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Die Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Hariri wirkte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Reaktionen hingegen passen in bekannte Muster: Die USA bezichtigen Syrien der "Destabilisierung" des Libanon und fordern einen sofortigen Abzug der syrischen Truppen. Damit steht Syrien als Schuldiger da - vor einer Weltöffentlichkeit, die viel zu wenig weiß, um das Spiel durchschauen zu können.
Tatsache ist zwar, daß Hariri - lange Zeit ein Schützling Syriens - zuletzt einen Abzug der Syrer verlangt hatte, doch das wäre ein allzu durchsichtiges Tatmotiv. Und zur Frage "cui bono?" - "wem nützt es?" - steht fest, wem es keinesfalls nützt: Syrien kann schon allein aus ökonomischen Gründen kein Interesse an der Destabilisierung des Nachbarlandes haben. Zieht Syrien jetzt ab, flammen alte Konflikte wieder auf - wenn nicht von selbst, dann um sie den Syrern in die Schuhe schieben zu können. Bleiben die Syrer, fällt es um so leichter, das anzuzetteln, was ein "Eingreifen" rechtfertigt.
Vergessen scheint, wie es überhaupt zur syrischen Präsenz in dem von Frankreich geschaffenen Kunstgebilde Libanon kam: Es waren libanesische Christen, die 1976, bald nach Beginn des Bürgerkriegs, die Syrer zu Hilfe riefen. Nach der israelischen Invasion 1982 und den Massakern, die christliche Milizen unter der Ägide von Ariel Scharon in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila verübten, wechselte Syrien allerdings die Seiten. Mußte es wohl.
Beendet wurde der libanesische Bürgerkrieg durch den Plan von Taif 1989. Abgesegnet von Arabischer Liga und Uno besorgten arabische Truppen die Entwaffnung der Milizen, wobei Syrien das Hauptkontingent stellte. Die syrische Präsenz von 40.000 Mann wurde allmählich auf heute 14.000 Mann reduziert, die aber nicht im ganzen Land verteilt, sondern in einem begrenzten Gebiet stationiert sind. Daß die Uno voriges Jahr den völligen Abzug verlangte, ist wohl nur als Demutsgeste Richtung USA zu werten - man kann eben nicht immer nur aufmucken.
Unbestreitbar ist, daß der libanesische Unmut über die syrische Präsenz deutlich zunimmt. Wer will schon fremde Truppen im Land - nämlich solche, die kein Geld ausgeben und keine "Arbeitsplätze sichern". Und sicher nützt Syrien seine Position auch zum eigenen Vorteil. Und daß die libanesische Regierung und Staatspräsident Lahud prosyrisch sind, hat ebenfalls nicht nur sicherheitspolitische Gründe: Bestimmte Klans profitieren mit - und andere nicht, daher deren Frust.
Entscheidend für den Stimmungswandel in der Bevölkerung ist aber, daß es heute eine sehr große Zahl syrischer Gastarbeiter gibt, die für Niedrigstlöhne arbeiten - und Arbeitsplätze wegnehmen. Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Fremdenfeindlichkeit - das klingt ja irgendwie vertraut. Bei einem Abzug der Truppen würde es wohl auch zu Ausschreitungen gegen syrische Zivilisten kommen.
Wie pharisäisch die weltweite Desinformations-Kampagne ist, zeigt sich auch daran, daß das Regime in Syrien zwar autoritär - aber keineswegs repressiver ist als das vieler sogenannter guter Freunde der USA. Die Armee ist miserabel bezahlt, das Material ist hoffnungslos veraltet, und von "Massenvernichtungswaffen" kann erst recht keine Rede sein. Die herrschende Baath-Partei (arab. "baath" = Wiedergeburt, Erneuerung) ist eine weltliche Partei, national und sozialistisch, aber nicht marxistisch-atheistisch. Jede Änderung des Systems würde zudem die Lage der Christen (etwa acht Prozent) verschlechtern - wie das jetzt im Irak der Fall ist und wie es im Libanon der Fall wäre, falls "Demokratie" den religiösen Proporz ablösen sollte. Richard G. Kerschhofer |
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