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Wenn man heutzutage in die Zeitungen schaut, die Nachrichten hört oder im Fernsehen Sendungen verfolgt, die sich mit Prognosen über die Zukunft beschäftigen, stößt man unweigerlich auf eines der Hauptprobleme: die Arbeitslosigkeit. Oft wird man an die Zeiten erinnert, die damals in den zwanziger Jahren herrschten und bis 1933 dauerten, als so viele, auch überwiegend junge Menschen, ohne Arbeit und Brot waren und stempeln gehen mußten. Ich erinnere mich noch sehr gut an Männer in den besten Jahren, die "aus dem Reich" gekommen waren und bettelnd vor unserer Tür standen. Sie erhielten dann einen Notgroschen, zumindest einen Teller Suppe und ein Stück Brot, damals in Heiligenbeil. Auf dem Lande sah man ständig durchziehende Leute, die nach Arbeit fragten und die eigentlich keine "Pracher" waren, wie wir damals die Landstreicher betitelten. Viele Seeleute aus meinem Heimatdorf Balga, die sonst in den Hafenstädten oder bei Reederei en beschäftigt waren, fanden sich wieder in unserem idyllischen Ort am Frischen Haff ein und gingen irgendwelchen Arbeiten nach, die mehr Notlösungen waren und ihnen wenig oder nichts einbrachten.
Da gab es einen Seemann, der Hunde dressierte, eine sprechende Elster besaß und sie auf Wunsch vorführte. Ein anderer übte sich in der Kunst der Bildhauerei und hatte schon einen ganzen Schuppen voller Statuen, die unser Interesse auf sich zogen. Andere bauten Boote zum Paddeln und Segeln oder Segelschlitten, oft zum Selbstkostenpreis. Dann gab es "Leistungssportler", die das ganze Haff durchschwimmen wollten und zuvor für Publikum sorgten, das auch Preise ausgesetzt hatte. Es gab natürlich auch Boxveranstaltungen, und Leute traten auf, die mit einem Handkantenschlag einen Ziegelstein durchhauen konnten.
In der Ernte fand dieser oder jener Arbeit bei den Bauern oder auf dem Gut. Trotz der allgemeinen Notlage gab es immer noch Sommergäste und Ausflügler, die unseren schönen Heimatort besuchten oder dort ihre Ferien verbringen konnten.
So kam es an den Feiertagen und im Hochsommer zu Stoßgeschäften in den Gasthäusern, in der Strandhalle und den Wirtshausgärten, so daß zusätzliche Aushilfen bei der Bedienung benötigt wurden.
Eines Tages kam ein Oberkellner aus dem Rheinland nach Balga, um nach Arbeit zu fragen. Er war gerade die mit hohen Birken gesäumte Chaussee von Groß Hoppenbruch entlang gekommen und hatte den malerischen Ort mit den hohen Tannen am Eingang betreten. Er war die Dorfstraße heraufgewandert bis zu der alten Ordensburg, wo Kastanien bis zum Signalberg hin an der Steilküste blühten. Er hatte den Blick über das silbrige Haff genossen. Er ging zurück durch das Dorf an den duftenden Fliederhecken vorbei, hinter denen friedlich dreinschauend behäbige Häuser standen. Die Ordenskirche aus alter Zeit schaute trutzig über das Land, und am nahen Dorfteich tummelten sich Enten, mit vielen kleinen Jungen herum. Um seinen Durst zu löschen, kehrte der arbeitslose Kellner im Dorfkrug ein.
An einem alten, rustikalen Tisch saßen drei oder vier Leute aus dem Dorf und redeten von den Zeiten, die nicht so gut waren, und politisierten ein bißchen. Auf einem Wandregal standen alte Bierkrüge und ein Teller mit der Aufschrift: "Sup Die voll und freet Die dick und hol de Fret von Politik!" Man kam ins Gespräch, und der Rheinländer ließ verlauten, daß er Arbeit suche, am liebsten natürlich in seinem erlernten Beruf als Kellner. In Anbetracht des zu erwartenden schönen Sommers und der damit auch sicher eintreffenden Strandbesucher und sonstigen Gäste konnte man Hilfe gebrauchen.
Kurzum - er wurde engagiert. Er bestellte sich daraufhin die Spezialität des Hauses: "Aal in Gelee". Überglücklich machte er sich danach noch auf einen Abendrundgang, den Hohlweg zum Haff hinunter und durch die duftenden Kiefern der Haffberge die Steilküste wieder hoch. Auf der Nehrung sah er die ersten Lichter aufleuchten. Vom Schloßberg her waren die ersten Sprosser zu hören, und auf dem Dach eines Bauernhauses klapperte noch ein Storch. Der Rheinländer war so zufrieden mit der Welt und im wahrsten Sinne mit Land und Leuten, daß am nächsten Morgen sein erster Gang zum Postamt war, um nach Hause ein Telegramm folgenden Inhalts zu senden: "Arbeit gesucht - Paradies gefunden."
Von Herzen würden wir heute so manch einem jungen Menschen wünschen, daß er solch ein Telegramm von der Arbeitssuche nach Hause senden könne.
Lieselotte Plangger-Popp: An der Gilge (Linolschnitt, 1938)
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