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Werkwoche in Ostdeutschland bedeutet zuerst einmal umfangreiche Vorbereitungen, die mit der Genehmigung durch den Bundesvorstand beginnen. Für die diesjährige sechste Werkwoche machte er zur Auflage, daß sie in Allenstein im „Haus Kopernikus“ stattfand, in das die Allensteiner Gesellschaft deutscher Minderheit (AGDM) am 1. Juni letzten Jahres umgezogen war. Eine weitere Auflage war, daß die Werkwoche im späten Herbst stattfand und die Teilnehmerinnen bei Mitgliedern der AGDM untergebracht wurden. Nun folgte die Absprache der Termine mit den Werklehrerinnen Dagmar Adomeit und Helga Nolde sowie Renate Barczewski und Kristine Plocharski von der AGDM. Im Gegensatz zu Bärbel Petereit und Uta Lüttich, die auf bundesdeutscher Seite in der Bundesgeschäftsstelle der Freundeskreis für die Organisation be- ziehungsweise vor Ort für den Ablauf zuständig waren, bereiteten Renate Barczewski und Kristine Plocharski von der AGDM die Unterbringung der Teilnehmerinnen und die Einnahme der gemeinsamen Mittag- und Abendessen kein Kopfzerbrechen. Optimistisch erklärten sie: „Das machen wir alles, das wird schon klappen“ - und siehe da, es klappte ganz hervorragend.
Werkwoche in Ostdeutschland bedeutet neben dem Vorbereitungsstreß aber auch wochenlange Vorfreude darauf, sieben Tage mit Landsleuten in der Heimat bei intensiver Werkarbeit verbringen zu können.
An einem Spätherbsttag traf die Bundesvorsitzende der ostdeutschen Frauenkreise mit ihrer bundesdeutschen Kleingruppe bei strahlendem Sonnenschein in Allenstein ein, wo sie von 25 Teilnehmerinnen aus den dortigen deutschen Vereinen mit ihren Gastfamilien erwartet wurden. Unter den Gesichtern waren einige bekannte, aber auch viele neue, denn viele nahmen zum ersten Mal an einer Werkwoche teil. Besonders erfreulich war, daß auch einige jüngere Frauen ihren Urlaub geopfert hatten. Der Andrang war so groß, daß einigen Damen abgesagt werden mußte.
Werkwoche in Ostdeutschland, dazu gehört am ersten Abend das gegenseitige Kennenlernen und das Aufteilen in die verschiedenen Arbeitsgruppen Stricken, Sticken, Weben einschließlich Knüpfen und Jostenbandweben sowie - in diesem Jahr zum ersten Mal - das Verteilen auf die GastFamilien. Alles klappte hervorragend, so daß den Verantwortlichen auf bundesdeutscher Seite ein Stein vom Herzen fiel, als sie ihre Quartiere aufsuchten.
Werkwoche in Ostdeutschland, dazu gehört auch Pünktlichkeit am Morgen. Stets wurde der Tag mit ostdeutschen Liedern begonnen, ausgewählt und angestimmt von Dagmar Adomeit. Dazu gehört auch exaktes Arbeiten über Stunden hinweg, bis der Rücken wehtut, die Augen ermüden und die Finger ihren Dienst fast versagen. Da hilft dann ein fröhliches Lied, eine kleine Ausgleichsgymnastik, ein Gedicht, das vorgetragen wird, oder eine Kurzgeschichte.
Zur Werkwoche in Ostdeutschland gehört auch, von Renate Barczewski und Kristine Plocharski im „Haus Kopernikus“ umsorgt zu werden. Sie versuchten, den Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, sie nach besten Kräften zu verwöhnen. Sie machten es möglich, daß die Arbeit in den Klassenräumen im Obergeschoß, die hell und groß sind, erfolgen konnte; sie organisierten das gemeinsame Mittag- und Abendessen im Untergeschoß des Hauses, in dem auch eine Küche vorhanden ist, deren Einrichtung allerdings noch der Vervollständigung harrte. Am Nachmittag verwöhnten die Mitglieder der Frauengruppe in der halbstündigen Pause mit selbstgebackenem Streuselkuchen und anderen Köstlichkeiten. Einige Teilnehmerinnen wurden von ihren Gastfamilien täglich ins „Haus Kopernikus“ gebracht und am Abend wieder abgeholt, andere fanden den Weg nolens volens alleine. Alle waren begeistert und lobten die liebevolle Betreuung sowie das gute Frühstück. Die Mahnung, am Abend nicht mehr an den angefangenen Handarbeiten weiterzuarbeiten, wurde nicht beachtet. Stolz wurde am nächsten Morgen die „Arbeit der Nacht“ gezeigt. Zur Begründung der „Nachtarbeit“ hieß es: „Schlafen können wir zu Hause, hier wollen wir soviel wie möglich lernen.“ Und das taten sie alle - ohne Ausnahme.
Werkwoche in Ostdeutschland, dazu gehören auch der Erfahrungsaustausch und die Berichte aus der Arbeit der deutschen Vereine. Viele konnten ihr zehnjähriges Bestehen feiern. Bei den meisten Vereinen machen Kinder und Jugendliche begeistert mit. Deutsch Eylau, Lötzen und Neidenburg konnten einigen wenigen Kindern sogar Sommer-freizeiten in Jugendlagern und Privatfamilien in der Bundesrepublik vermitteln. Auch andere Vereine bemühen sich hierum - bis jetzt erfolglos. Die Freizeiten in der Bundesrepublik Deutschland haben die Deutschkenntnisse enorm verbessert. Die AGDM hat ebenso wie Bartenstein eine eigene Kindertanzgruppe. Sie wird beim Deutschlandtreffen in Leip- zig auftreten. Mohrungen hat einen Kinderchor und Osterode eine Jugend-Tanz- und Singgruppe. Die Jugendgruppe in Johannisburg nahm mit zehn Jugendlichen an einem internationalen Jugendlager der Kriegsgräberfürsorge teil, wobei Tote aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg umgebettet und eine dreisprachige Gedenktafel eingeweiht wurden. Die deutschen Vereine in Allenstein, Goldap, Landsberg, Osterode und Rastenburg haben eigene Häuser mit Gästezimmern. Bar- tenstein und Neidenburg vermitteln ebenfalls Gästezimmer. Die Deutschkurse und Bibliotheken der Vereine sind gut besucht. Mit Freude kann festgestellt werden, daß sich die Deutschkenntnisse der Teilnehmerinnen erheblich verbessert haben.
Werkwoche in Ostdeutschland, dazu gehört auch, zuhören zu können, wenn die Teilnehmerinnen aus ihrem Leben berichten, vom schweren Überleben im und nach dem Kriege, als die Russen einfielen und danach die Polen kamen, von den schweren ersten Jahren, als sie als Deutsche rechtlos waren, von der harten Arbeit, die sie verrichten mußten, von den Schwierigkeiten, die es bereitete, die Kinder großzuziehen. Sie erzählten ohne Bitterkeit. Sie haben fast alle einen deutschen Paß, aber sie wollen in der Heimat bleiben. Sie sind glücklich, daß sie sich in den deutschen Vereinen treffen, die deutsche Sprache, Lieder und das Brauchtum pflegen können. Sie freuen sich, wenn Busse aus der Bundesrepublik ihre Vereine besuchen, bewirten die Gäste mit Kaffee und Kuchen, singen deutsche Lieder; am wichtigsten ist aber das Gespräch mit den Landsleuten aus dem Bun-desgebiet.
Werkwoche in Ostdeutschland, dazu gehören auch Zuspruch und unendliche Geduld der Werklehrerinnen, wenn einmal etwas nicht so richtig gelingen will, sowie das Zusammenwachsen zu einer großen Familie, die Freud und Leid für eine Woche teilt und Kontakte knüpft für die Zeit danach.
Werkwoche in Ostdeutschland, dazu gehört am Ende einer arbeitsreichen Woche die Ausstellung, die auch in diesem Jahr unter dem Motto stand: „Erhalten, gestalten, weiterentwickeln“. Zur Ausstellungseröffnung kamen der Allensteiner Beauftragte für nationale und religiöse Minderheiten Leyk und der AGDM-Vorsitzende Biernatowski. Beide waren sehr interessiert an den in vielen Stunden erarbeiteten Deckchen in feiner Weißstickerei beziehungsweise Kreuzstich- oder Hardangertechnik, den zahlreichen gewebten Tischläufern, Schals und Jostenbändern, den Handschuhen mit ostdeutschen Mustern sowie dem Schal und den Topflappen in Dop-pelstricktechnik. Leyk zeigte sich erstaunt über die Vielfalt der ostdeutschen textilen Volkskunst und über den Fleiß der Teilnehmerinnen, die all dies in einer knappen Woche geschafft hatten.
Die Werkwoche in Ostdeutschland geht stets mit einem festlichen gemeinsamen Abendessen zu Ende, bei dem noch einmal die Woche mit ihren Höhepunkten Revue passiert. Ein bißchen Weh- mut ist stets dabei ob der bevorstehenden Trennung - aber auch Hoffnung, daß nach dem für dieses Jahr von der Freundeskreis geplanten Sommerfest im nächsten Jahre wieder eine Werkwoche in Ostdeutschland stattfinden wird. Das alles und noch viel mehr ist Werkwoche in Ostdeutschland. U. L.
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