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eben auf der Grenze

 
     
 
Es klingt wie ein Alptraum und ist doch die reale Welt: Als das Mädchen Rita, aufgewachsen im geteilten Berlin (mit "Ostopa" und "Westoma"), eines Tages beim Besuch der Eltern, die im Ostteil der Stadt wohnen, vom Bau der Mauer überrascht wird und nicht mehr zur geliebten Großmutter in den Westen kann, beginnt dieser Alptraum, der 28 Jahre andauern sollte. Was als Kinderspiel seinen Anfang nahm – "Ost und West
zu wechseln, wie man innerhalb einer Wohnung die Zimmer wechselt" – ist der erwachsenen Rita nicht mehr möglich. Sie flüchtet sich in die Welt der Musik. – "Auf diese Weise konnte ich mich dem eigentlich unerträglichen Leben um mich herum entziehen. Beim Sitzen und beim Stehen, beim Rennen und beim Spazierengehen war ich in Gedanken oder direkt am Klavier bald ganz und gar auf meine Stücke konzentriert. Solange ich spielte, kam nichts und niemand an mich heran." – Eltern und Geschwister bringen keinerlei Verständnis auf für das sensible Mädchen, das sich immer mehr hineinsteigert in ihre eigene Welt. Eines Tages dann der Zusammenbruch, "abgestürzt zwischen den beiden Welten Ost-West".

In ihrer Autobiographie Mauerblume. Ein Leben auf der Grenze (Claassen Verlag, München. 320 Seiten, geb. mit farbigem Schutzumschlag, 36 DM) schildert die 1944 im ostdeutschen Neidenburg geborene Rita Kuczynski ihr unfreiwilliges Leben in der DDR. Auch nach dem Zusammenbruch, der sie in die Psychiatrie führte, sucht sie sich ein Versteck, das allerdings als solches nicht gleich erkennbar sein darf ("Sich in aller Öffentlichkeit verbergen! Das war eine Möglichkeit zu überleben.") Sie studiert in Berlin und Leipzig Philosophie, promoviert 1975 über Hegel und ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften tätig. Auch wenn es ihr immer wieder gelingt, aus der realen Welt zu fliehen, sich "auszuklinken", wie man heute sagt, erkennt sie doch bald, daß sie gegenüber Macht und Gewalt hilflos ist.

Geborgenheit findet Rita schließlich – zumindest für eine Weile -, als sie Emanuel Kuczynski kennenlernt, ihn heiratet und in dessen Familie integriert wird. Emanuels Vater, der bekannte DDR-Ökonom und Redenschreiber Honeckers, Jürgen Kuczynski, hat besondere Sympathie für seine Schwiegertochter, auch wenn sie seiner politischen Meinung kritisch gegenübersteht. Das Leben im Kreis der DDR-Elite bringt schließlich auch so manche Erleichterung. Ritas neues Versteck: das Leben als Hausfrau. Die Folgen der Anpassung aber sind unausweichlich: Angst, Depressionen, Tablettensucht ...

Als dann 1989 die Mauer fällt, sind die Wunden der jahrelangen Verletzung nicht von heute auf morgen verheilt. Ob es Rita Kuczynski gelungen ist, mit der neuen Realität fertig zu werden, liest man auch in ihrer Autobiographie. "Mauerblume" – keine leichte Kost, diese persönliche Geschichte der DDR, aber ein wichtiges Buch für alle, die ein Leben auf, mit und hinter der Grenze interessiert.

 
     
     
 
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