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Engelbert Kremser, geboren 1939 im oberschlesischen Ratibor, ist ein Grenzgänger unter den Architekten, umstritten und eigenwillig. Seine Erdbauweise steht in der Tradition der organischen Architektur. Mit Antonio Gaudi und Friedensreich Hundertwasser teilt er das Interesse, Naturformen in Architekt ur zu übertragen. Wie sie verpönt er den rechten Winkel. Zu Unrecht ist er fast in Vergessenheit geraten, obwohl seine seit den 1970er Jahren geäußerte Kritik an der spätmodernen Architektur mit ihren banalen Wohnkisten, ihrem Funktionalismus, ihrer Naturferne und ihrem Verkehrsfanatismus heute so aktuell ist wie damals.
In Ölbildern auf Kunststoffolie oder Transparentpapier, in Aquarellen und Collagen schafft er eine ganz andere gebaute Welt, die es ihm einige wenige Mal vergönnt war in Realität umzusetzen. Jedoch ließ man ihn nur das bauen, was als "unverdächtig" erschien: Kindergärten und Spielhäuser. Für sein Spielhaus am Senftenbergring im Märkischen Viertel in Berlin (1969-1973) oder das Café für die Bundesgartenschau in Berlin-Britz (1977-1985) ließ er Erdhügel aufschichten und strukturierte diese mit Harken und selbstgebauten Werkzeugen, dann ließ er die Negativformen mit Stahlarmierungen ummanteln und eine Beton- und Dämmschicht aufbringen. Schließlich wurde die Erde unter dieser Ummantelung abgetragen. Übrig blieben die bizarren, gegossenen Schalen - erstarrte Positivabdrücke der lebendigen Erde. Kremser bezeichnet seine Konstruktionen deshalb auch als Erdarchitekturen. Für Einzelelemente wie Brüstungen, Stützen, Balkone oder Vordächer ließ er auf Holzgerüsten Erdmodellierungen als Schalungsformen aufbringen wie für das Berliner Pflanzenschutzamt (1987-1990).
Oftmals arbeiteten auch Kinder mit, für die er baute. Für Kremser sind Kinder die geborenen (Erd-)Architekten und In-genieure. Die Realisierung der geschwungenen und gekurvten Formen aber war eine Herausforderung. Daher dachte Kremser bereits in den 70er und 80er Jahren über Verfahren nach, mit deren Hilfe digital gesteuertes Baugerät die Modellmaße auf die Erdschalung direkt übertragen konnte. Dies waren Verfahren, wie sie in der Auto- und Flugzeugindustrie damals schon verbreitet waren.
Erst Jahre später sollten mit Unterstützung von computeranimierter Software solche komplexen Verfahren in der Architektur möglich sein, die das Erscheinungsbild der Architektur nachhaltig veränderten. Was Kremser erträumte, könnte heute einfacher realisiert werden.
Kremser, der Anfang der 60er Jahre an der Technischen Hochschule in Berlin bei Willy Kreuser studierte, arbeitete nach dem Studium bei Hans Scharoun zu einer Zeit, als dieser die Philharmonie baute. Dieser höhlenartige Konzertraum, von geschwungenen Treppenläufen ummantelt, wurde für Kremser ebenso zur Anregung wie Hans Poelzigs Theater- und Kinohöhlen, Hermann Finsterlins groteske "Wohnlinge" und Antonio Gaudis geknetete Bauwerke oder die stalaktitenartigen Labyrinthe des Juan O Gormans in Mexiko.
Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum stellt aber weniger den Erdarchitekten als vielmehr den Maler und Visionär Engelbert Kremser in den Mittelpunkt. In seinen Ölbildern und Collagen ist Kremser frei von allen einengenden Vorgaben. Er schätzt hier vor allem die Spontaneität der Entscheidung.
Seine Bilder und die Ausschnitte, die er seit 2003 aus diesen herausfotografiert und vergrößert, beschwören eine Gegenwelt zu der von ihm als trist und oft unmenschlich empfundenen Alltagsarchitektur. "Die Wirbel, Schleiertänze, Rauschträume dieser Bilder sind von unwiderstehlichem Optimismus. Sie sind raumsüchtig und machen raumsüchtig. Ihre Farbbahnen ziehen den Betrachter in die Tiefe, reißen Schlünde auf, fegen wie Tornadosäulen durch die Bildräume, stauen und verknoten sich, stiften Himmelfahrten an; kurzum, sie plädieren für ein anderes, vitaleres Raumerlebnis als das der einfachen stereometrischen Körper, der flachgelegten oder hochkant gestellten Kisten" (Wolfgang Pehnt). Aber immer haben diese Bilder mit dem Thema Raum zu tun, auch wenn sie keine Grund- und Aufrisse oder architektonischen Details zeigen. Sie suggerieren ganz ungewohnte Raumqualitäten. "Kremser bleibt Architekt, auch wenn er malt", so Pehnt.
Für seine Raumbilder bedient sich Kremser einer ungewöhnlichen Technik: Auf Kunststoffolie oder Transparentpapier trägt er Farbschichten auf, die er dann mit Schablonen und anderen Werkzeugen strukturiert. Viele Farbschichten legt er übereinander, die er auch teilweise mit Terpentin und anderen Lösungsmitteln bearbeitet. So entstehen durch den Farbfluß seine gänzlich bizarren Raumvisionen, die von ungeahnten Qualitäten des Bauens zeugen. Wie aber auch bei seinen Erdarchitekturen bestimmt das Material - Erde oder Farbe - die Spielregeln.
In seinen Bildern nimmt Kremser den Schwung heutiger dekonstruktivistischer Projekte vorweg. Er weist den Betrachter darauf hin, daß Architektur nicht nur etwas mit Ökonomie, Zweck und Funktionalität zu tun hat, sondern die menschliche Psyche berührt. "Engelbert Kremsers Bilder sind alles andere als phantastische Entwürfe oder luftige Utopien. Sie sind vielmehr so etwas wie ein Dosenöffner für eine zu eng gewordene, von Nützlichkeits- und Wirtschaftlichkeitserwägungen geprägte ... Vorstellungswelt", erläutert Gerald Hüther die Arbeiten des Oberschlesiers.
Den Kern der Ausstellung bilden Kremsers großformatige, suggestive Ölbilder, schwarz-weiße wie farbige. Daneben werden seine Collagen gezeigt, in die imaginäre Bauten, "bewohnbare Großplastiken" (Wolfgang Pehnt), maßstabsgetreu in Aufnahmen von Westberliner Stadtszenen hineinmontiert werden. Bauten, die die ihm als trostlos erscheinende rektanguläre Wirklichkeit bereichern sollen. Einige von Kremsers Raumvisionen werden als geschnitzte Gipsmodelle (be)greifbar. dam
Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum, Schaumainkai, Frankfurt / Main, ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uh, mittwochs von 11 bis 20 Uhr geöffnet, bis 30. April.
Arbeiten von Engelbert Kremser: Das Café am See im Britzer Garten in Berlin-Neukölln als Beispiel für die eigenwillige Erdarchitektur und das Gemälde "Treppe im Rathaus" |
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