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Panama: Der Kanal ist unser

 
     
 
Schiffssirenen ertönten, Böllerschüsse knallten und Tausende roter, blauer und weißer Luftballons stiegen in den verregneten Himmel auf. Auf der großen elektronischen Uhr, die vor dem Ancon-Hügel am Rande von Panama-Stadt seit Monaten die Stunden rückwärts zählte, standen alle Ziffern auf Null. Nationalflaggen schwenkend stürmten Hunderte Panamaer die breite Treppe hinauf, auf deren oberster Stufe Präsidentin Mireya Moscoso soeben "Der Kanal ist unser!" ausgerufen hatte.

Mit der symbolischen Inbesitznahme des Ancon-Hügels, auf dem wie ein Palast das Gebäude der Kanalverwaltung thront, endete in Panama ein Stück Kolonialgeschichte. Zwölf Stunden vor dem Jahrtausendwechsel ging der Panama-Kanal, den die USA erbaut und 1914 in Betrieb genommen hatten, in den Besitz Panamas über. Über dem säulenumrahmten Portal des historischen Gebäudes steht zwar immer noch auf Englisch "Administration", doch nun sitzt darin nicht mehr die dem US-Verteidigungsministerium
unterstellte Kanalkommission, sondern die "Autoridad del Canal", die panamaische Verwaltungsbehörde.

Für Panama war der letzte Tag des alten Jahrhunderts wie eine dritte Unabhängigkeit. 1821 hatte das Gebiet auf der Landenge zwischen Nord- und Südamerika im Verbund mit Kolumbien die Selbständigkeit von Spanien erlangt; 1903 hatte es sich dann mit amerikanischer Hilfe von Kolumbien abgespalten.

Die von den Amerikanern verwaltete Kanalzone, die das Land in zwei Teile zerschnitt und für die meisten Panamer nicht zugänglich war, existiert zwar schon lange nicht mehr. Doch die Erinnerung an jahrzehntelange Bevormundung bleibt ebenso bestehen wie die Erinnerung an die Märtyrer, die ebenfalls geehrt wurden – die Studenten, die 1964 von amerikanischen Soldaten erschossen wurden, als sie versuchten, in der Kanalzone eine panamaische Flagge zu hissen. Präsidentin Moscoso übergab das historische Stück dem Rektor des Nationalinstituts Panama, Jaime Ruiz.

Der US-Heeresstaatssekretär Luis Caldera als Vertreter Washingtons erinnerte an Präsident Theodore Roosevelt, der 1906 bei einem Besuch der Bauarbeiten den Kanal als "eines der großen Werke dieser Welt" bezeichnet hatte. Während aber Roosevelt wegen des Kanalbaus zum ersten US-Präsidenten wurde, der jemals ins Ausland reiste, machten sich bei der Kanalübergabe Washingtoner Spitzenpolitiker rar. Schon beim Staatsakt am 14. Dezember hatte Präsident Bill Clinton eine Einladung Moscosos ausgeschlagen, und auch bei der Übergabe schien es, daß die Amerikaner mit Blick auf das Wahljahr Panama am liebsten durch die Hintertür verließen.

Mit dem Einholen der US-Flagge neigte sich fast ein ganzes Jahrhundert US-Vorherrschaft in dem kleinen mittelamerikanischen Land dem Ende zu. Bei den Panamaern machte trotz aller Feiern sich ein mulmiges Gefühl breit. Umfragen zufolge befürworteten etwa 70 Prozent den Verbleib eines "Überrestes" der bis zu 60 000 US-Soldaten, die im strategisch wichtigen Isthmus zwischen Nord- und Südamerika, zwischen Atlantik und Pazifik stationiert waren.

Die Panamaer mißtrauten offenbar ihren Politikern, die nun erstmal ohne Washingtons direkte Schirmherrschaft ihre Fähigkeiten zur Verwaltung des Kanals unter Beweis stellen müssen.

Panamas Geschichte war von Beginn an eng mit den außenpolitischen Interessen der USA verknüpft. 1903 förderten die USA die Sezession Panamas von Kolumbien und unterzeichneten einen Vertrag über den Bau eines interozeanischen Kanals – eine Idee, die der deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt gut ein Jahrhundert zuvor mit dem damaligen US-Präsidenten Thomas Jefferson erörtert hatte.

Die Kanalzone unterstand dem Vertrag zufolge US-Souveränität und entwickelte sich in den folgenden Jahren zur Ausgangsbasis für Interventionen in der Karibik und in Mittelamerika, mit denen die USA ihren Einflußbereich ausdehnten – so etwa in Haiti und in der Dominikanischen Republik während des Ersten Weltkrieges zur "Abwehr der deutschen Gefahr".

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Kanalzone das US-Kommando Süd eingerichtet und die sogenannte "Schule der Amerikas" gegründet. In ihr wurden 57 000 lateinamerikanische Offiziere im "Kampf gegen den Kommunismus" ausgebildet. Einige von ihnen kamen zu zweifelhaftem Ruhm wie Manuel Contreras, der Chef der chilenischen Geheimpolizei unter Augusto Pinochet, der Gründer der Todesschwadronen in El Salvador, Roberto D’Aubuisson, oder der derzeitige bolivianische Präsident und frühere Diktator Hugo Banzer. Von der Luftwaffenbasis Howard aus starteten während des Kalten Krieges Spionageflugzeuge in Richtung Nicaragua und El Salvador, wo linksgerichtete Guerilleros die US-Vorherrschaft in der Region bedrohten.

Heute beherbergt die "Schule der Amerikas" ein Fünf-Sterne-Hotel; aus der Luftwaffenbasis Howard möchte der Paketdienst Federal Express ein Logistikzentrum für Lateinamerika machen. Das US-Kommando Süd sitzt mittlerweile in Miami und hat Stützpunkte unter anderem in Puerto Rico und in Guantanamo auf Kuba.

Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Warschauer Pakts wandelte sich Panamas strategische Funktion: Fortan wurde von dort der Kampf gegen den Drogenhandel koordiniert. Das bekam Panamas Diktator Manuel Noriega schmerzhaft zu spüren. Der Mann mit dem Narbengesicht, der jahrelang ein Verbündeter Washingtons gewesen war, wurde wegen seiner Verwicklung in Drogengeschäfte im Dezember 1989 durch eine massive US-Intervention gestürzt. Derzeit sitzt er in Miami eine 30jährige Haftstrafe ab. Zur Bekämpfung des Rauschgift-schmuggels hätte Washington nach dem 31. Dezember 1999 gerne ein multinationales Anti-Drogen-Zentrum in der Kanalzone eingerichtet. Die Verhandlungen darüber scheiterten jedoch, als Panama eine Begrenzung der Anzahl der dort stationierten US-Soldaten forderte und das Pentagon keine Miete für die weitere Benutzung der Einrichtungen zahlen wollte.

Die USA, die etwa zwölf Prozent ihres Handels durch den Kanal abwickeln, bleiben nach den Worten von Präsident Bill Clinton aber weiterhin "der Sicherheit des Kanals verpflichtet". Vor dem Hintergrund der jüngsten Kämpfe zwischen kolumbianischer Guerilla, Paramilitärs und Soldaten in der kolumbianisch-panamaischen Grenzregion Darjen enthüllte Panamas Innen- und Justizminister Winston Spadafora im Dezember einen "strategischen Plan zur Sicherung des Kanals". Der umfaßt etwa die Benutzung von Kommunikationseinrichtungen, Flugzeughangaren und Hafenmolen durch "US-Personal" sowie die Erlaubnis, "verdächtige Schiffe" zu untersuchen. Womit Washington letztlich doch einen Fuß im Isthmus behält.

Für Besucher auf der Aussichtsplattform von Gatun ist es immer wieder ein Erlebnis: Fast zum Anfassen nahe gleiten die Ozeanriesen auf ihrem Weg zwischen den Weltmeeren, von Elektroloks gezogen, durch die Schleusenkammern. Und als würden sie nicht Tausende von Tonnen wiegen, werden sie je nach Fahrtrichtung in die Höhe gehoben oder auf den Meeresspiegel abgesenkt.

Mit seinen gewaltigen, paarweise angelegten Schleusen, die die Schiffe auf ihrem Weg über die Kontinentalbrücke über mehrere Stufen 26 Meter auf das Niveau des Gatun-Stausees anheben, gilt der Panamakanal als ein Wunder der Technik. Zugleich ist der 1914 eröffnete Kanal eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt.

Doch nun drohen Kapazitätsprobleme. 13 137 Schiffe haben im letzten Geschäftsjahr vor der Übergabe den Kanal befahren. Sie transportierten fast 200 Millionen Tonnen Fracht und brachten der Kanalkommission Gebühreneinnahmen von 568,9 Millionen Dollar, 4,2 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der Kanal verkürzt den Seeweg von der Ost- zur Westküste Nordamerikas um 8000 Seemeilen (fast 15 000 Kilometer). Er verbindet New York mit Tokio, Hamburg mit Guayaquil oder Miami mit Los Angeles.

So war das Schicksal Panamas von seiner Geburt als unabhängige Nation an engstens mit dem mächtigen Nachbarn im Norden verknüpft. Doch nun, zum Ende des Jahrhunderts, ging die amerikanische Präsenz zu Ende. Am 31. Dezember, zwölf Stunden vor der Jahrtausendwende, haben die USA den von ihnen 1914 fertiggestellten Panama-Kanal an der nur 60 Kilometer breiten Landmasse zwischen den Meeren in den Besitz der zentralamerikanischen Nation übergeben. Schon am 30. November schloß mit Fort Clayton die letzte amerikanische Militärbasis am Kanal. Erstmals gewann Panama die volle Kontrolle über sein Staatsgebiet.

1879 starteten die Franzosen den Versuch, einen Kanal auf Meereshöhe zu graben. Doch das von Ferdinand de Lesseps, dem Erbauer des Suez-Kanals, geführte Unternehmen scheiterte an Krankheiten, technischen und finanziellen Problemen. 20 000 Arbeiter und Ingenieure, unter ihnen die technische Elite der "Grande Nation", wurden von Gelbfieber und Malaria hinweggerafft. 80 000 Kleinanleger, die die Aktien der Compagnie Universelle gezeichnet hatten, verloren nach deren Bankrott 1889 alle ihre Ersparnisse.

Zu einer der treibenden Kräfte für die Weiterführung des Projektes wurde US-Präsident Theodore Roosevelt (1901–1909), der den Kanal als Voraussetzung für die Entfaltung amerikanischer Seemacht betrachtete. Er unterstützte die Abspaltung Panamas von Kolumbien, nachdem der kolumbianische Senat ein Abkommen zwischen Washington und Bogota verworfen hatte. Doch die Regierung unter Präsident Amador hatte nicht viel zu bestimmen und mußte Ende 1903 einen Vertrag akzeptieren, der den USA "auf alle Zeiten" eine zehn Meilen (16 Kilometer) breite Hoheitszone entlang des Kanals zugestand.

Anstelle des Kanals auf Meereshöhe entschieden sich die Amerikaner für einen Schleusenkanal, der die Landenge auf 26 Metern Höhe überquere. Dieser hatte zwei Vorteile: der nötige Erdaushub verringerte sich erheblich, und der Rio Chagres, dessen ständige Überschwemmungen die Franzosen zur Verzweiflung getrieben hatten, wurde in einen riesigen Stausee verwandelt und damit kontrolliert.

Nachdem um die Jahrhundertwende die Moskitos als Überträger identifiziert worden waren, gelang es dem Armeearzt William Gorgas auch, das Gelbfieber auszurotten und die Malaria einzudämmen.

Als am 15. August 1914 die "Ancon" als erstes Schiff den Kanal durchfuhr, glänzte das Jahrhundertwerk, das immer wieder als ingenieurtechnische Meisterleistung ohnegleichen gerühmt wurde, mit einer Serie von Superlativen: Der Gatun-Stausee, durch den fast die Hälfte der Kanalstrecke führt, war der größte Stausee mit der längsten Staumauer seiner Zeit, die Schleusenkammern die größten Betonkonstruktionen. 200 Millionen Kubikmeter Erdreich waren ausgehoben worden, fast dreimal so viel wie beim Suez-Kanal. Die Wasserstraße kostete die Amerikaner 352 Millionen Dollar, inklusive der 40 Millionen, für die sie den Franzosen deren Konkursmasse abgekauft hatten.

Zum Vergleich: 1867 hatten die USA an Rußland für Alaska 7,2 Millionen Dollar bezahlt. Hunderttausende Schiffe befuhren in den folgenden Jahrzehnten den Kanal in beide Richtungen. Doch die von den USA regierte Kanalzone, die Panama in zwei Teile schnitt, verletzte nicht nur den Nationalstolz dieses Landes, sondern wurde in ganz Lateinamerika wie ein Stachel im Fleisch empfunden. 1964 brachen in Panama-Stadt antiamerikanische Studentenunruhen aus. Verhandlungen über einen neuen Status wurden schließlich von dem Militärmachthaber Omar Torrijos und US-Präsident Jimmy Carter zum Abschluß gebracht.

Nach den Kanalverträgen vom 7. September 1977 verpflichteten sich die USA, den Kanal bis zum 31. Dezember 1999 an Panama zu übergeben. Die alte Kanalzone wurde 1979 aufgelöst. Carter mußte sich daheim des Vorwurfs erwehren, amerikanische Interessen leichtfertig preiszugeben. Daß die Amerikaner von ihren Stützpunkten am Kanal aus aber immer noch frei schalten und walten konnten, bewiesen sie im Dezember 1989, als sie gegen den Diktator Manuel Antonio Noriega intervenierten. Bei Bombenangriffen auf Panama-Stadt starben mindestens 500 Menschen. Seit dem Sturz Noriegas ist Panama eine Demokratie und fieberte der Übergabe des Kanals wie einer zweiten Unabhängigkeit entgegen. Zum Feiern hatte Präsidentin Mireya Moscoso die befreundeten Staatschefs aber schon für den 14. Dezember eingeladen. Denn so wie im August 1914 der gerade ausgebrochene Erste Weltkrieg die Eröffnung des Kanals auf die hinteren Seten der Tageszeitungen verdrängte, so hätten am 31. Dezember 1999 die Millenniumsfeiern das Weltinteresse vom Panamakanal abgelenkt.

 
     
     
 
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