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Es ist zwei Jahre her, seit der Deutsche Bundestag einstimmig einen Antrag aller Fraktionen beschloß, in dem es hieß, es gelte, "Deutsch als Arbeitssprache auf europäischer Ebene zu festigen". Doch geändert hat sich an der allgemeinen Praxis in Brüssel und anderswo nichts. "Das Ansinnen der Deutschen ging wohl irgendwo in Brüssel verloren", spöttelte der "Südwestdeutsche Rundfunk", der das Problem zum "Tagesschau"-Thema machte, nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert nun endlich beim Europäischen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gegen die dortige Vernachlässigung der deutschen Sprache schriftlich protestiert hat.
Lammert verwies in seinem Brief darauf, daß "die deutsche Sprache von mehr Menschen gesprochen wird, als jede andere Sprache in der Europäischen Union (EU)". Mehr als 90 Millionen Menschen sprächen Deutsch als Muttersprache, aber immer mehr EU-Dokumente würden nicht mehr vollständig ins Deutsche übersetzt. Auslöser für den Protest Lammerts war die Brüsseler Ankündigung, die Kommissionsberichte über die Fortschritte von Rumänien und Bulgarien auf ihrem Weg in die EU nur auf Englisch vorlegen zu wollen und das angesichts der Tatsache, daß Deutsch neben Französisch und Englisch "halboffiziell" als gleichberechtigte Arbeitssprache gilt. Neben diesen drei "Arbeitssprachen" hat die EU 20 Amtssprachen, demnächst wird Irisch als 21. hinzukommen.
In diesen Amtssprachen werden Richtlinien und andere offizielle Texte erstellt, weil sie verbindliches Recht auch für die nationalen Parlamente schaffen. Alle anderen Texte wurden bisher in der Regel auf Deutsch, Englisch und Französisch vorgelegt, bis die Unsitte einriß, mehr und mehr Dokumente nur noch auf Englisch vorzulegen. Es rächte sich, daß frühere deutsche Bundesregierungen und die deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Zustand mehr oder weniger hinnahmen, jedenfalls nicht entschlossen genug dagegen vorgingen.
Um so mehr ist es zu begrüßen, daß es in dem Brief des Bundestagspräsidenten an den Kommissionspräsidenten jetzt heißt: "Der Deutsche Bundestag hat die feste Absicht, Verträge, Rechtsetzungsakte und andere relevante europäische Dokumente nur dann zu behandeln, wenn die zu ihrer Bewertung notwendigen Texte, wie Fortschrittsberichte von Beitrittskandidaten, Kommissionsarbeitstexte oder Texte zur Politikfolgenabschätzung in deutscher Sprache vorliegen." Diese Dokumente seien nicht nur wichtige Grundlagen für die Beratungen des Bundestages, sondern entscheidende Voraussetzung für seine effektive und reguläre Mitwirkung in den Angelegenheiten der EU.
Man könne in Lammerts Brief durchaus eine Boykottdrohung sehen, nach dem Motto: Wenn Ihr uns nicht auf Deutsch informiert, werden wir nicht mehr reagieren. So jedenfalls sah das der "Tagesschau"-Bericht.
Welche Bedeutung Lammert seiner Initiative beimißt, geht auch daraus hervor, daß er gleichzeitig den EU-Parlamentspräsidenten Josep Borrell sowie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier um Unterstützung gebeten hat. Der Bürgerbeauftragte im Europäischen Parlament, der Grieche Nikiforos Diamandouros, unternahm ebenfalls einen Vorstoß für eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Sprache durch die EU-Ratspräsident-schaft und zog die Internetseiten der Ratspräsidentschaften in die Debatte ein. Unterstützung fand Lammert auch beim französischen Parlament, als die Präsidien des Bundestages und der Assemblée Nationale bei einer gemeinsamen Sitzung in Berlin "die Gleichheit aller Amtssprachen der EU" angemahnt und den "gleichzeitigen Zugang zu allen Sprachversionen" von formellen Dokumenten der Kommission verlangt hatten.
Beim "Verein Deutsche Sprache e.V.", aus dessen Reihen dabei auch auf die Rolle Deutschlands als größter Nettozahler der EU verwiesen wurde, fand Lammerts Initiative lebhafte Unterstützung. Auch der sich im allgemeinen bei politischen Fragen sehr zurückhaltende Deutsche Kulturrat setzte sich durch seinen Geschäftsführer Olaf Zimmermann für "kulturelle Vielfalt" ein, "auf die sich die EU-Kommission immer wieder berufe".
Die Gesellschaft für Deutsche Sprache wertete ebenfalls die Initiative Lammerts positiv. Ihre Geschäftsführerin Karin Eichhoff-Cyrus sagte der "Tagesschau", es sei zwar "sicherlich ganz praktisch", nur in einer Sprache kommunizieren zu wollen. Keiner wolle ein "babylonisches Sprachgewirr" in allen Sprachen. Europa lebe aber von seiner Sprachenvielfalt, und Deutschland sei nun einmal der größte Sprachraum innerhalb der EU. Gerade im Hinblick auf die Osterweiterung sei ein Verzicht auf deutsche Übersetzungen "schlicht falsch", denn schließlich sei die deutsche Sprache "tief verankert in Osteuropa".
Aber auch Kritik erntete Lammert für seine Initiative, die dem grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit gar nicht gefällt. Er meinte, der Bundestagspräsidenten habe "einen Bewußtseinsstand von Annodazumal". Europa habe viele Probleme, "aber kein Sprachproblem". Lammert solle "lieber mal einen Volkshochschulkurs über Europa belegen", als Probleme aufs Tapet zu heben, die keine seien, sagte er der "Tagesschau". Wenn deutsche Parlamentarier keine Lust auf englische Texte hätten, dann "sollen sie eben ein paar Übersetzer einstellen".
Angesichts dieser Äußerungen und des angekündigten Abbaus der deutschen Sprache im organisierten Europa gewinnt die Initiative des Bundestagspräsidenten hohe Priorität in der deutschen Europapolitik. |
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