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Europa ist das Paradies. Es gibt da viel Geld, Arbeit und alles, was man sich vornimmt, klappt! Ich hab es hierher geschafft!" triumphiert der 27jährige, mit einem T-Shirt und einer Jeans vom Roten Kreuz bekleidete Ibrahim. Bereits vor sieben Jahren hat er sein Dorf in Mali verlassen, Eltern und Geschwister zurückgelassen. Auf seinem weiten Weg zur Küste hat er sich mühsam die 3000 Euro für die Überfahrt verdient, half in jedem Dorf, in jeder Stadt, wo immer es etwas zu tun gab. Worte wie Madrid, Barcelona, Zapatero, "un Euro" und vielleicht noch gerade "por favor" (bitte) gehören als "Basisspanisch" ins Gepäck - mehr bringen die sogenannten "Boatpeople" kaum mit.
Die Bilder der in Decken gehüllten Ankömmlinge gelangen in die Medien, diese Aufnahmen kennen auch die Touristen. "Das meiste erfährt man aus den Zeitungen", meint der 60jährige Thomas Lawrence aus Irland, der bereits zum vierten Mal auf Teneriffa seinen Urlaub verbringt. "Die Medien sagen, es sind sehr viele, die kommen. Aber ich habe nichts gesehen." Während er das sagt, sitzt er auf einer Bank im Hafen von Los Cristianos - gegenüber einer der Anlegestellen der Flüchtlingsboote. Den Rote-Kreuz-Container und das daneben geparkte Polizeiauto scheint der Ire nicht mit den Flüchtlingen in Verbindung zu bringen.
Auch der pensionierte Ehrhardt Wehr aus München wundert sich, daß man "von dem echten Drama, was sich hier abspielt, gar nichts und niemanden sieht. Ich hab geglaubt, die würden hier betteln oder etwas". "Was eigentlich passiert, weiß man nicht, darüber wird wenig berichtet", stellt auch der 50jährige Bremer Urlauber Gunnar Aiben fest.
Die recht unbekannte Realität besteht darin, daß die Ankömmlinge nach der provisorischen Versorgung an der Hafenmole zur Polizei gebracht werden. Dort wird versucht, sie zu identifizieren. Handelt es sich um Flüchtlinge aus Ländern mit denen (neuerdings) Repatriierungsabkommen bestehen, wie beispielsweise Senegal, Mauretanien, Mali oder Gambia, werden die Flüchtlinge so schnell es geht dorthin zurückgebracht. Ist dies nicht der Fall, stehen Internierungslager zur Verfügung, wo die Einwanderer bis zu 40 Tage gemäß gesetzlicher Frist untergebracht werden. Nach den 40 Tagen Internierung erfolgt die "Freilassung".
"Ich kann mir nicht vorstellen, daß auf den Kanaren die Ressourcen vorhanden sind, um diese Menschen hier aufzunehmen", meint Ehrhardt Wehr. Die gleiche Sorge hat ein Teil der kanarischen Bevölkerung selbst. Zunehmend geht die Angst um. "So eine kleine Insel hat begrenzte Kapazitäten", gibt die Spanierin Maria A., Reiseleiterin bei Neckermann, zu bedenken. Was weder die Touristen noch die Einheimischen wissen, ist, daß nur ein geringer Teil auf den Kanaren bleibt, das Gros der Nichtidentifizierten auf das spanische Festland geflogen wird.
Beschwerden seitens der Urlauber gäbe es bis jetzt keine, so Maria A.: "Das liegt wohl daran, daß die Touristen nicht ausreichend über die Problematik und die Gefahren aufgeklärt werden", vermutet sie. Für den Bremer Aiben ist allerdings selbstverständlich, daß er sich als Tourist nicht nur über touristische Attraktionen, sondern auch über die politische Situation auf den Kanaren informiert. Aber letztlich mache seine Reiseentscheidung die Problematik "nicht schlimmer oder besser", so daß er seinen Urlaub in der Sonne ruhig genießen kann. Der Tourismussektor scheint tatsächlich nicht von der Problematik betroffen zu sein, das regionale Amt für Tourismus verbucht beispielsweise für September dieses Jahres 2,8 Prozent mehr Touristen als im gleichen Monat des Vorjahres, für die ersten neun Monate dieses Jahres sogar ein Plus von 3,9 Prozent. "Doch wenn die Urlauber nur wüßten - die Schwarzen bringen Krankheiten mit!" empört sich die 46jährige Maria A. und hat Angst vor der Zukunft. Auch seitens der Polizei, die sich allerdings nicht weiter zum Thema äußert, will man von Tuberkuloseansteckungen aus den Reihen der Kollegen gehört haben. Bezüglich der Krankheiten beruhigt der Direktor des kanarischen Tropeninstituts in La Laguna, Teneriffa, Basilio Valladares, daß zum einen die Mehrheit der Immigranten keine ansteckenden Krankheiten aufweise und ferner keine Krankheiten aufgetreten seien, die nicht auch in den kanarischen Krankenhäusern ohnehin existierten. Sorglos diesbezüglich ist auch Austin Taylor vom Roten Kreuz, der für gewöhnlich als erster mit den Ankömmlingen in Berührung kommt. Er verwendet in der Praxis - "und ich bin immerhin Familienvater", so sein Kommentar - nur Einweghandschuhe, wie bei jedem normalen Erste-Hilfe-Einsatz, und verzichtet auf zur Verfügung stehenden Mundschutz und Schutzanzug, da er "absolut keine Ansteckungsgefahr" sieht.
Die sensationellen Flüchtlingsströme, die diesen Sommer vermehrt auf die kanarischen Inseln gelangt sind, stellen allerdings nur die Spitze des Eisbergs dar. Neu ist das Phänomen der "Boatpeople" nicht. Taylor weiß, daß bereits 1994 das erste Boot an der östlichen Kanareninsel Fuerteventura ankam, damals in kleinerem Format, die sogenannten "Pateras", auf denen bloß zehn bis 30 Personen transportiert werden. Doch technische Errungenschaften wie zum Beispiel mobile, relativ leicht erschwingliche GPS-Geräte haben den Menschenhandel über den Atlantik wesentlich erleichtert und der nimmt immer größere Dimensionen an. Die erfolgreichen Ankünfte der ersten größeren Boote riefen eine Welle weiterer Überfahrten hervor. Doch während die vermehrte Ankunft und die trotz allem gefahrenvolle Art und Weise der Einreise der Westafrikaner die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen, kommt das Gros der Immigranten per Flugzeug auf die Kanaren. Meist sind sie mit Touristenvisa ausgestattet, deren zeitliche Gültigkeiten sie dann einfach überschreiten. Auch kommen viele als "blinde", aber doch zahlende Passagiere mit Fischereiflotten oder Frachtkähnen ans ersehnte Ziel "westliche Welt". |
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