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Zwischen Solidarität und Souveränität

 
     
 
Unter den zahlreichen Reaktionen auf die Terroranschläge in den USA, die in der Pariser Presse veröffentlicht wurden, sind zwei Artikel besonders zu notieren. Beide waren in den Spalten von „Le Monde“ zu lesen. Der erste, aus der Feder von François Heisbourg, einem Politologen, der François Mitterrand nahestand, trug den Titel: „Von der Zeit nach dem Kalten Krieg zum Hyperterrorismus“ und betont, daß die Vereinigten Staaten seit längerer Zeit „ihre Rolle und ihre Beziehungen in der Welt durch die massive Attacke, die sie erlebt haben, definieren werden“. Und weiter: „Die Bündnisse der USA werden sich wegen des Mangels an Kooperation nunmehr zwangsläufig entwickeln.“ Der zweite Beitrag mit dem Titel „Den Tag der Gemeinheit rächen“ von Robert Kagan, meint, die USA werden „die einzige Sache, die sie nun können, Krieg zu führen“, zu tun wissen.

Diese beiden, in den Kolumnen der liberalen, regierungsfreundlichen Tageszeitungen veröffentlichten Beiträge, verhehlen aber nicht, daß die politische Welt an der Seine sich äußerst vorsichtig gibt. Die Sozialist
en haben sofort nach einer Erklärung Lionel Jospins einstimmig wiederholt, es gelte jetzt, „die Vernunft zu bewahren“. Nach Ansicht des Premierministers habe Frankreich zahlreiche „Freunde und Partner“ in der arabischen Welt. Der Linkssozialist Jean-Pierre Chevènement, der zugleich Kandidat bei der Präsidentschaftswahl ist, äußerte sich in einer ziemlich verwickelten Erklärung dahin, daß man den Dialog der Kulturen weiterhin begünstigen müsse. Robert Hue, der Nationalsekretär der KPF, verurteilte scharf die Terroranschläge. Der einzige Kandidat, der sich rückhaltlos für die Solidarität mit den USA aussprach, war der liberale Alain Madelin.

Es ist immerhin derzeit noch schwierig zu sagen, ob Frankreich bereit ist, der amerikanischen Luftwaffe Überflugrechte zu gewähren. Trotz der allmählichen Annäherung zwischen Frankreich und der Nato während der letzten Jahre ist Paris seit der Entscheidung de Gaulles von 1966 nicht mehr Mitglied des bewaffneten Arms des atlantischen Bündnisses. Man darf aber vermuten, daß Chirac alles tun wird, damit Frankreich sich von den USA nicht entfernt und sich mit Wa-shington solidarisch zeigt. Bemerkenswert die Aussage des Sicherheitsberaters Pierre Lelleuche, der die erwähnte Sitzung der Ausschüsse in der Nationalversammlung, bei welcher die Tauben den Ton angegeben hatten, „eine Maskerade“ genannt hatte. Außer dem Wunsch der französischen Behörden, eine größere Rolle im Nahen Osten zu spielen und der Anwesenheit von mehr als drei Millionen Moslems in Frankreich, könnte die Innenpolitik eine wichtigere Rolle in den strategischen Entscheidungen Frankreichs spielen. Die beiden entgegengesetzt argumentierenden Tageszeitungen „Le Monde“ und „Le Figaro“ äußerten sich argwöhnisch angesichts der Annahme des Nato-Bündnisfalls (Artikel 5 des Atlantikpakts vom 4. April 1949) durch den Atlantischen Rat. Nach Ansicht von „Le Monde“ wäre die Verweigerung der Unterstützung der USA durch Paris „schwerwiegend“. Hingegen äußert „Le Figaro“, die französische Regierung solle sich zwar „solidarisch, aber dennoch souverän“ zeigen. „Le Figaro“ glaubt immerhin noch, daß niemand in der politischen Welt Frankreichs „die nationale Unabhängigkeit wohlfeil vergeben“ könne.

Während die amerikanischen Behörden und Medien unterstreichen, der begonnene Kampf werde ein langer, zäher sein, äußerte sich Admiral Duval, ein französischer Strategieexperte, den wir letztes Jahr für Das interviewt hatten, in einem Telefongespräch über die völlige Veränderung der internationalen Beziehungen, die die jüngste Terrorwelle verursacht haben dürfte. Dem gegenüber hieß es seitens Admiral Duval, die Krise und die daraus resulierenden zukünftigen Kriege werden sicherlich nicht nur die arabische Welt und die Lage in Israel beeinflussen, sondern auch ganz Asien ins Rampenlicht rücken. Die Verflechtung der Allianzen und der Interessen östlich des Suez-Kanals und die Bedeutung von moslemischen Mächten wie Indonesien oder Pakistan ließen eine schwer kontrollierbare Lage für die abendländische Diplomatie befürchten. Auf jeden Fall glaubt Admiral Duval, daß die derzeitige Anerkennung des Nato-Bündnisfalls zugunsten der USA gegenwärtig rein formal ist. Seines Erachtens wird jeder Mitgliedstaat der Nato für sich entscheiden müssen, ob er in den Krieg ziehen will oder nicht. P. C. / P. F.

 
     
     
 
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