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Kapitalismus ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Im Kommunismus war es genau umgekehrt".
An diesem 1. Mai, "dem Kampftag der Werktätigen" des Jahres 2005 widerspiegelte diese Sottise die gesellschaftliche Diskussion in Deutschland. Der Duden nennt das eine "stichelnde Unsinnigkeit". Sie wurde als solche früher in den kommunistisch beherrschten Staaten Europas kolportiert. Doch mittlerweile ist der Kommunismus seit anderthalb Jahrzehnten als reale Gefahr für den Kapitalismus verschwunden. Damit wurde auch die Notwendigkeit für den Kapitalismus geringer, sich ein soziales Gewand zuzulegen, um dem Weltherrschaftsstreben des Kommunismus begegnen zu können.
Es liegt auf der Hand: Seit das Moskauer Machtzentrum des Kommunismus implodierte - und mit ihm seine Niederlassungen in seinen damaligen Satellitenstaaten - trat die von Ludwig Erhard politisch durchgesetzte soziale Komponente der Marktwirtschaft im Denken und Handeln von Teilen der kapitalistischen Funktionäre, der sogenannten "Manager", in den Hintergrund des wirtschaftlichen Geschehens.
Der Fortfall der realen Bedrohung des marktwirtschaftlichen Systems durch Moskau animierte in diversen Chefetagen besonders von Großunternehmen dazu, die jahrzehntelang praktizierte soziale Maskierung des Kapitalismus abzulegen und sich mit Massenentlassungen von Arbeitnehmern und Gewinnrekorden bei den Geldgebern an der Börse zu profilieren.
Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker - immer wieder gut für glatte, aber auch provozierende Äußerungen - beschrieb diese neue Lage wie folgt: "Der Sozialismus hat zur Zeit keine Konjunktur. Aber ob er seine Funktion als Pendant zum Kapitalismus definitiv beendet hat, bleibt abzuwarten. Er hat Entscheidendes zur Kritik und damit zur Korrektur von Auswüchsen des lernfähigen Kapitalismus beigetragen."
Hatte einst Karl Marx das Gespenst des Kommunismus entdeckt, hat jetzt der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering unter dem Druck des gegenwärtigen Wahlkampfes im Bundesland Nord-rhein-Westfalen und im Vorfeld der Bundestagswahl des Jahres 2006 mit der Wiederbelebung des sozialistischen Vokabulars das kapitalistische Gespenst in die politische Arena zurückgeholt, ganz nach dem Motto "von Marx zu Müntefering".
Dem SPD-Chef dienen diese Parolen zur populistischen Mobilisierung von Gefühlen. Seine Kritik am Wirken kapitalistischer Funktionäre wie Josef Ackermann von der Deutschen Bank (angekündigte Entlassungen von über 6.000 Menschen bei einer Rekord-Eigenkapitelrendite von 25 Prozent) und Klaus Esser (mit "goldenem Handschlag" abgefundener Ex-Mannesmann Chef) findet angesichts dieses Treibens Zustimmung in breiten Schichten der Bevölkerung.
Angesichts solcher Entwicklungen beklagt Müntefering die "wachsende Macht des Kapitals" und heizt die Stimmung an: "So etwas deprimiert die Menschen und raubt ihnen das Vertrauen in die Demokratie." Das alles habe mit sozialer Marktwirtschaft und Unternehmerethik "nichts zu tun" und sei "marktradikal und asozial". Bei Beteiligungsgesellschaften entdeckte er "Heuschreckenschwärme die über Unternehmen herfallen", sie "abgrasen und weiterziehen". Dem folgten Proskriptionslisten der "Geächteten" und prompt forderten sozialistische Nachahmungstäter Produktboykott kapitalistischer Unternehmen.
Während die Agitation Münteferings bei über zwei Dritteln der Wähler Zustimmung findet, ohne bisher der SPD in Umfragen zu nutzen, gab es bei den Wirtschaftsverbänden heftige Kritik: "Verantwortungslose Äußerungen von Politikern, die mit ihrem Latein am Ende sind" (Gesamtmetallchef Martin Kannegießer), "Im Wahlkampfrausch werden Arbeitsplätze verspielt" (Ludolf von Wartenberg vom Bundesverband der Deutschen Industrie) bis hin zu "Hetzkampagnen und Aufrufe zum Produktboykott schüren Ängste" (Präsident Ludwig Georg Braun vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag, DIHK).
Guido Westerwelle von der FDP griff Franz Münteferings Bild von den "Heuschrecken" auf und kündigte an, die Gewerkschaften nach einem Wahlsieg 2006 zu entmachten, deren Funktionäre "die wahre Plage in Deutschland" seien.
Der unvermeidliche Unternehmensberater Roland Berger meinte zur öffentlichen Anprangerung einzelner Wirtschaftsführer, man müsse sich nicht wundern, "wenn irgendwelche Verrückten schließlich RAF spielen". Er spielte damit auf die "Rote Armee Fraktion" deutscher Terroristen an, die vor drei Jahrzehnten 30 Morde verübten.
Realistischer ist wohl die resignierende Feststellung des CSU-Politikers Horst Seehofer, der im Handelsblatt sagte: "Die Reichen wurden reicher in den letzten Jahren und die Armen ärmer. Die großen Verlierer sind die Familien mit Kindern."
Doch selbst die konservative, sich wirtschaftsliberal gebende Tageszeitung Frankfurter Allgemeine schafft es nur zu einem Eiertanz, wenn sie von "wenigen schlechten Managern in Deutschland" spricht, die "ihre Bodenhaftung verloren haben" und die "Belegschaft und Aktionäre für ihre strategischen Fehlleistungen bezahlen lassen", während sie selbst "an ihren Sesseln kleben und Millionengehälter kassieren". Der Frontalangriff der SPD auf die Wirtschaft allerdings sei "überzogen" und diene nur der Erhaltung von Macht und Mandat der Genossen.
Realistischer ist da schon, was John Kenneth Galbraith, der Volkswirtschaftsapostel amerikanischer Lebensart, schon früher festgestellt hat: "Es liegt in der Natur des Kapitalismus, daß es periodisch zu Ausbrüchen des Wahnsinns kommt."
Daran reiht sich Klaus Schwab an, der feststellt: "Nach der Selbstzerfleischung des kommunistischen Systems laufen wir nun Gefahr, daß der Kapitalismus zwar sich nicht selbst zerstört, dafür aber die moralischen Grundlagen unserer menschlichen Existenz." |
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