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Einigkeit und Recht und Freiheit

 
     
 
Das Jahr 1848 begann mit Hungerunruhen, Bauernrevolten und Volksversammlungen, die Petitionen an die Regierenden richteten. Diese sogenann-

ten Märzforderungen zielten auf Pressefreiheit, konstitutionelle Verfassungen und die Berufung eines deutschen Parlamentes. Den letzten Anstoß zur Märzrevolution gaben schließlich die Pariser Februaraufstände. Während in Wien, dem Zentrum der Führungsmacht des Deutschen Bundes, Staatskanzler Fürst Metternich sein Heil nur noch in der Flucht nach England sah, versammelten sich am 18. März 1848 auf dem Berliner Schloßplatz
unzufriedene Bürger mit enttäuschten Arbeitern. Sie forderten vom König sofortige Maßnahmen gegen die wirtschaftliche Not. Gerade hatte die Maschinenfabrik Borsig ein Drittel ihrer 1.200 Arbeiter wegen Auftragsmangels entlassen müssen. Preußens König Friedrich Wilhelm IV., zunächst unentschlossen, wie er sich verhalten solle, machte den Demonstranten einige Konzessionen. Als dann aus der Volksversammlung Rufe nach Abzug des Militärs erschallten, fielen zwei niemals ganz geklärte Schüsse, ohne jemanden zu verletzen, die aber wie ein Signal zum bewaffneten Aufstand der aufgewühlten Masse wirkten. Man glaubte an Verrat, riß die Straßen auf und errichtete Barrikaden aus Pflastersteinen. Erbitterte Kämpfe zwischen den Gardetruppen und den Aufrührern brachen aus. Unter fortwährendem Sturmläuten der Kirchenglocken erhielten die Straßenkämpfer an den Barrikaden laufend Zuzug von sympathisierenden Bürgern. Der Aufruhr legte sich über weite Teile der Stadt, denn auch die Soldaten gaben kein Pardon. Hätte der König nicht nachgegeben, wäre unzweifelhaft das Schloß gestürmt worden. Mit dem befohlenen Abzug der Truppen hatte sich jedoch der Monarch aller Machtmittel begeben, er ließ sogar das Zeughaus öffnen, damit sich die Bürger mit Waffen versorgen konnten.

Mit einer erzwungenen Demütigung erreichte der Triumph der revoltierenden Untertanen einen neuen Höhepunkt: Eine lange Men-

schenschar formierte sich zu einem Leichenzug auf dem Weg zum Schloßhof. Unmittelbar unter dem Balkon des Königs stellte man die Bahren mit den getöteten Aufrührern ab. Dann erscholl aus der Volksmenge der vielstimmige Ruf "König heraus". Nach längerem Warten wollte man die Toten schon in die königlichen Gemächer tragen, da endlich zeigte sich der Monarch, an seinem Arm die Königin, "ein Bild der Angst und schmerzvollsten Leidens", wie ein Chronist berichtet. Auf den Ruf "Hut ab" entblößte der König sein Haupt, worauf die Menge einen Choral anstimmte.

Es besteht kein Zweifel, daß der so gedemütigte König bei seiner von einem Extrem in das andere fallenden Natur diese Schmach nie vergessen würde. Die von ihm zugestandene Volksbewaffnung ging in der Praxis in eine Bürgerbewaffnung über, unter Ausschluß der unteren Schichten. In Preußen setzte nun eine Versammlungswelle für eine demokratisch gewählte Nationalversammlung ein. Für kurze Zeit waren der Hof, Adel, Beamtenschaft, Kirche und die Armee wie gelähmt. Als Gegenbewegung gründeten die konservativen Kräfte Preußenvereine. Mit der Kreuzzeitung als Kampfblatt traten sie den liberal-demokratischen Clubs entgegen. Man wollte die Protestbewegung so schnell wie möglich in gesetzliche Bahnen überleiten. Mit einem Bündnis zwischen Adel und Großbürgertum hoffte man am ehesten, dem Staate dienen zu können, auf dessen Grundlage dann die konstitutionelle Monarchie zu errichten wäre. Das wiedererstarkte Selbstbewußtsein der Armee äußerte sich beispielsweise in einer von dem Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements herausgegebenen Broschüre mit dem Titel "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten". In Berlin durfte fortan ohne polizeiliche Genehmigung keine Volksversammlung im Freien mehr stattfinden, "der Tiergarten ward von dem Gesindel gesäubert, welches dort Unfug trieb und die Sicherheit gefährdete".

Um die Mitte des Revolutionsjahres hatte sich die Hohenzollernmonarchie wieder gefestigt. Nach einer von ihm diktierten recht freisinnigen Verfassung gab der König die Losung aus, Preußen müsse künftig in Deutschland aufgehen. Die Blik-

ke richteten sich nunmehr nach Frankfurt, wo man nach Wegen suchte, die staatliche Zersplitterung Deutschlands zu überwinden. In der Stadt am Main tagte das aus der revolutionären Bewegung hervorgegangene Vorparlament. Mit 574 Mitgliedern, darunter die Abgeordne-

ten der deutschen Ständeversammlungen, war die willkürliche Zusammensetzung des Vorparlaments insofern ein Mißgriff. Es gelang der republikanischen Linken nicht, diese Versammlung in einen permanenten Exekutivausschuß umzuwandeln. Unter Protest verließen einige Dutzend Männer, mit dem badischen Revolutionär Hecker an der Spitze, das Vorparlament. Hek-

ker wagte mit einer Handvoll Freiwilliger im Großherzogtum Baden einen Aufstand zur Verwirklichung einer sozialen Republik. Er verlor den Kampf gegen reguläre badische und preußische Truppen, mußte fliehen und wanderte später nach Nordamerika aus. Unterdessen siegte bei den Abstimmungen des vorläufigen Parlamentes eine liberale Mehrheit, die in Übereinstimmung mit den Regierungen der Einzelstaaten die Wahl eines allgemeinen deutschen Nationalparlamentes durchsetzte. Ihre Forderung hieß: die deutschen Staaten sollen sich zu einem deutschen Reich zusammenschließen.

Am 18. Mai 1848 trat unter dem Geläute aller Glocken der Stadt Frankfurt am Main das deutsche Parlament in der Paulskirche zusammen. Da noch keine politischen Parteien existierten, wurden die örtlichen Kandidaten von schnell organisierten Wahlkomitees aufgestellt. Fast überall wurden bürgerliche Liberale gewählt. Die Umsturzangst vor einer sozialen Republik begünstigte die Führer der Reaktion, die ihre besten Männer in das Parlament schickten. Wie der heutige Deutsche Bundestag war auch die damalige Nationalversammlung kein Spiegel der sozialen Zusammensetzung der Nation. Vor allem Beamte und Akademiker bestimmten das Bild. Bauern und Arbeiter blieben ohne direkte Vertretung im Parlament. Unter den über 500 Abgeordneten in der Nationalversammlung (einschließlich der Stellvertreter wurden 831 Männer gewählt) stachen zwei politisch begabte Persönlichkeiten hervor: Heinrich v. Gagern und Robert Blum. Der 40jährige Rheinländer Blum, ein mitreißender Volksredner und Schriftsteller, vertrat die politische Linke. Als unermüdlicher Vorkämpfer für Freiheit und Konstitutionalismus überlebte er das Revolutionsjahr nicht. Er wurde im November 1848 standrechtlich erschossen. Heinrich v. Gagern, 1799 in Bayreuth geboren, wählte das Parlament zu seinem ersten Präsidenten. Der warmfühlende nationale Deutsche, der sein Amt nach bestem Willen antrat, hatte sich als Führer der Liberalen im Großherzogtum Hessen einen Namen gemacht. In der Nationalversammlung gehörte er der zahlenmäßig und auch intellektuell stärksten Gruppe an, der Casino-Partei, benannt nach ihrem Versammlungsort. Die meisten Mitglieder dieser Mitte-rechtsliberalen Gruppierung fürchteten die Anarchie mehr als die Fürstenmacht, sie erstrebten eine konstitutionelle Monarchie in Form einer kleindeutschen Lösung.

Zwei Aufgaben beschäftigten die Frankfurter Nationalversammlung leidenschaftlich: die Schaffung einer zentralen Regierungsgewalt und eine nationale Verfassung. Nach 27 Sitzungen, die wohl mehr als Redeübungen der Abgeordneten gedacht waren, wähl- te das Parlament auf Vorschlag v. Gagerns den Erzherzog Johann von Österreich als deutschen Reichsverweser. Gleichzeitig bildete man eine provisorische Reichsregierung, in der wiederum ein Österreicher, Schmerling, das Innenressort bekleidete. Eine machtlose Reichsregierung, der jede reale Autorität fehlte. Die meisten Fürsten waren auch nicht bereit, dem Reichsverweser Truppen zu unterstellen, getreu dem Machiavellischen Satz: "Nur wer Waffen hat, ist mächtig."

Wie zu erwarten, traten bei der Beratung zu den Verfassungsfragen ernste Schwierigkeiten auf. Nicht etwa bei der Formulierung der Grundrechte, sondern über die Gestalt des zukünftigen deutschen Reiches, innerhalb dessen die Verfassung Gültigkeit haben sollte. Schuld war neben dem Dualismus der Großmächte der multiethnische Charakter Österreichs. Die eine Partei wünschte ein deutsches Reich mit Österreich, die anderen wollten einen Nationalstaat ohne den Vielvölkerstaat und statt dessen Preußen an der Spitze. Die Diskussion zwischen "Großdeutschen" und "Kleindeutschen" war noch längst nicht abgeschlossen, da trat schon die nächste Zerreißprobe an die Abgeordneten der Paulskirche heran. Dänemark versuchte damals, das deutsche Herzogtum Schleswig zu annektieren, das im Unterschied zu Holstein nicht dem Deutschen Bund angehörte. Eine starke nationale Bewegung erfaßte ganz Deutschland. Enthusiastisch stellten sich die Abgeordneten der Nationalversammlung hinter den Freiheitskampf der Schleswig-Holsteiner. Trotz des erfolgreichen Kampfes preußischer Truppen gegen die Dänen erzwang ausländischer Druck einen Waffenstillstandsvertrag zu Lasten Schles-

wig-Holsteins. Preußen hatte diese Verhandlungen zu Malmö unter Umgehung der provisorischen Reichsregierung geführt, ein für die Nationalversammlung unmögliches Verhalten. Die Paulskirche erlebte ihre erregtesten Debatten, denn die Abgeordneten sahen in der preußischen Haltung einen Sieg des Monarchen über das gesamtdeutsche Parlament.

Im September 1848 breitete sich die Erregung immer weiter aus. Die Republikaner erhielten aktive Unterstützung von der Frankfurter Arbeiterbevölkerung, die mit ihren roten Fahnen zunehmend Schwarz-Rot-Gold verdrängte. Während die Demonstranten die sofortige Auflösung des Parlamentes verlangten, forderte gleichzeitig die provisorische Zentralgewalt preußisches Militär zum Schutze der Nationalversammlung an. Erbitterte Straßen-

kämpfe brachen aus. Außerhalb der Barrikadenkämpfe ermordeten verwilderte Arbeiter die beiden rechten Parlamentsabgeordneten Fürst Lichnowsky und General v. Auerswald.

Der Frankfurter Aufstand endete mit einem vollständigen Sieg der Reaktion, der aber nicht etwa der Zentralgewalt zugute kam, sondern hauptsächlich die alten Dynastien stärkte. Ähnlich verliefen die Ereignisse in Österreich, wo nach der Flucht des Kaisers aus Wien die Hauptstadt in die Hände der Revolutionäre fiel. Robert Blum, Führer der Linken, hatte sich erboten, eine Botschaft an die Republikaner in Wien zu überbringen. Inzwischen hatten aber kaiserliche Truppen die Stadt zurückerobert. Ungeachtet des Reichsgesetzes, das jeden Abgeordneten des deutschen Parlamentes als unverletzlich erklärte, wurde Blum verhaftet und von österreichischen Soldaten rechtswidrig erschossen.

Nach dem Sieg über die "zweite Revolution" bekannte sich die Mehrheit der Paulskirchenversammlung zum großdeutschen Prinzip. Nach ihrem Willen sollten die Reichsgrenzen das Gebiet des bisherigen Deutschen Bundes umfassen, darüber hinaus das Herzogtum Schleswig und die preußischen Ostprovinzen. Doch das wiedererstarkte Österreich zerstörte mit der Verabschiedung einer zentralistischen Gesamtstaatsverfassung für das Habsburger Reich die großdeutschen Hoffnungen. Nun erhielt die kleindeutsche Fraktion eine Mehrheit, sie wählte am 28. März 1849 den preußischen König zum Kaiser der Deutschen. Friedrich Wil-

helm IV. aber lehnte ab. Den Abgeordneten des Parlamentes sagte er, er könne die Krone nur mit Zustimmung aller Fürsten annehmen, die Frankfurter Krone dagegen trage den "Ludergeruch der Revolution". Damit war der Versuch, ein deutsches Reich zu bilden, (vorerst) gescheitert.

Erfolgloser Versuch einer kleindeutschen Lösung von unten: Eine Abordnung der Nationalversammlung trägt dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserwürde an.
 
     
     
 
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