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Willkommener Skandal

 
     
 
Der Skandal kam offenbar allen wie gerufen: Sachsens NPD war nach den Aufgeregtheiten des Landtagswahltages schnell in der "Versenkung" des parlamentarischen Alltags verschwunden und brauchte dringend irgend etwas Spektakuläres, um sich in Erinnerung zu rufen. Und Deutschlands politisch korrekte Vergangenheitsbewältiger nutzen zum 60. Jahrestag des Kriegsendes gern jede Gelegenheit, ihre altbewährte Schlachtordnung von Tätervolk
und Opfervolk zu zementieren. Letzte Woche im Landtag zu Dresden fanden beide, was sie suchten.

Zunächst liefen die Mannen vom rechten Rand tölpelhaft in die selbstgestellte Tagesordnungs-Falle, ließen sich zum demonstrativen Boykott einer Gedenkminute (für alle Opfer, die der Nazis und der Alliierten!) provozieren und provozierten so bundesweite Empörung.

Es waren allerdings nicht nur die NPD-Landtagsabgeordneten, die sich in Ton und Vokabular vergriffen. In dieser Kunst erwies sich SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss als durchaus ebenbürtig. Er stellte - was in diesem Lande merkwürdigerweise nicht als "Relativierung" verpönt ist - die alliierten Bombenangriffe gegen die Zivilbevölkerung in Dresden in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Verbrennung von Büchern zu Beginn der NS-Herrschaft, mit der sogenannten Reichspogromnacht im Jahre 1938 und der Bombardierung der englischen Stadt Coventry durch die deutsche Luftwaffe: Am Ende sei "das Feuer in das Land der Brandstifter zurückgekehrt".

Dem ist entgegenzuhalten: Die damaligen Kriegsgegner Deutschlands wußten Anfang 1945 genau, daß sich in Dresden weder kriegswichtige Industrie noch einsatzfähige Verbände, weder Waffen- noch Munitionsbestände in nennenswerter Größenordnung befanden, dafür aber Zigtausende von Zivilisten - Frauen, Kinder und Greise, Einheimische und Flüchtlinge aus dem Osten. Die Angriffe waren so angelegt, daß es möglichst viele Tote und Verletzte gab. Den einzelnen Flugzeugbesatzungen mag man - gleiches Recht für alle! - Befehlsnotstand zubilligen, die Planer und Befehlshaber (die politischen wie die militärischen) aber handelten bewußt und gewollt. Also war die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 ein eiskaltes Verbrechen. Das ist die Wahrheit, und sie wird auch nicht weniger wahr dadurch, daß ein paar sächsische NPD-Abgeordnete sie zum falschen Zeitpunkt mit unpassenden Worten artikulieren.

Umgekehrt wird die Lüge, die Deutschen seien nun einmal kollektiv das Tätervolk und hätten sich das traurige Schicksal, das sie zum Ende des Zweiten Weltkriegs ereilte, selbst zuzuschreiben, auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Übrigens auch nicht durch etwas behutsamere Formulierungen wie die, hier sei "ein verführtes Volk ... zur Verantwortung gezogen worden". Denn gemeint ist letztlich immer dasselbe: Das war die gerechte Strafe!

So werden, pünktlich zur gerade einsetzenden Flut von 60-Jahre-Gedenktagen, die von Bombardierungen, Flucht und Vertreibung Betroffenen degradiert zu Opfern zweiter Klasse. Die selbsternannten politischen Tugendwächter werden in den nächsten Monaten besonders genau darauf achten, daß zwischen Gedenken erster und zweiter Klasse getrennt wird.

Wir leugnen nichts, wir "relativieren" nichts, wir rechnen nichts auf. Wir wissen, welch schreckliche Verbrechen von Deutschen und im Namen Deutschlands begangen wurden. Wir wollen aber auch nicht vergessen lassen, welch schreckliche Verbre- chen Deutsche zu erleiden hatten. Mitfühlendes Gedenken für alle Opfer, tiefste Verachtung für alle Täter - das ist das Ziel. Was jetzt in Dresden vorgeführt wurde, von rechts wie von links, war auf dem Wege dahin nicht hilfreich.
 
     
     
 
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