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Die Zeitläufe haben es eher schlecht mit dem Schwarzwälder Bauernsohn und Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter gemeint. Am schlechtesten meinten sie es mit ihm an jenem 25. Mai 1923, als er im Morgengrauen in der Golzheimer Heide nahe Düsseldorf am Sterbepfahl vor einem französischen Erschießungskommando stand, dessen Kugeln ihn durchsiebten und seinem noch jungen Leben ein grausames Ende setzten. Aber auch Zeitläufe vor und vor allem nach seinem gewaltsamen Tod waren so, daß er, anders als vergleichbare Personen der Geschichte wie die Schillschen Offiziere oder der Tiroler Andreas Hofer, auch in differenzierter historischer Betrachtungsweise heute so gut wie keine Beachtung mehr findet.
Es ist weit weniger trivial, als es zunächst klingen mag: Der 1894 in Schönau im Südschwarzwälder Wiesental geborene Schlageter war im besonderen Sinne ein Kind seiner Zeit. Es war dies eine Zeit, die zum einen seit 1870/71 eine neue deutsche Identität entwickelt, ja überentwickelt hatte, deren Credo insbesondere nationaler Stolz und hohe Mannbarkeit bedeutete. Derlei Denken war vor allem unter der Jugend in einem Maße verbreitet, das heute kaum noch vorstellbar ist und deshalb auch nur schwer als Kausalgrund für viele andere Entwicklungen einzuordnen ist. Ein Großteil der Geschichtsschreibung über die Zeit der Jahrhundertwende leidet daran.
Andererseits steckte in der Jugend jener Jahre ein gedankliches Virus besonderer Art, das trotz aller oft überkompensierter nationaler Identität mit den daraus resultierenden Folgen in der nebelhaften, aber dadurch um so stärkeren Sehnsucht nach dem Erreichen von Neuem bestand. Ernst Jünger und Carl Zuckmayer geben in ihren Lebensberichten unmißverständliche Zeugnisse ab und zählten im Ersten Weltkrieg zu den tapfersten deutschen Offizieren. Opferbereitschaft in jenem großen Krieg, wie immer er auch entstanden sein mag, resultierte auch aus jenem undurchschaubaren und manchmal groteskem Streben nach eben diesem Neuen.
Das alles mag auch bei dem jungen Leo Schlageter ausschlaggebend gewesen sein, als er sich bei Kriegsausbruch 1914, noch Gymnasiast und mit dem Notabitur ausgestattet, freiwillig an die Front meldete, an der er es in der Folge wegen herausragender Tapferkeit bis zum Leutnant brachte. "Es ist ein Lebensweg, der typisch ist für jene Jahre", schreibt Julius H. Schoeps 1981 in der FAZ und verweist auf den Schriftsteller Ernst von Salomon. Der sagte zur damaligen Generation: "Die Front war deren Heimat, war das Vaterland, war die Nation. Der Krieg zwang sie, der Krieg beherrschte sie, der Krieg wird sie niemals entlassen
"
Genau so war es denn auch bei Schlageter, der die Normalität eines Volkswirtschaftsstudiums nach Kriegsende wieder abbrach, 1921 an den Kämpfen in Oberschlesien einschließlich der Erstürmung des Annaberges teilnahm und Anfang 1923 in das von der französischen Armee damals widerrechtlich besetzte Ruhrgebiet ging, um zusammen mit Gesinnungsfreunden durch subversive Aktionen Frankreich beim nicht minder widerrechtlichen Abbau und Abtransport von deutschen Gütern zu behindern.
Schlageter und seine Männer, im oben beschriebenen Sinne unvermindert an der Front, gingen noch weiter als die Reichsregierung in Berlin, die der Bevölkerung passiven Widerstand empfohlen hatte. Am 15. März 1923 sprengten sie ein rechtlich sicherlich fragwürdiger Vorgang eine für den französischen Kohleabtransport äußerst wichtige Eisenbahnbrücke bei Kalkum in die Luft und tauchten anschließend wieder unter. Es ist nicht auszuschließen, daß das französische Militär durch Verrat Schlageters innerhalb kürzester Zeit habhaft werden konnte. Verhöre und ein Prozeß in Düsseldorf dienten der Vorbereitung eines zu statuierenden Exempels: Schlageter sollte sterben. Die Reichsregierung protestierte heftig und argumentierte, französische Kriegsgerichte hätten kein Recht, auf deutschem Boden, der von Frankreich widerrechtlich besetzt wurde, über die Freiheit oder gar über Leben und Tod von Deutschen zu befinden. Es war vergebens. Viel ist über den Kult geredet worden, mit dem später der Nationalsozialismus das Schicksal Schlageters vereinnahmt hat, und auch darüber, daß der Kommunist Karl Radek Schlageter propagandistisch für einen Nationalbolschewismus auszunutzen suchte. Das alles ist letztlich müßig, denn zu keinem der Versuche konnte Schlageter Stellung beziehen. Verbürgt ist indes, daß er mit den Worten auf den Lippen starb: "Mein Deutschland."
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