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Die allgemeine Überraschung über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Litauen hat sich zwar inzwischen gelegt, aber der politische Alltag in der Baltenrepublik ist noch nicht wieder eingekehrt: Die Vereidigung des neuen Staatsoberhauptes steht erst für Ende Februar auf der Tagesordnung, und das Wundenlecken bei den Verlierern ist noch nicht zu Ende.
Überrascht waren vor allem das Lager des derzeitigen Präsidenten Algirdas Brazauskas, das mit einem ungeheuren Propaganda aufwand den früheren Generalstaatsanwalt auf den Präsidentenstuhl zu hieven versuchte, und ausländische Beobachter. In der deutschen Presse wurde Arturas Paulauskas stets als parteiloser Kandidat bezeichnet. Formal stimmte das, aber eben nur formal. In Wirklichkeit kommt Paulauskas aus der einstigen kommunistischen Nomenklatura. Sein Vater war hoher KGB-Offizier und er selbst arbeitete auf einflußreichen Posten im ZK der KPdSU ... Der einstige litauische KP-Chef Brazauskas, dessen Verdienste um die Wiedergewinnung der Unabhängigkeit von Moskau nicht geschmälert werden sollen, setzte sich mit seiner ganzen Autorität für den einstigen Genossen Paulauskas ein.
Auch die ganze übrige linke Nomenklatura, die im freien Litauen noch immer über großes Kapital verfügt und Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Schattenwirtschaft besetzt hält, unterstützte verständlicherweise Paulauskas. Gegen diese Propagandamaschine hatten die übrigen Kandidaten nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. So erreichte der Brazauska-Schützling denn auch im ersten Wahlgang am 21. Dezember mit 45,4 Prozent der Stimmen gegenüber dem Zweitplazierten und späteren Wahlsieger Valdas Adamkus einen uneinholbar erscheinenden Vorsprung. Der aus dem amerikanischen Exil Heimgekehrte kam nur auf 27,9 Prozent.
Der eigentliche Architekt der Wiederherstellung der litauischen Unabhängigkeit, der Musikprofessor Vytautas Landsbergis, endete abgeschlagen mit 16 Prozent unter "ferner liefen". Auf ihn hatten sich nicht nur die ehemaligen Kommunisten, sondern auch die Euroskeptiker eingeschossen, darunter Rimantas Smetona, ein Verwandter des letzten Präsidenten des freien Litauen Antanas Smetona.
Fast alle Medien befanden sich in den zurückliegenden Jahren in der Hand der Linken. Sie inszenierten immer wieder Hetzkampagnen gegen Landsbergis. Während des Überganges zur Unabhängigkeit eigneten sich im Zuge der Privatisierung Mitglieder der Nomenklatura fast alle wichtigen Produktionsmittel in den Städten und auf dem Lande an. Diese Ausbeutung führte viele Menschen ins Elend. Diese Entwicklung lasteten die linken Medien pharisäisch Landsbergis an. Der Wahlsieg seiner Konservativen bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr grenzte angesichts dieser linken Medienmacht fast an ein Wunder.
Die Linke war sich des Sieges ihres Kandidaten Paulauskas im zweiten Wahlgang zwar sicher, dennoch investierte sie auch in die Stichwahl für litauische Verhältnisse ungeheuere Summen. In Stadt und Land wird hinter vorgehaltener Hand kolportiert, daß der auch in Litauen engagierte russische Großkonzern Gasprom aus dessen Chefetagen Rußlands Ministerpräsident Tschernomyrdin kommt tatkräftig Paulauskas unterstützt habe. Gerüchte über Stimmenkauf wollen nicht verstummen.
Auch aus Polen soll Geld in die Paulauskas-Kampagne geflossen sein. Im russischen Rundfunk wurde Adamkus der Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht bezichtigt, in Wirklichkeit kämpft Adamkus als junger Mann in einer unabhängigen litauischen Einheit gegen die Rote Armee.
Angesichts der Materialschlacht der Linken gegen Paulauskas gaben sich die Konservativen und Liberalen aller Schattierungen einen Ruck und mobilisierten nicht zuletzt durch Mundpropaganda die letzten unentschlossenen Wähler. Es galt, ein weißrussisches Lukaschenka-Experiment in Litauen zu verhindern. Der von der Nomenklatura der gewendeten Kommunisten als Retter gepriesene ehemalige Generalstaatsanwalt schmiedete nämlich ähnliche Pläne ...
Auf den knappen Wahlsieg des wirklich parteilosen Kandidaten Valdas Adamkus mit 50,37 Prozent zu 49,63 Prozent reagierte die Linke mit dem Vorwurf von Wahlfälschungen. Die unabhängige Wahlkommission und ausländische Beobachter konnten indes keine Fälschungen feststellen. So steht denn der Vereidigung von Adamkus am 22. Februar nichts mehr im Wege.
Unmittelbar nach seinem Wahlsieg erreichten Adamkus Ermahnungen aus Israel, nun gegen noch in Litauen lebende "nazistische Kriegsverbrecher" vorzugehen. Diese Mahner fanden allerdings kein Wort über jene Verbrecher, die sich während der sowjetischen Besetzung in Litauen eines Genozids schuldig gemacht hatten und die in Israel untergetaucht sind. Aber das ist ein anderes Thema ...
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