelland an das Reich zurückfiel, das erfolgreichste Gänsejagdjahr überhaupt. Daß es heute dennoch genug Wildgänse gibt, beweisen die riesigen Vorkommen in den Winterquartieren Ostfriesland, Holstein und Usedom. Und sie werden - bei maßvoller Bejahung - die Zeiten weiter überdauern. Hier, an ihren Brutplätzen im hohen Norden, und sicher auch auf ihren Zügen über die Elchniederung in Ostdeutschland.

Memelland: Dorf am Rombinus /p>  

Ein guter Tag
von Christel Poepke

Das Weberschiffchen

flicht mir

nahtlos

Stund an Stunde,

läßt keine

heimatlos zurück

und keine

löscht die andre aus

mit ihren Fragen.

Des Abends

wärm ich mir

die Füße

am Teppich,

der mir heut gelang.
 
     
     
 
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