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Warum hat man in Polen Angst vor einem Zentrum gegen Vertreibungen? Das war die interessanteste Frage, die sich auf einer Podiumsdiskussion am 29. Januar anläßlich der Zweiten Posener Tage der Universität Kiel manchem Zuhörer aufdrängte. Immer wieder stellten die beiden polnischen Gesprächsteilnehmer auf dem Podium die polnischen Ängste in den Vordergrund, die unverständlich sein müßten angesichts der wiederholten polnischen Behauptungen, auch Polen seien Opfer von Vertreibungen gewesen.
Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel pflegt mit der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen seit zehn Jahren eine Kooperation, die ihren Niederschlag in einer Reihe von Veranstalt ungen fand. Dazu gehörte eine Podiumsdis-kussion zum Thema "Brauchen wir ein Zentrum gegen Vertreibungen?", zu der sich der polnische Konsul Gluszko aus Hamburg und der Germanist an der Posener Universität Prof. Dr. Hubert Orlowski eingefunden hatten. Den deutschen Flügel - jedenfalls nach Herkunft und Muttersprache - bildeten der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion, Dr. Ekkehard Klug, von Profession Privatdozent für die Geschichte Osteuropas, sowie der Politologe Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée, der sich als Ostpreuße outete, dessen Familie mit ihm als Baby die Flucht vor den Befreiern gelang.
Die Gesprächsleitung lag in den Händen des Professors für osteuro-päische Geschichte an der Kieler Uni Dr. Rudolf Jaworski. Er eröffnete das Rundgespräch mit der Feststellung, er stehe zwar einem ausschließlich vom Bund der Vertriebenen initiierten Zentrum gegen Vertreibungen skeptisch gegenüber, sei jedoch erschrocken gewesen über die überaus heftige Reaktion aus Polen. Konsul Gluszko nannte den Plan der deutschen Vertriebenenorganisation, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, eine Provokation. Er habe in Polen Ängste freigesetzt, da man befürchte, ein solches Zentrum könne eine "Nationalisierung" bedeuten, was immer das heißen mag. Er unterstellte der Präsidentin des BdV, der CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach, sie habe ein Konzept für das Zentrum festgelegt, um die Geschichte zu verzerren. Grundsätzlich bejahte er ein Zentrum gegen Vertreibung, doch dürfe es kein deutsches sein, sondern ein europäisches, und es dürfe auch nicht in Deutschland stehen.
Der Germanist Prof. Orlowski war skeptisch gegenüber jeder nationalen Gedenkstätte, wobei er stillschweigend polnische ausnahm. Er schlug statt eines Zentrums die Entwicklung eines Konzeptes über Gewaltanwendungen in Europa im 20. Jahrhundert vor. Zentral brauche all das nicht etabliert zu werden, säßen doch überall in Europa die forschenden Historiker, die über ihre Computer sowieso vernetzt seien.
Mit ähnlichen Argumenten lehnte der liberale Politiker Dr. Klug ein vom BdV angeregtes Zentrum ab und setzte sich damit in Gegensatz zu seinem Parteivorsitzenden Guido We-sterwelle, der der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin zugestimmt hat. Klug warnte vor einer "isolierten deutschen Selbstbespiegelung", fand aber Gefallen an der Idee, ein dezentrales Forschungszentrum zu betreiben. Mehrmals betonte er seine Skepsis gegenüber einem Mahnmal gegen Vertreibungen wie auch der dabei führenden Rolle der deutschen Vertriebenen. Ein Zentrum gegen Vertreibungen würde die guten deutsch-polnischen Beziehungen gefährden.
Der Ostpreuße Prof. Matthée nahm kein Blatt vor den Mund. Es sei selbstverständlich legitim, daß die Vertreter der deutschen Vertriebenen die Initiative zur Schaffung eines solchen Zentrums ergreifen; es sei an der Zeit, das jahrzehntelang eingehaltene Tabu aufzubrechen und das individuelle Leiden der von der Vertreibung betroffenen Menschen zu thematisieren. Allzulange habe die westdeutsche Öffentlichkeit dieses Thema negiert, ja, das Leid der Vertriebenen mißachtet, wenn nicht gar das Schicksal der Ostdeutschen lächerlich gemacht. Berlin sei der richtige Standort, denn immerhin habe es sich bei der Vertreibung der 15 Millionen Deutschen um die größte Vertreibung gehandelt, die die Weltgeschichte kennt. Er lehnte es ab, das Problem weiter mit der Begründung zu tabuisieren, sonst werde die deutsch-polnische Versöhnung leiden. Er äußerte ein gewisses Verständnis für die Furcht der Polen vor einer solchen zentralen Dokumentations- und Gedenkstätte, denn "wenn es, wie es der Name des Zentrums ausdrücken würde, Vertriebene gibt, dann muß es auch Vertreiber gegeben haben". Die Polenlobby im Saal atmete hörbar tief durch. Matthée nannte es sinnvoll, eine aus Südafrika stammende Idee aufzugreifen, "Wahrheitskommissionen" mit deutschen und polnischen Vertretern zu gründen, um die psychologisch aufgeladene Situation zu entspannen.
Aus dem Publikum äußerte ein Vertreter der Deutsch-Polnischen Gesellschaft seine entschiedene Meinung, daß man kein Zentrum gegen Vertreibung in Berlin benötige, und bezeichnete die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, als "nicht glaubwürdig". Immer wieder führten die polnischen Gesprächspartner die angebliche Angst der Polen ins Feld, was Matthée zur Replik veranlaßte, nach seiner Ansicht würden die Ängste konstruiert, um von vornherein das Entstehen eines Zentrums gegen Vertreibungen zu verhindern.
Dem kritischen Besucher fiel auf, daß von polnischer Seite der Bund der Vertriebenen und dessen Präsidentin zur alleinigen Zielscheibe der Kritik gemacht wurden und daß man sorgsam verschwieg, daß das Zentrum einen zweiten gleichberechtigten Präsidenten in Gestalt des sozialdemokratischen Politikers Prof. Dr. Peter Glotz aufweist. Ebenso blieb unerwähnt, daß die Nachbarstaaten wie Polen, Rußland und die Tschechische Republik von Anfang an zur Mitarbeit eingeladen waren - ohne Erfolg.
Es fiel ins Auge, daß unter den Zuhörern im Saal kein Vertreter einer Freundeskreis war, obgleich die Veranstaltung öffentlich war. So blieb die Polenlobby unter sich und Prof. Matthée ohne Unterstützung. |
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