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Peggy (24) verkauft seit ein paar Tagen keine Drucker und Tintenpatronen mehr. Aus der mecklenburgischen Provinz war sie nach Hamburg gekommen, weil es in ihrem Heimatort keine Arbeit gab. Wenn doch, wurde sie geringer entlohnt als westlich der Elbe. Die junge Frau hatte sich also mit einem kleinen Laden in den Westen, in die Selbständigkeit aufgemacht. Aufgrund eher verhaltener Umsätze kehrte sie nun zurück. Ein Einzelfall - die meisten jungen mitteldeutschen Abwanderer bleiben.
Der Trend zum Weggang nach Westen mildert sich jüngst nur ab, weil "die meisten, die umziehen wollen, es bereits getan haben", so Reiner Klingholz, Direktor des "Berlin-Instituts für Bevölkerung sentwicklung". 2001 gingen 100000 Deutsche in den Westen der Republik, 2005 noch 49000. Hauptgrund für den Exodus sind nach wie vor geringere Job- und Verdienstchancen in den neuen Ländern. Durchschnittlich verdienten beispielsweise Handwerker 2006 in den neuen Ländern brutto 4,17 Euro weniger pro Stunde als vergleichbare Westkollegen (West 13,33; Ost 9,16). Die Produktivität der Arbeiter und Angestellten aus den neuen Ländern ist dabei keineswegs geringer.
Während Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern um junge Rückkehrer mit wirkungslosen Aktionen werben, setzt sich in diesen Ländern ein Teufelskreislauf aus Abwanderung und weiterer Strukturverschlechterung fort. Die Studie "Jugend in Brandenburg" zeigt: Beinahe jeder zweite Jugendliche dort möchte lieber anderswo leben. Neben fehlender Arbeit geben die Betroffenen laut dieser Erhebung auch das Umfeld als Grund an. Wo Abwanderung herrscht, entstehen keine attraktiven Freizeitangebote. Dabei messen die Jugendlichen Brandenburgs Arbeit generell einen deutlich höheren Stellenwert bei als Freizeit oder Lebensgenuß - auch das ergibt die Langzeitstudie.
Andere Untersuchungen machen deutlich, daß vor allem der Weggang junger Frauen die Entwicklungschancen düster aussehen läßt. Auch bei ihnen ist der Hauptgrund Arbeit. Für viele Gemeinden ist daher das Ende, das "Aussterben", abzusehen. Eine Entwicklung, die im Gegensatz zu den Altländern nicht nur ländliche Gegenden betrifft. Warum 17 Jahre nach der Wende immer noch gleiche Arbeit ungleich bezahlt wird - mit allen negativen sozialen und infrastrukturellen Folgen - ist schlicht nicht einzusehen.
Abzusehen ist dagegen, daß viele Investitionen in Straßen, Schulen und Gewerbeparks zwischen Erzgebirge und Ostsee überdimensioniert waren, die Politik somit jahrelang fehlinvestiert hat. Die Kosten des Rückbaus, offiziell "Stadtumbau" werden den Bund sowie die östlichen Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland stark belasten. Rückbau erhöht zudem alle infrastrukturellen Kosten für die zurückgebliebenen Bürger. Allein in Sachsen wurden seit der Wende 63000 Wohnungen und in Sachsen-Anhalt 34000 abgerissen. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD), zuständig für den "Aufbau-Ost", hat für Stadtumbau bisher 700 Millionen Euro ausgegeben. Falsche Anreize ziehen neue Kosten nach sich.
Beim Faktor Mensch hat die Politik dagegen zu lange nur auf das Geld, genauer Lohnkosten, gestarrt. Das Leben zwischen Oder und Elbe sei ja auch preiswerter, lautete ein häufiges Argument für möglichst geringe Löhne in den neuen Ländern. Was für die Mieten stimmen mag - so zumindest der Deutsche Mieterbund -, trifft auf andere Bereiche nicht zu. Ein Vergleich der Energiekosten widerlegt gar das Argument. Die teuersten deutschen Stadtwerke liefern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Gas. Das ergibt ein Vergleich der billigsten und teuersten Gas-Anbieter des "Spiegel". Auch Strom und Wasser kosten in den neuen Ländern mehr: der Strom durchschnittlich fast drei Prozent, Wasser sogar durchschnittlich 16 Prozent. Die teuersten Strompreise Deutschlands gibt es nach einer Auswertung der Energiedatenbank "verivox" in Thüringen.
Selbst wenn manche Güter des täglichen Lebens günstiger sind, nützt das wenig, weil preisgünstige Angebote langfristig mit der Bevölkerung schwinden. Viele der seit der Wende entstandenen Einkaufzentren werden schließen müssen. Gerade ländliche Regionen sind schon abgehängt. Dort wird inzwischen die medizinische Versorgung problematisch. Warum sollte ein Arzt mit geringerem Lohn kalkulieren, sich östlich der Elbe niederlassen? Auch als Uni-Krankenhausarzt West verdient er mehr: 3600 bis 4500 Euro Brutto, Ost hingegen 3200 bis 4000 Euro. Aufbauarbeit wird so konsequent bestraft statt belohnt. Wechsel von West nach Ost lohnen sich für Arbeitnehmer nicht. Ein Ende dieser Art Teilung ist nicht abzusehen.
Durchschnittlich je nach Beruf in den neuen Ländern ein Zehntel bis ein Fünftel weniger zu verdienen heißt nicht, auch entsprechend weniger ausgeben zu müssen. Besonders widersinnig wird das West-Ost-Gefälle im tariflich noch immer geteilten Berlin. Wer im Westen wohnt aber im Osten arbeitet, ist schlecht beraten. Umgekehrt sieht es besser aus, (wer allerdings in einem gefragten und entsprechend teuren Quartier im Speckgürtel um die Metropole wohnt und in Brandenburg arbeitet, ist doppelt benachteiligt). Nur für wenige Stellen wie Zugbegleiter gibt es für den Arbeitnehmer mit östlichem Arbeitsplatz das gleiche wie für den Westkollegen: 1720 bis 1770 Euro Brutto monatlich.
Solange das so bleibt, werden gerade qualifizierte Arbeitnehmer, die noch Arbeit bekommen, lieber gleich in den Westen gehen. Zurück bleiben nur die, die es trotz West-Bewerbungen nicht dahin geschafft haben. Sie stellen nach bisheriger Erfahrung keine neuen Arbeitsplätze. Investoren lassen sich von den etwas niedrigeren Löhnen allein nicht locken - warum auch in sterbende Gebiete, in denen die Fachkräfte fehlen und Westler nicht ziehen wollen, Anlagen bauen? So schließt sich der Teufelskreis - einen Ausweg böte nur ein grund |
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