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Wirtschaftspolitik, Wachstum und Beschäftigung werden das zentrale Thema der Bundestagswahl“, zitierte die „Welt am Sonntag“ am 26. August 2001 Guido Westerwelle. Ja, so ist das. Das gilt für die meisten Wahlen, und inzwischen ist diese Regel nicht nur bei Politikern, sondern auch bei Journalisten bekannt. Die Frage ist nur, was man damit macht.
Nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl von 1992 schrieb der an der Universität von Connecticut lehrende Politikwissenschaftlicher Everett Carl Lade: „Eines haben wir aus dieser Wahl gelernt: Es kommt nicht darauf an, wie die wirtschaftliche Lage tatsächlich ist, sondern, was die Bevölkerung glaubt, wie sie ist.
Der Anlaß, den Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft zu kommentieren, war spektakulär genug. 1992 wurde in den USA ein neuer Präsident gewählt. Der amtierende amerikanische Präsident war der Republikaner George Bush. Da er erst eine Amtszeit hinter sich hatte, gab es kein Hindernis, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Ganz im Gegenteil. Alles sprach dafür, daß er die Wahl abermals gewinnen würde. Kein amtierender Präsident habe in diesem Jahrhundert bei guter Wirtschaftskonjunktur eine Wahl verloren, stellten Analytiker fest. Dazu hatte Bush gerade im Frühjahr des Jahres den Triumph des Golfkrieges errungen. Seine Popularität erreichte Gipfelwerte.
Kein Spitzenpolitiker der Demokraten hatte unter diesen Umständen Lust, durch eine Präsidentschaftskandidatur seine Karriere zu ruinieren. Schließlich fand sich fern in der Provinz ein weitgehend unbekannter Politiker, der Demokratische Gouverneur von Arkansas, Bill Clinton. Es gelang auch im frühen Frühjahr, in dem es in den nördlichen Staaten des Mittelwestens noch schneit, einige Fotos durch die großen Agenturen in die Presse zu lancieren: Bill Clinton mit Zipfelmütze und Trainingsanzug beim Jogging im Schnee.
Im Herbst 1991 lag die amerikanische Wirtschaft am Boden, praktisch war sie bei Nullwachstum angekommen. Aber dann setzte im Lauf von 1992 ein kräftiger Aufschwung ein, der etwa im Oktober die Marke von drei Prozent Wachstum überstieg. Aber das blieb der amerikanischen Bevölkerung verborgen.
In den Abendnachrichten der drei großen Fernsehnetze, die die ganze USA abdecken, fand die zunehmende Erholung der amerikanischen Wirtschaft nämlich nicht statt.
Die Berichterstattung wurde laufend von dem Washingtoner Informationsdienst „Media-Monitor“ mit Medieninhaltsanalysen begleitet. Die Ergebnisse wurden regelmäßig veröffentlicht, so daß man sich über die Tendenz der Berichterstattung im Wahlkampf informieren konnte. Sechs Monate vor der Wahl, also im Hochsommer, veröffentlichte der Media-Monitor eine Grafik, auf der die Kurve der Fernsehnachrichten-Inhaltsanalyse und der Gallup-Umfragen zur Popularität des Präsidenten kombiniert waren. Selbst jemand, der solche Grafiken nur flüchtig betrachtet, sah auf den ersten Blick, daß positive oder negative Fernsehabendnachrichten und positive oder negative Popularitätsergebnisse der Präsidenten seit 1988 fast immer parallel liefen. Die Grafik wurde von der Redaktion des Media-Monitor kommentiert: Der Tenor der Fernsehabendnachrichten lief vorweg, die Popularitätswerte folgten hinterher.
An den letzten Tagen vor der Wahl brachten alle drei Netze in den Abendnachrichten fast ausschließlich schlechte Wirtschaftsnachrichten. Bei den Gallup-Umfragen erklärte die Bevölkerung zu 70 Prozent, die wirtschaftliche Lage sei schlecht und es werde weiter bergab gehen. Zu dieser Zeit wuchs die Wirtschaft tatsächlich aber um fast drei Prozent.
Klassisch war das Motto, das in Clintons Wahlkampfbüro an der Wand hing: „It’s the economy, stupid!“
Erst nach der Wahl 1992 meldeten die amerikanischen Medien, daß sich die Wirtschaftslage verbessere.
Wissenschaftsgeschichtlich hat die amerikanische Präsidentschaftswahl von 1992 eine einschneidende Wirkung gehabt. Bis dahin war unter den Kommunikationsforschern jahrzehntelang gestritten worden, ob die Medien eine starke oder doch nur schwache Wirkung hätten, das Codewort für schwache Wirkung lautete „minimal effects hypothesis“. Dieses Kapitel war abgeschlossen. Schon auf der nächsten Konferenz der American Assosciation for Public Opinion Research (AAPOR) fand man 1993 niemanden mehr, der die These von der schwachen Wirkung der Medien vertreten wollte. Ist seit 1992 nur das Medienbild der Wirtschaft das Schicksal der Regierung und gar nicht die Wirtschaft selbst? n
Eine Langfassung dieses Beitrags ist unter www.ne-na.de (Themendienst NeueNachricht, Medienbüro Sohn) abrufbar.
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