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Zwei Männer im Moor

 
     
 
Das Moor schweigt. Wenn ab und an der ziehende Schrei der Weihen darüber hingellt, wird die Sonnenstille danach um so deutlicher spürbar. Was auch im Laufe der Jahrtausende, in denen die Wälder zu Torf vermoderten, hier geschehen sein mag - das Moor hat die Kunde davon erstickt.

Die Rekittkes, Vater und Sohn, arbeiteten zusammen im Moor. Der Vater war ein jähzorniger Mann, einer von denen, die den Glauben als Schutz gegen sich selbst brauchen. Er hatte dem Sohn von klein auf die Gottesfurcht und den Gehorsam gegen die Eltern beigebracht, mit dem Riemen - am Sonnabend, wenn er auf dem Umweg über den Krug nach Hause kam -, vor der Abendandacht, bei der er selbst eine von ihm gewählte Stelle aus der Bibel vorlas.

Solange die Frau gelebt hatte, war alles gutgegangen, als sie aber plötzlich an einer kleinen Wunde weggestorben war, wurde der Zorn des Alten hemmungslos, als fehle seinem Blut der Ausgleich.

Als der Sohn vom Militär zurückkam, heiratete er, weil doch eine Frau im Hause sein sollte. Der Vater hatte das Mädchen ausgesucht, und Paul war zufrieden gewesen. Das Ehepaar war in die kalte Kammer gezogen, denn vom Vater konnte man nicht erwarten, daß er die Stube mit dem warmen Herd räume.

Bald danach wurde der Vater bequem. Er war jetzt in den Fünfzigern, und wenn er auch immer noch ein großer und schöner Mann war, der sich gerade hielt und mit einem Blick in die Welt sah, als möchte er sich das Fett daraus herausschneiden, so klagte er doch bisweilen über Reißen und andere Leiden, die nun einmal zur Landarbeit gehören. So gewöhnte er sich daran, morgens länger liegenzubleiben und den Sohn allein voraus ins Moor gehen zu lassen. Mit der Schwiegertochter kam er gut aus. Er wußte noch immer, was die Frauen gern mögen ...

Paul konnte es nicht leiden, wenn der Vater von dem jungen Ehepaar in der Art sprach, mit der alte Leute bisweilen in das Eigene der Jungen greifen: "Na, wird s denn nun bald mit der Martha
?" fragte er und zwinkerte dabei mit den Augen. Oder er sagte: "Die jungen Männer von heute haben alle keinen Saft ... meine Alte wäre nicht so leicht zufrieden gewe- sen ..."

Eines Tages meinte er sogar zu Paul: "Mit dem Reißen wird es jetzt ganz verrückt. Heute früh war ich so steif, daß die Martha mir das Hemd über den Kopf ziehen mußte." Er sah dabei richtig wie ein Teufel aus, mit seinen buschigen Augenbrauen, die wie Hörner vom Kopf abstanden.

Paul sagte gar nichts, aber er stieß das breite Schachtschwert an der langen Stange mit solcher Gewalt in den Torf, daß die Stange abbrach.

Das war in der Zeit der Junidürre, in der das Moor so heiß wird, daß die weißen Wattebäusche auf den Moorblumen von der Hitze zu zittern scheinen. Das schwarze Wasser in den toten Löchern läßt dann einen Dunst aufsteigen, der ins Gehirn geht. Manche sagen, man wird verrückt davon und man soll um diese Zeit nicht im Moor arbeiten. Jedenfalls können einem Mann, der allein ist, Gedanken kommen, die er vorher nie gehabt hat ...

An einem der nächsten Tage kam der Vater erst um halb zehn. Paul hatte schon drei Stunden lang gestochen. Er mußte immer die schwere Arbeit mit dem Schachtschwert machen, während der Vater nur den abgestochenen Torf abräumte.

Plötzlich stieß Paul auf etwas Hartes. Erst dachte er, es sei ein gewöhnlicher Ast. Aber es war ein Knochen. Und dann fanden sie ein ganze Gerippe. Es war ein ungewöhnlich großes Knochen- gerüst, das dort im Moorgrab schlummerte.

"Das war einer von meinem Kaliber", prahlte der Vater.

Paul nickte. Er legte gerade den Schädel frei.

"Nanu", sagte der Vater, "der hat ja ein Loch im Schädel. Dem hat einer eins über den Deetz gegeben." Und nach einer Weile sinnend: "... Ich könnte mir das denken, bei einem großen Kerl, wie ihn die Frauen gern haben ..."

Paul schwieg wieder und starrte auf das Gerippe. Er hatte noch das Schachtschwert in der Hand. Die Hitze brütete auf seinem Schädel.

Der Vater stand unter ihm im Graben.

"... Na, bei dir kann so etwas nicht vorkommen", höhnte der Vater, "dich ..." Er kam nicht weiter.

Am Abend kam Paul allein nach Hause. "Wo ist Vater?" fragte Martha.

"Bei mir war er nicht", antwortete Paul.

"Nanu?" erstaunte sich die junge Frau, "er hat mir ja gar nichts gesagt."

"Was sollte er dir auch sagen?"

Dann aßen sie Abendbrot, zum erstenmal allein, seit sie verheiratet waren. Später, als es schummrig wurde, sagte die Frau: "Du, Paul, ich hab so Angst!" Der schüttelte nur den Kopf. "Paul, sag doch was! Wo ist der Vater?"

"Weiß ich?"

Die junge Frau fragte nicht weiter. Aber als Paul sich schlafen legte, blieb sie noch auf. "Ich will auf Vater warten. Vielleicht kommt er noch und will was essen."

Später schlief sie allein im Bett des Schwiegervaters.

Am nächsten Tag kam der Gutsbesitzer in das Moor geritten. Ein Herr ist ja immer neugierig und kommt immer zur unrechten Zeit.

"Sind Sie allein, Rekittke?" - "Ja." - "Wo ist Ihr Vater?"

"In der Stadt ... beim Zahnarzt... er hatte solch Reißen ..."

"Na, dann sehen Sie mal zu, daß er bald wiederkommt. Allein schaffen Sie ja nichts."

"Ich schaff es schon."

"Zeigen Sie doch einmal, wieviel Torf Sie im Schuppen haben."

Paul zögerte. Dann fingerte er an seinen Taschen herum.

"Ich hab den Schlüssel nicht. Den muß Vater mithaben ..."

"Immer diese Eigenmächtigkeiten!" schimpfte der Gutsherr.

Da aber die Bremsen sein Pferd quälten, ritt er nach einer Weile weiter. Paul ging zum Schuppen und schloß ihn auf.

Die Martha konnte nicht begreifen, was mit Paul los war. Nach dem Vater fragen mochte sie nicht mehr. Sie hatte überhaupt Angst vor ihrem Mann, der sich sehr verändert hatte. Er sprach fast nichts, aß aber um so mehr. Er verlangte auch die gleiche Zahl Brote zum Gang ins Moor, obgleich er doch jetzt allein war. "Wenn ich für zwei arbeite, muß ich auch für zwei essen."

Wie kann einer, der so etwas auf dem Gewissen hat, soviel essen! dachte Martha. Der Paul wurde ihr immer unheimlicher. Am liebsten wäre sie nach Hause gelaufen, aber vielleicht hatte auch sie etwas auf dem Gewissen, was sie davon abhielt. So blieb sie, schlief aber weiter in des Schwiegervaters Bett.

Am Montag war der Paul zum erstenmal allein nach Hause gekommen. Am Freitag - die Woche war so lang gewesen wie sonst ein Jahr - sagte er zu Martha: "Warum schläfst du in der Stube? Kannst auch bei mir schlafen." Sie zitterte vor Angst, wußte aber nichts zu sagen.

Da sah er sie an, so ruhig und freundlich: "Komm man", sagte er, "ich bin ja doch dein Mann."

Sie ließ es geschehen.

Am nächsten Tag kam der Vater nach Hause. Er trug einen Verband am Kopf. "Hast du etwas zu essen? Aber was Warmes, ich kann das Brot nicht mehr verkraften."

Sie brachte ihm ihr eigenes Essen. "Willst du auch ein paar Eier haben?"

"Die könnten nichts verderben."

Als er satt war, konnte Martha sich nicht länger zurückhalten: "Wo warst du die ganze Woche?"

"In der Stadt."

"In der Stadt ... im alten Arbeitszeug?"

"Ja. ich habe Treckerfahren gelernt. Aber die Dinger haben s in sich. Einer hat mir eins an den Kopf gegeben." Er zeigte auf seinen Verband und lachte listig.

Indem kam auch Paul, früher als sonst. Vater und Sohn schüttelten sich die Hand. Wie groß der Paul ist, dachte Martha, früher kam er mir immer kleiner vor als der Vater ...

Am Abend - denn es war Sonnabend - las der Vater aus der Bibel vor. Er wählte den Text in der Bergpredigt. Als er bis an die Stelle gekommen war: "Ich aber sage euch, wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen mit ihr in seinem Herzen ...", klappte er das alte Buch zu.

Am Montag gingen Paul und der Vater gemeinsam bei Sonnenaufgang zur Arbeit. Als sie auf das Moor hinaustraten, das schweigend im Schutz des Hochwaldes eingebettet lag, sagte der Vater: "Ist doch gut, daß wir hier allein sind und daß ich solch harten Schädel hab ..." Dabei sah er den Sohn an, als ob er ordentlich stolz auf ihn sei.

Er zog fortan in die Kammer und ließ den jungen Leuten die warme Stube ...

nach dem Tod seiner Frau wurde der Zorn

des Alten hemmungslos

"Paul, sag doch, wo ist der Vater?"

fragte Martha

Harte Arbeit: Torfgewinnung im Großen Moosbruch, Kreis Labiau
 
     
     
 
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