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Es gibt einen neuen Faktor der globalen Politik: die Demographie. Für Beobachter des Weltgeschehens war er schon immer gegeben, aber seit einigen Wochen ist er auch offiziell. Denn jetzt liegt der geopolitische Krisenbericht des amerikanischen Geheimdienstes CIA vor. Unter dem Titel "Global Trends 2015" führt er die Demographie als einen entscheidenden strategischen Faktor für die Macht- und Wirtschafts verhältnisse in der nächsten Dekade und auch schon in der laufenden an.
Zu lesen sind Auszüge aus dem Bericht im französischen Wochenmagazin "Valeurs Actuelles". Demnach schneidet Europa nicht gut ab. Verlängerung der Lebenszeit, immer weniger Kinder die Alterung der Gesellschaft, insbesondere in Italien, Spanien und Deutschland, werde zu einer Verknappung der Arbeitsplätze führen, weshalb man in Europa, so die Welt-Analyse der Amerikaner, die übrigens mit Hilfe von 15 großen politischen Stiftungen und Institutionen erstellt wurde, zum Mittel der massiven Einwanderung greifen wird.
Das wiederum dürfte, so die Studie weiter, zu erheblichen sozialen Konflikten bei den befreundeten Ländern in Europa führen.
Die Vorboten der großen Debatte über diese Entwicklung sind jetzt auf der politischen Bühne zu beobachten. Die CSU legte ihr Konzept für die Zuwanderung vor, der Deutsche Gewerkschaftsbund zog nach, und CDU und SPD nahmen zum Problem Stellung. Und siehe da, die SPD verhält sich genau so, wie die CIA es voraussagt. Es gehe um die Beibehaltung des Wohlstands, meinte Generalsekretär Müntefering und plädiert für eine nahezu unbegrenzte Einwanderung.
Er hat weder die strategische Tragweite noch das Konfliktpotential erkannt, aber auch die Zahlen und Ergebnisse der Forschung nicht durchdacht. Nach einem UN-Bericht müßten bis 2025 rund 160 Millionen Menschen in die EU einwandern, wenn man die Veralterung nur aufhalten will.
allein auf Deutschland entfiele dabei fast ein Drittel. Das wäre ein anderes Land, wenn all diese Menschen kämen. Und es ist zweifelhaft, ob diese Menschen auch die Beiträge leisten können und wollen, damit die Deutschen ihre Rente bekommen.
Die fortschreitende Alterung in Europa und die Folgen dieser Entwicklung für Wirtschaft und Gesellschaft sind hierzulande wie üblich Gegenstand des Streits zwischen den großen Parteien. Offenbar hat man nicht nur die strategische Tragweite, sondern auch die Notwendigkeit zum umfassenden Handeln kaum erfaßt. Zuwanderung allein löst das Problem nicht. Man kann "die Sache mit den Kindern" nicht nur den Ausländern überlassen. Sie passen sich schon in der zweiten Generation an und potenzieren dann den Alterstrend. Der demographische Faktor berührt die gesamte Gesellschaftspolitik. Darauf hat wiederholt auch das Bundesverfassungsgericht in der Begründung mancher Urteile, etwa zur Rente, jüngst zur Pflege oder seit Jahren zur Familienpolitik hingewiesen.
Statt dessen wird zugunsten von Tagesfragen und Randgruppen verdrängt. Und das seit Jahren und Jahrzehnten. Eine gigantische Verdrängungsmaschine rotiert seit den Tagen von Helmut Kohl. Die Zahlen der Enquete-Kommission "Demographischer Wandel" liegen seit Ende der achtziger Jahre auf dem Tisch. Kohl, Blüm, Dressler, Schröder und andere kümmerten sich nicht darum. Kinder sind Privatsache, lautete die herrschende Meinung. Seit Kinder rar und damit die Fundamente der Sozialsysteme rissig geworden sind, dämmert es der Politik: Demographie ist auch eine Staatssache, mithin eine Aufgabe der Politik.
Die CSU geht die Problematik nun in ihrem Gesamtzusammenhang an. Es ist spät. Der Zeugungsstreik der Deutschen hat mit der Verarmung der Familien zu tun, die auch im nun veröffentlichten ersten Armutsbericht der Bundesregierung erneut drastisch dokumentiert wird. Hier muß man ansetzen, übrigens nicht nur aus demographischen Gründen, sondern auch aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit. Die Debatte um die Zuwanderung greift zu kurz, wenn sie sich nur bei Quoten und Qualitäten der Zuwanderer aufhält. Ohne einen deutschen Beitrag wird das Problem nicht in den Griff zu bekommen sein. Das heißt: ein Familiengeld oder einen Erziehungslohn einführen, der jungen Menschen die Wahlmöglichkeit gibt, eine Zeitlang zwischen Familie und Erwerbsberuf zu wählen. Das bedeutet eine Strukturreform der Gesellschaft. Ohne den Willen zu dieser Reform wird es einen schleichenden Wandel geben.
Am Ende werden die Deutschen eine Minderheit im eigenen Land sein. Für Rotgrün ist das vielleicht die Erfüllung des Multi-Kulti-Ideals. Für Deutschland wäre es das Ende. In jedem Fall ist die Zuwanderungsfrage eine Frage nach der Zukunft und der Zukunftsfähigkeit der Deutschen.
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