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In einem amerikanischen Wohnzimmer läuft der Fernseher. Ein Baby sitzt auf dem Schoß der Mutter und schaut mit ihr gemeinsam auf den Bildschirm. Dort fließt gelbe Farbe ganz langsam von oben nach unten, dazu erklingt Musik von Mozart. Die Bilder wechseln und zeigen nun ein Sonnenblumenfeld als Realfilm. Die beiden schauen sich "Baby van Gogh" in der Reihe "Baby Einstein" an. Die Idee dieser Video- / DVD-Reihe geht auf Julie Clark zurück. Als die amerikanische Pädagogin ein Kind bekam, wollte sie ihm die allerbeste Förderung geben. Sie entschloß sich, für ihr Baby ein Video zu produzieren, um ihm auf geeignete Weise die Welt der Farben, Formen und vor allem der Musik zu eröffnen. Weitere Videos folgten, andere Eltern zeigten sich interessiert, und so gründete sie 1997 das Unternehmen "Baby Einstein". Sie schrieb damit eine Erfolgsgeschichte. Vier Jahre später verkaufte sie ihre Firma an die Walt Disney Company und damit ging ihre Idee um die Welt: Baby-TV war geboren. Ihre Idee wurde vielfach kopiert und fand den Weg auch nach Europa.
In einem deutschen Wohnzimmer läuft der Fernseher. Ein Baby liegt auf einer Spieldecke zwischen Teddybären und anderen Stoffwesen und schaut auf den Bildschirm, auf dem eine Vorabendserie flimmert. Die Mutter versucht, die Aufmerksamkeit ihres Kindes abzulenken, spricht es an und hält einen Teddybären hoch. Da das Kind nicht reagiert, bewegt sie den Bären zwischen Bildschirm und dem Köpfchen des Kleinen. Das Kind dreht sich weg und versucht an dem Plüschtier vorbei auf den Bildschirm zu schauen. Entschlossen drückt die Mutter auf die Fernbedienung. Kaum erlischt der Bildschirm, fängt ihr Sohn an zu schreien. Da dies nicht das erste Mal geschieht, verbannt sie das Gerät aus dem Wohnzimmer, überzeugt davon, daß Fernsehen ihrem Kind irgendwie schaden könne. Noch Tage später sucht ihr Sohn nach der Fernbedienung. Ihm bleibt eine Affinität zu Spielzeug, das Geräusche von sich gibt, und ihr das schlechte Gewissen.
Der Umgang mit Fernsehen ist kulturell geprägt. Viele Eltern in asiatischen Ländern finden es großartig, ihre Babys vor die Flimmerkiste zu setzen, damit diese zusehen können, wie sich ein Kleinkind an- und wieder auszieht. In Deutschland ernteten die ersten Sendungen für Kinder Empörung, doch dann gewöhnte man sich an sie. Als die amerikanische Vorschulserie "Sesamstraße" 1973 auf den dritten Programmen der ARD startete, gab es skeptische bis hin zu ablehnenden Reaktionen. Dabei zielte das Konzept der Sendung zunächst darauf, Kindern aus Ghettovierteln amerikanischer Städte mehr Bildung zu ermöglichen. Zwar belegten Studien später, daß die Sendung - falls überhaupt - Kinder aus bürgerlichen Familien fördert, weil diese gemeinsam mit ihren Eltern fernsehen und über das Gesehene sprechen, dennoch gehören Ernie und Bert heute zu den Klassikern.
Empörung gab es auch beim Start der Teletubbies, die 1999 auf dem KIKA, dem Kinderkanal von ARD und ZDF, erstmals ihr "Winke, winke" in die deutschen Wohnzimmer brabbelten. Das von der BBC, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in England, auf die Wahrnehmung der Zwei- bis Vierjährigen zugeschnittene Format löste eine hitzige Diskussion über Verdummung der Kinder durch das Fernsehen aus. Heute sind die Teletubbies fester Bestandteil des Vorschulangebots des KIKA.
Das Geschäft rund um Produktion, Ausstrahlung und Merchandising von Kinderprogrammen floriert. Als reiner Kindersender ging Super RTL vor zehn Jahren als Erster an den Start. Zwei Jahre später folgte als öffentlich-rechtliches Pendant der KIKA, und im September 2005 startete als dritter frei empfangbarer Kindersender Nick. Im Bezahlfernsehen können Eltern Kindersender wie den Disney Channel abonnieren.
Die Kabelgesellschaften bieten ebenfalls Programmangebote für Kinder wie den Vorschulkanal Playhouse Disney an. Hinzukommen zahlreiche Sendungen für Kinder als ein Teil des Angebotes auf anderen Sendern wie die "tivi"-Kinderprogramme des ZDF. Bei den Sendern herrscht ein erbitterter Wettbewerb um die Zuschauer, und ein Ende der Sendervielfalt ist nicht abzusehen.
Die Entwicklung hin zu einer immer jüngeren Zielgruppe folgt der Strategie, einen Markt vollständig zu durchdringen. Vier Prozent der Zwei- bis Dreijährigen haben in Deutschland einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer, so eine 2003 durchgeführte Studie von ARD und ZDF zur Mediennutzung von Klein- und Vorschulkindern, und bei den Vier- bis Fünfjährigen sind es schon zehn Prozent.
Fernsehen ist bei den Jüngsten mit durchschnittlich 1,5 Stunden täglicher Verweildauer das mit Abstand meistgenutzte Medium. Damit übernimmt das Fernsehen für Kinder die Leitfunktion im Umgang mit Medien.
Sobald ein Kind das Fernsehen kennengelernt hat, zumeist wenn sich die Eltern abends vor dem Bildschirm entspannen, übt das Medium Faszination auf sie aus. Daher vertritt Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstitutes für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), den Standpunkt: "Kinder müssen von Anfang an lernen, mit dieser Faszination umzugehen, und Eltern die Verantwortung übernehmen, ihnen Medienkompetenz zu vermitteln." Wichtigste Regel bleibt: lernen, das Gerät auszuschalten, um den endlosen Bilderfluß zu stoppen. In punkto Babysendungen ist die Institutsleiterin skeptisch, solange das Kind sich noch nicht von alleine bewegen und damit den Bildschirm selbst entdecken kann. Deutlicher wird die Entwicklungspsychologin Professor Lieselotte Ahnert von der Hochschule Magdeburg-Stendal, die ganz klar davon abrät, Kinder vor dem dritten Lebensjahr mit dem Medium Fernsehen zu konfrontieren. Neueste wissenschaftliche Studien ergeben, daß Kinder in den ersten Jahren auf eine soziale Vermittlung im Sinne einer partnerschaftlichen Beziehung angewiesen sind. Fehlt diese aktive Unterstützung, finden Sinneseindrücke keine kognitive Entsprechung und es können Defizite entstehen. Die aktive Entdeckungsreise ist daher jeglicher passiven Berieselung vorzuziehen, und Ahnert betont, diese könne den Kleinsten sogar schaden. Bei Kleinkindern spielt die Verbindung von Bewegung und Wahrnehmung eine entscheidende Rolle, daher sollten sie nicht wie angewurzelt auf den Bildschirm starren, sondern sich beim Fernsehen bewegen.
Die Initiative "Schau hin! Was Deine Kinder machen", die von ARD und ZDF unterstützt wird, will Eltern motivieren, auf das Thema Medien und damit auch auf den Fernsehkonsum ihrer Kinder zu achten. Denn: Eltern können und sollten bestimmen, ab wann, was und wie lange ihre Kinder, die sie am besten kennen, fernsehen. Und sie sollten die Kleinsten dabei immer begleiten.
Ob schon Babys mit dem Medium konfrontiert werden sollten, ist letztlich eine Glaubensfrage. Baby-Formate werden einerseits von Wissenschaftlern mitentwickelt, andererseits von Wissenschaftlern auch deutlich kritisiert. Die an die Programme gestellten Erwartungen in Bezug auf Bildung und Förderung sind kaum überprüfbar. Eines jedoch steht fest: Fernsehen ist in erster Linie ein Unterhaltungsmedium. Eltern kommen vor dem Kindergartenalter ihres Nachwuchses nicht umhin zu entscheiden, ab wann und wie sie das Medium einführen wollen. Für amerikanische Eltern gehört der Fernseher zum Alltag: Er steht in der Küche, im Schlaf-, Kinder- und im Wohnzimmer. Wundert
es da, wenn manche sich mit ih-ren Babys spezielle Sendungen anschauen? In Deutschland hat Fernsehen das schlechte Image eines oberflächlichen Massenmediums, dessen negative Auswirkungen oft diskutiert werden. Dennoch steht das Gerät in jedem Wohnzimmer und schon in manchem Kinderzimmer.
Schon von Kindesbeinen an: Fernsehen in jeder Lebenslage. Das Kleinkind achtet nicht aufs Essen, sondern starrt fasziniert auf den Bildschirm. |
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