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Es wird immer schwieriger, zu den gesellschaftlich anerkannten Guten zu gehören. Das hat Kardinal Lehmann nun kräftig zu spüren bekommen. Erst fiel ihm zur Hohmann-Rede öffentlich gar nichts eigenes ein. Darauf nahmen ihn geübte Aufgeregte in die Mangel: Verdächtiges Schweigen sei das - also so gut wie Kumpanei mit dem Monster von Fulda. Nun mußte schnell gehandelt werden: "Unerträglich" sei Hohmanns Rede, quoll es aus dem vor Erschütterung bebenden Lehmann plötzlich hervor, und "mit dem katholisch en Glauben unvereinbar". Also weg mit dem Kerl, und zwar schnell. Für gewöhnlich hätte den katholischen Würdenträger nun Jubel und Anerkennung umschwirren müssen für seine "mutigen Worte". Es kam anders.
Die katholischen Schäfchen in den Gemeinden liefen Sturm. Tanzt da etwa ihr höchster Repräsentant in Deutschland mit dem Ölkännchen in der Hand ums Feuer der politisch-korrekten Inquisition herum, in dem ein Glaubensbruder schmort? Wie war das mit dem Wort über den ersten Stein und den, der ohne Sünde ist? Mit Nächstenliebe hatte Lehmanns Gebaren offensichtlich so viel gemein wie Weihnachtskarten mit Räumungsbefehlen.
"Wieder falsch!", ächzte also Lehmann, sprang abermals auf eine andere Seite des Geschehens und schalt unvermittelt die CDU: so wie mit Hohmann könne man mit einem Menschen doch nicht umgehen. Da stand der Hohmann allerdings bereits in hellen Flammen und angesichts des Kardinals mochten die Gläubigen weniger an ehrliche Barmherzigkeit als an in Unschuld gewaschene Hände denken.
In seiner Verwirrung ist jener katholische Hirte nicht allein. Zur Zeit ist so ziemlich alles durcheinander: Es gebe zuviele Moslems in Europa und das sei eine Bedrohung, poltert nicht irgendeine rechte Milieu-Blüte mit Stammplatz im Verfassungsschutzbericht, sondern Israels Ministerpräsident Scharon. Wie, bitte schön, sollen wir jetzt damit umgehen? Am besten haben wir das gar nicht gehört, stimmten die meisten Medien und Persönlichkeiten des Landes überein und schwiegen betreten. Hätte das doch bloß Hohmann gesagt, den hätten wir aber ...! Doch Scharon? Die linke taz indes ließ sich nicht von ihren gut sortierten Klischees weglocken und entdeckte Schreckliches. Ganz gewöhnlicher Rassismus sei Scharons Antrieb, so das Blättchen, das eine finstere Verbindung nahelegt: Es verwundere gar nicht, daß ausgerechnet jetzt Italiens "gewendeter Neofaschist" Fini nach Israel reise. Im Kampf gegen die "Kameltreiber" (so habe Finis "Landsfrau" Oriana Fallaci die Moslems gescholten) sei ihm jeder Bündnispartner recht. Eine israelisch-faschistische Verschwörung gegen die multikulturelle Gesellschaft? - da müssen wir erstmal tief durchatmen.
Dazu läßt man uns aber keine Zeit. Denn just in dem Moment, da wir sowieso kaum noch wissen, wo unten und oben ist, erschrickt man uns mit einer Enthüllung über einen der meist geachteten linken Moralisten unseres Landes: den Rhetorik-Professor Walter Jens. Jahrzehntelang hat er unnachgiebig den reaktionären Unrat entlarvt und ward nicht müde, uns die Nähe gewöhnlicher Rechter mit den Braunen vor Augen zu führen. Am Montag riß uns der Spiegel mit der Nachricht aus den Betten, daß Jens die ersten drei Jahre seines antifaschistischen Kampfes in den Reihen der NSDAP verbracht habe, seit 1942.
"Belanglos", kanzelt der Gelehrte die Neuigkeit ab. Er könne sich auch gar nicht mehr erinnern, so Jens. Das klingt plausibel. Schließlich mußte er sich jahrzehntelang mit dem Gedächtnisschwund (s)eines ganzen Volkes herumschlagen, die "Verdrängung" der NS-Geschichte anklagen und diejenigen an den Pranger stellen, die ihre "untrennbare Verstrickung" zu verniedlichen suchten - wie die Wehrmachtssoldaten beispielsweise, denen er bei zahllosen gemeinsamen Auftritten mit Jan-Philipp Reemtsma die Mas-ke vom Fratzengesicht riß. Bei soviel Aufopferung - wer kann da noch an sich selbst denken?
Beobachter sehen dennoch das Ansehen von Walter Jens angekratzt. Da muß er sich nun wohl in s Zeug legen, um sein Image zu retten. So ein Image gibt es nämlich nicht umsonst. Das war Florian Gerster, dem erfolgreichen Chef der Bundesanstalt für Arbeit, seit langem klar. Drum beauftragte er die PR-Firma WMP, die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam zu machen, für 26 Millionen Euro. Das ist in vollem Umfang gelungen. Seit Anfang der Woche können die Medien von dem Thema Gerster gar nicht mehr lassen. Auch der SPD-Abgeordnete Wend hat jetzt richtig Publikum. Der ist Vorsitzender des Bundestagsausschusses, welcher Gerster überprüfen soll, und gleichzeitig Mitglied des Aufsichtsrats von WMP. Wie klein die Welt ist. Wend kennt sich übrigens aus mit dunklen Geldkanälen: Er war einer der schärfsten Befrager in dem Ausschuß, der Kohl schwarze Kassen nachweisen sollte. Jetzt halten sie ihm vor, es würfe ein schlechtes Licht auf ihn, wenn sich herausstellt, daß ausgerechnet er, der sauberste der Sauberen, "Zuwendungen" so aufgeschlossen ist. Wend braucht schnell einen versierten Berater an seiner Seite. Wie wär s mit Rhetorik-Professor Jens?
Aufsichtsrats-Chef von WMP ist Hans-Dietrich Genscher, als Geschäftsführer fungiert im Nebenberuf der FDP-Abgeordnete Günter Rexrodt. Das war ja das Schöne an der guten alten Bonner Republik, das wir glücklicherweise nach Berlin haben retten können: man muß sich nie neue Namen merken, weil fast alle mit allen befreundet sind. Genscher hat überdies im Ausland viele Freunde, von denen einer jedoch gerade unter die Räder kam: Eduard Schewardnadse ist sein Land los. Zunächst hieß es sogar, der Arme müsse Georgien ganz verlassen und in so einer Villa in Baden-Irgendwas verschmachten. Egal, Genscher werden die Kaukasier trotzdem so schnell nicht los. Wie man nämlich erfuhr, ist "Genscher" zu einem der beliebtesten Hundenamen Georgiens aufgestiegen. Ob das nett gemeint ist?
Wenn nicht, und davon sollte man ausgehen, müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß unsere EU-Partner demnächst abends noch mal mit ihrem Vierbeiner vor die Tür eilen, damit "Eichel" ihnen nicht den Teppich versaut. Denn die Partylaune, die der Sturz des Euro-Stabilitätspakts bei Rot-Grün in Berlin ausgelöst hat, will jenseits der Grenzen nicht recht aufkommen.
Walter Jens verbrachte die ersten drei Jahre seines antifaschistischen Kampfes in der NSDAP? |
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