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Im Schrank seines kürzlich verstorbenen Vaters David Dubin entdeckt sein Sohn Stewart über 60 Jahre alte Briefe und Dokumente. So erfährt der in Frührente gegangene Journalist, daß sein Vater als Jurist im Zweiten Weltkrieg in Europa stationiert und mit einer Grace verlobt gewesen war, die Verlobung jedoch aufgrund eines Gerichtsverfahrens gegen sich gelöst hatte. "Alle Eltern haben Geheimnisse vor ihren Kindern. Mein Vater hatte anscheinend noch mehr als üblich."
Gegen den Willen seiner Mutter versucht Stewart, der von seiner Frau getrennt lebt und mit seinem Leben keineswegs zufrieden ist, mehr über die Vergangenheit seines Vaters herauszufinden. Dabei erfährt er, daß der Vater, der erst zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden war, nur wenige Wochen später ohne Erklärung freigesprochen wurde. Diese Ungereimtheit will der Sohn klären.
Scott Turow schildert in "Der Befehl" fesselnd die Suche eines frustrierten Endfünfzigers nach der wahren Identität seiner Eltern, die, daß zeigen die Recherche n, keineswegs die unterkühlten Saubermänner sind, als die der Sohn sie stets erlebt hat. Hierbei nimmt der Autor den Leser mit nach Frankreich im letzten Kriegsjahr. Dabei erzählt er seinen Roman, in dem er zwischen alten Briefen, Berichten über den Stand der Recherchen der Gegenwart und den bei einem Anwalt hinterlegten Aufzeichnungen des Vaters hin- und herwechselt. Der Großteil der Handlung spielt hierbei auf den Schlachtfeldern Europas. "Die Spuren der letzten Schlachten konnte man nicht übersehen. Die Felder waren verbrannt und vernarbt, und die malerischen französischen Bauernhäuser, die mit ihren Strohdächern wirkten wie aus einem Grimmschen Märchen, waren überwiegend Ruinen. Selbst die wenigen, mit denen es das Schicksal noch einigermaßen gut gemeint hat, waren meist oben offen und sahen aus wie Männer ohne Hüte."
Mitten zwischen diesen Trümmern soll David Dubin gegen Major Robert Martin ermitteln. Der Major soll Befehle mißachtet haben. Dieser behauptet allerdings, daß er für den Geheimdienst arbeite und Dubins Recherchen scheinen dies zu bestätigen. So kommt es, daß der junge Jurist nicht nur mitten zwischen Kriegsfronten gerät, sondern auch zwischen den politischen Fronten seines Landes. Grund: Martin soll mit den Kommunisten sympathisieren, was vielen Militärs nicht zusagt. Aber ist der charismatische Abenteurer Martin deswegen schuldig? Und gibt es in Zeiten des brutalen Krieges nichts Wichtigeres als einen vermeintlichen Sowjetsympathisanten zu jagen? "Wissen die denn überhaupt nicht mehr, was hier eigentlich los ist? Bei uns kämpft inzwischen jeder mit der Waffe, selbst die Köche ... Und die wollen, daß Sie einen meiner besten Kampfoffiziere verhaften?", ruft dann auch der verantwortliche Colonel aus, als er von Dubins Auftrag erfährt.
"Der Befehl" ist sehr abwechslungsreich zu lesen, zumal man merkt, daß einige Beschreibungen des Autors von den Zeitzeugenberichten seines an der Front gewesenen Vaters stammen, die Scott Turow sprachlich sehr gut verpackt hat.
Obwohl der preisgekrönte US-amerikanische Romancier seinen Roman thematisch etwas überfrachtet hat, verliert er nicht den Überblick. Dennoch wäre weniger in diesem Fall mal wieder mehr gewesen.
Aus deutscher Sicht bleibt nur noch anzumerken, daß die Deutschen hier keineswegs als Schurken auftreten. Zwar wird hier Hitler eindeutig als Unmensch beschrieben, aber die deutschen Soldaten, die auftreten, werden meistens als jung und gegenüber der Zivilbevölkerung hilfsbereit dargestellt, Eigenschaften, die vom französischen Widerstand schamlos ausgenutzt werden.
Am Ende seiner Recherchen gedenkt Stewart aller 40 Millionen Opfer des Zweiten Weltkrieg, ausdrücklich auch der deutschen unter ihnen. Fritz Hegelmann
Scott Turow: "Der Befehl", Blessing Verlag, München 2006, gebunden, 544 Seiten, 21,95 Euro 5722 |
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