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Für die einen galt sie als unübertroffene Meisterin der Bildersprache, als ästhetisches Genie, für andere blieb sie immer als "Regisseurin, die Hitler bezauberte," unlöslich "mit dem Nazismus verbunden": Die am 22. August 1902 in Berlin geborene Bertha Helene Amelie Riefenstahl (genannt Leni) hat seit über fünf Jahrzehnten wie kaum eine andere Person Urteile provoziert, die von großer Zuneigung über Unverständnis bis zu schroffer Ablehnung reichen. Am Abend des 8. September 2003 hat nun die Tänzerin, Schauspielerin, Regisseurin, Fotograf in und Buchautorin wenige Tage nach ihrem 101. Geburtstag in ihrem Haus am Starnberger See ihre Augen für immer geschlossen.
Auffallend ist, daß fast alle, die sich je zur Person Leni Riefenstahls äußerten - Verehrer wie Gegner - nur in Ausnahmefällen einmal ihren gesamten Lebensweg Revue passieren ließen. Die meisten beschränkten sich auf zwei Schlaglichter: den im offiziellen Auftrag produzierten Film "Triumph des Willens" (1934) sowie die beiden Teile der Olympiadokumentation von 1936, "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit". Lediglich ihre in Form einer Autobiographie verfaßten Erinnerungen (1987), ein umfangreicher Dokumentarfilm über ihr Gesamtwerk ("Die Macht der Bilder"/1993) und eine Werksausstellung im Potsdamer Filmmuseum (1999) konnten sich etwas aus diesem engen Blickwinkel lösen.
Bereits die 16jährige Leni Riefenstahl zeichnete sich durch einen äußerst starken Ehrgeiz und den unbeugsamen Willen aus, einmal gesteckte Ziele kontinuierlich zu verfolgen und schließ- lich zu verwirklichen. Zunächst nach der Schule an der Berliner Kunstakademie in Mal- und Zeichenkurse eingeschrieben, absolvierte sie seit 1918 nebenbei eine Tanzausbildung. Bereits zwei Jahre später reiste sie als erfolgreiche Tänzerin durch Deutschland, die Tschechoslowakei und die Schweiz.
Ihre Ausdrucksstärke und ihr großes darstellerisches Vermögen fielen dem Intendanten Max Reinhardt auf, der sie 1923 als Solotänzerin für das Deutsche Theater engagierte. Drei Jahre lang führten zahlreiche Auftritte sie auf die Theaterbühnen ganz Deutschlands, bevor eine schwere Knieverletzung und das Erlebnis des Films "Berg des Schicksals" in ihr den Entschluß weckten, Schauspielerin zu werden. Spontan knüpfte sie Kontakt zum Hauptdarsteller Luis Trenker und wenig später auch zum Regisseur Arnold Fanck. Tatsächlich engagierte sie der zunächst verblüffte Fanck bereits in seinem nächsten Bergdrama als Hauptdarstellerin.
Doch die junge Schauspielerin, die auch in den Filmen "Der große Sprung", "Die weiße Hölle am Piz Palü", "Stürme über dem Mont Blanc" und "Der weiße Rausch" die Zuschauer begeisterte, zeigte am Rande ihrer Rollenarbeit auch an der filmischen Arbeit besonderes Interesse: Wie Trenker eignete sie sich rasch in enger Zusammenarbeit mit Fanck und später auch mit Georg Wilhelm Pabst detaillierte Kamera-, Regie- und Schneidetechnikkenntnisse an. Nur mit ihrem außerordentlich großen Selbstbewußtsein ist es zu erklären, daß Leni Riefenstahl gerade in der komplizierten Umbruchsituation der Jahre 1930 bis 1932 den Mut hatte, eine eigene Produktionsfirma, die "Leni Riefenstahl Studio Film GmbH", zu gründen, um die von Fanck und Pabst erworbenen Kenntnisse selbständig in die Praxis umzusetzen. Die These, daß sich eine Frau in der Männerdomäne Regie nicht durchsetzen könne, widerlegte sie rasch - zusätzlich angestachelt von ihrem nunmehrigen Konkurrenten Trenker, der ebenfalls selbst Dreharbeiten übernommen hatte: Mit außergewöhnlichem Arbeitseifer und Durchsetzungsvermögen, mit Experimentierfreude und dem ständigen Streben nach Perfektion verwirklichte sie ihr erstes eigenes Filmprojekt, das "Blaue Licht" (1932), das zum nationalen Publikumserfolg avancierte.
Welch anderer Begriff als der des Schicksals wäre dafür angemessen, daß gerade in dem Moment, in dem die junge Regisseurin die erste Phase künstlerischen Experimentierens hinter sich gelassen hatte und ihre Ideen eigenständig umsetzen, einen eigenen Stil entwickeln konnte, die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Obwohl sie sich nicht für Politik interessierte, blieb ihr doch nicht verborgen, daß der Umschwung Hoffnungen großer Teile der deutschen Gesellschaft - aber auch des Auslandes - ausgelöst hatte, nun sei der Tiefpunkt der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zerrüttungen erreicht, man gehe einer Verbesserung der Krisensituation entgegen. So gab Riefenstahl trotz anfänglichen Widerspruchs der Bitte des begeisterten Zuschauers des "Blauen Lichts", Adolf Hitler, nach, eine filmische Dokumentation nach ihren Vorstellungen vom Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg zu erstellen. Nach Experimentieraufnahmen auf den Großkundgebungen von 1933 nahm Riefenstahl auf dem Parteitag von 1934 mit 16 eigenen Kamerateams über 60 Stunden Filmmaterial auf. Mit dem Einsatz modernster technischer Mittel und zahlreichen Selbstinstallationen, unter anderem einer um die Redner kreisenden sowie einer mit einem Fahrstuhl bewegten Kamera sowie einer monatelangen präzisen Schneidearbeit gelang es ihr, die weitestgehend monotonen Veranstaltungen zu einem Zuschauererlebnis auf der Leinwand werden zu lassen. Als erste Dokumentarfilmerin, die es verstand, durch die gezielte künstlerische Verdichtung und stetige Perspektivwechsel Bewegung in diesem Genre erlebbar zu machen, erhielt sie für ihre Leistung zunächst den Nationalen Filmpreis in Deutschland, dann 1937 in Paris eine Goldmedaille.
1936 übernahm Leni Riefenstahl den Auftrag, den offiziellen Film über die Olympischen Spiele in Berlin zu drehen. Erneut gelang es ihr, wie bereits beim Parteitagsfilm "Triumph des Willens", einen Dokumentarfilm mit den Mitteln des Spielfilmes zu produzieren. Die 1938 uraufgeführten Teile "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" stellen bis heute einen Standard in der Sportfotographie dar. Für die Filme, deren Bildästhetik bis heute unübertroffen ist, erhielt Leni Riefenstahl neben zahlreichen nationalen Ehrungen auf der Biennale 1938 in Venedig den "Goldenen Löwen".
Nicht nur die Tatsache, daß sie in beiden Filmen Regie geführt hatte, sondern daß sie ihren künstlerischen Wert und damit nach Auffassung von Kritikern auch ihre Inhalte verteidigte, wurde Leni Riefenstahl seit Ende der vierziger Jahre kontinuierlich zum Vorwurf gemacht. Selten wurde nach den Hintergründen gefragt. Es war leichter, die "ganze Schuld einer Nation auf eine Frau abzuladen", wie in der erwähnten Dokumentation von 1993 deren Regisseur Ray Müller betonte. Viel zu selten wurde die Frage gestellt, ob sich zum Beispiel hinter den Distanzierungen von ehemaligen Kollegen, so auch von Luis Trenker, nicht in erster Linie eigenen "Verstrickungen" in das politische und kulturelle Geflecht des Dritten Reiches verbargen. Ebenfalls kam nicht zur Sprache, inwieweit sich darin auch der Neid gegenüber der erfolgreicheren Künstlerin widerspiegelte, die sich noch zudem als Frau in einer Männerdomäne durchgesetzt hatte. Nicht herausgearbeitet wurde schließlich, wie groß das Interesse anderer Regisseure an den von ihr in einer einmaligen Art dokumentierten Großveranstaltungen in der Entstehungszeit gewesen war.
Kurz nach Ende des Krieges verhaftet, wurde Riefenstahl 1946 in einem Entnazifizierungsverfahren als "Mitläuferin" eingestuft und erlitt somit kein Berufsverbot. Doch das Urteil, welches sich auf die Aussagen von Zeitzeugen stützte, wirkte auf ihre Kritiker, insbesondere Autoren von Organen der Lizenzgründungsära, wie ein Fanal; kein Vorwurf war ihnen dabei zu primitiv, Illustrierte berichten unter großen Lettern über Hitlers angebliche "Geliebte Riefenstahl", deren Name für immer "unlöslich mit dem Nazismus verbunden" sei. Den Auftakt regelrechter Kampagnen gegen die Regisseurin stellten die Prozesse von 1948 und 1949 dar, in denen sie sich gegen den Verdacht zur Wehr setzen mußte, Roma bewußt als kostenlose Komparsen für ihren Film "Tiefland" aus einem Konzentrationslager angefordert und über das spätere Schicksal dieser Personen Bescheid gewußt zu haben. Obwohl sie es schaffte, nicht nur von diesem Verdacht freigesprochen zu werden, sondern auch ein Verfahren gegen die Illustrierte Bunte wegen vergleichbarer Behauptungen zu gewinnen, fanden sie auch in den kommenden Jahrzehnten immer wieder Eingang in viele Medien.
Die ständigen Beschuldigungen hatten unmittelbare Auswirkungen auf das künstlerische Nachkriegsschaffen Riefenstahls. Zwar konnte sie sich Anfang der fünfziger Jahre den ausstehenden Produktionsarbeiten ihres im Krieg begonnenen Filmes "Tiefland" widmen, der 1954 auch fertiggestellt und damit in den Kinos aufgeführt werden konnte. Als Folge der vorangegangenen gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde er jedoch größtenteils mißachtet oder nur in stark negativem Kontext erwähnt. "Tiefland" wurde so auch das letzte von Leni Riefenstahl zu Ende geführte Filmprojekt.
Seit den sechziger Jahren, insbesondere nach dem Tod ihrer Mutter, konzentrierte sich die ehemalige Regisseurin auf ihre Tätigkeit als Fotografin. Bei regelmäßigen Besuchen in Afrika entstanden die Aufnahmen zu dem 1973 erstmals verlegten Bildband "Die Nuba" sowie drei Jahre später "Die Nuba von Kau", die ihr internationale Anerkennungen für ausdrucksstarke Fotografierkunst bescherten. Ebenfalls mehrere nationale und internationale Auszeichnungen erhielten ihr 1978 erschienener Bildband "Korallengärten" sowie die 1990 erstmals herausgegebene Fotodokumentation "Wunder unter Wasser" mit Tiefseeaufnahmen.
Trotz ihrer vordergründigen Zurückgezogenheit blieb Leni Riefenstahl auch im hohen Lebensalter nicht nur gegenüber ihrem engsten Freundeskreis ein jederzeit aufgeschlossener Mensch. Trotz aller Demütigungen und schmerzhaften Enttäuschungen vermied sie jede Art von Selbstisolation, die allerdings auch im Widerspruch zu ihrem Naturell und ihren außergewöhnlichen künstlerischen Fä- higkeiten gestanden hätte. Lediglich gesundheitliche Gründe hinderten sie in den letzten Jahren an größeren Aktivitäten. Termine zur Eröffnung von Ausstellungen, die sich ihren Werken widmeten, nahm sie auch noch in dieser Zeit regelmäßig wahr.
Es ist nicht anzunehmen, daß mit dem Tod von Leni Riefenstahl die Diskussionen um ihre Person und ihr Werk beendet wären - ist doch dazu allein ihr künstlerischer Nachlaß viel zu bedeutend! Ihr Leben, mit allen Brüchen und Widersprüchen gekennzeichnet, steht exemplarisch für die Irrungen und Wirrungen des vergangenen Jahr- hunderts und wird immer genügend Stoff nicht nur für jeden kunsthistorisch Interessierten bieten. Daß ihre Filme zumindest als zeithistorische Dokumente noch vielen Generationen Zeugnis übermitteln werden, bedarf keiner besonderen Erwähnung.
Die Bildästhetik der Olympiafilme ist bis heute unübertroffen
Als Frau in einer Männerdomäne hatte es die Riefenstahl schwer
Würdiger Abschied: Obwohl Leni Riefenstahl aufgrund ihrer propagandistischen Auftragsarbeiten für die Nationalsozialisten tätig war, können selbst ihre größten Kritiker den künstlerischen Wert ihres Schaffens nicht leugnen. Die Nachricht von ihrem Tod am 8. September rief weltweit Anteilnahme hervor.
Ehrgeizige Gipfelstürmerin: Erst als Ausdruckstänzerin, dann als Schauspielerin in Bergsteigerfilmen und danach als Regisseurin, Fotografin und Autorin erlangte Helene (Leni) Riefenstahl Weltruhm. |
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