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Bald neuer Wind in Kiel?

 
     
 
Herr Carstensen, welche Hauptziele haben Sie sich gesetzt, falls Sie im Februar 2005 nach gewonnener Landtagswahl als Ministerpräsident die Regierungsgeschäfte in Schleswig-Holstein übernehmen können?

Carstensen: Der Scherbenhaufen, den die rot-grüne Regierung Simonis hinterläßt, wird nicht über Nacht aufzukehren sein. Es wird Jahre geduldiger Aufbauarbeit
bedürfen, bis Schleswig-Holstein wieder Anschluß an die erfolgreichen Bundesländer findet. Wir brauchen hier eine Generalreform. Wir müssen Schule und Bildung wieder fit machen für die Zukunft. Wir müssen die Jugend wieder besser ausbilden für ihr Berufsleben. Die Unterrichtsversorgung muß verbessert werden. Im Bereich der Wirtschaftspolitik muß die Stärkung und Förderung des Mittelstandes der zentrale Punkt sein, damit die mittelständische Industrie, das Handwerk, der Einzelhandel, die Dienstleister, die Freiberufler wieder zuversichtlicher nach vorn schauen, wieder investieren und die hier weitverbreitete Zukunftsangst überwinden. Und selbstverständlich müssen wir das Problem der Arbeitslosigkeit energisch anpacken. Überlegen Sie nur, wo wir heute in bezug auf die Finanzhaushalte stünden, wenn auch nur die Hälfte der Arbeitslosen wieder arbeiten könnte und, statt Leistungen zu empfangen, wieder Beiträge zahlen könnte.

Die Sanierung des Landeshaushalts, so sagten Sie mehrmals, sei die Voraussetzung für die Gesundung Schleswig-Holsteins. Wie soll diese Sanierung konkret aussehen?

Carstensen: Die Haushaltssituation Schleswig-Holsteins ist katastrophal. Die Zinsausgaben steigen 2004 auf 904 Millionen Euro. Mit 1,2 Milliarden Euro Kreditaufnahme wurde 2003 die in Artikel 53 der Landesverfassung gesetzte Grenze um 608 Millionen Euro überschritten, für 2004 um 735,5 Millionen Euro. Das ist unverantwortlich! Wir werden den Haushalt schrittweise sanieren - über die Reduzierung von Staatsaufgaben und damit auch von Personal. Wir werden Behörden wie zum Beispiel die Datenzentralen oder die statistischen Ämter mit unserem Nachbarland Hamburg zusammenlegen. Privatisieren werden wir die Straßenbauämter und das Veterinärwesen. Die Zahl der Landesbeauftragten wird reduziert und das Dickicht von Förderungen verschiedenster Art ausgedünnt werden. Ich bin mir aber darüber klar, daß die Haushaltssanierung mehrere Legislaturperioden in Anspruch nehmen wird.

In mehreren Reden haben Sie betont, die Entwicklung der Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein sei schlechter, als die bekanntgegebenen Zahlen belegen. Worauf begründet sich Ihre Überzeugung?

Carstensen: Die sonst übliche Frühjahrsbelebung fiel diesmal aus. Zwar sank nach offiziell bekanntgewordenen Daten die Zahl der Arbeitslosen in Schleswig-Holstein um 4.400 auf 143.800. Aber seit Jahresbeginn 2004 werden die Teilnehmer an kurzen Trainingskursen in der offiziellen Arbeitslosenzahl nicht mehr in der Statistik ausgewiesen. Insgesamt verringerten sich die Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein also 2003 um 18.000 auf 783.000. Die reale Arbeitslosenquote in unserem Land liegt bei 12,6 Prozent. Wenn dieses eindringliche Alarmzeichen zum Gegensteuern weiter überhört wird, haben wir im nördlichsten Bundesland bald ebenso viele Menschen ohne Arbeit wie in den neuen Bundesländern.

Eines Ihrer wichtigsten Anliegen ist der Bürokratieabbau ...

Carstensen: Ohne Zweifel. Die Bürokratie hat sich wie Mehltau über unser Land gelegt. Die Regierung Simonis redet zwar auch von Bürokratieabbau. In Wirklichkeit ufert die Bürokratie aber immer weiter aus. Eine CDU-geführte Landesregierung wird deshalb eine tiefgreifende Reform der öffentlichen Verwaltung in Gang setzen und überall dort staatliche Reglementierungen abbauen, wo dies überhaupt denkbar ist.

Was erhoffen Sie als Schleswig-Holsteiner von der Osterweiterung der Europäischen Union?

Carstensen: Als Ostseeanrainerland verbindet sich mit dem Beitritt von Polen, Litauen, Lettland und Estland für Schleswig-Holstein eine Vielzahl von Chancen. Der ansteigende Handel mit diesen Ländern bietet vielen Firmen und auch den Ostseehäfen Schleswig-Holsteins neue Entwicklungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite müssen wir dafür Sorge tragen, daß durch bestmögliche Ausbildung in Industrie und Handwerk, Reduzierung der Lohnnebenkosten sowie flexible Arbeitszeiten und Löhne die Abwanderungsgedanken so mancher Unternehmen nach Osten ausgeräumt werden. Ohne vielfältige Produktion kann die Arbeitsplatzlage nicht verbessert werden.

Die tschechische Regierung und das tschechische Parlament lehnen es bisher ab, sich von den Benesch-Dekreten zu distanzieren, die die Ausweisung von drei Millionen Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei zur Folge hatten. Stört das die europäische Aussöhnung?

Carstensen: Die Entscheidung des tschechischen Parlaments, Edvard Benesch ausdrücklich zu bestätigen, er habe sich "für den Staat verdient gemacht", hat in der Tat nichts mit der angestrebten europäischen Aussöhnung zu tun. Daß auch in der Republik Tschechien sich versöhnliche Töne zeigen, hat der nachfolgende Beschluß des Tschechischen Senats gezeigt, diese Ehrung durch das Parlament nicht mitzutragen. Wie weit die Meinungen in Tschechien aber weiterhin auseinandergehen, zeigt, daß das Parlament in Prag sich über das Veto der zweiten Kammer hinwegsetzte. Die tschechisch-deutsche Aussöhnung ist noch ein langer Weg.

Wie stehen Sie zum "Zentrum gegen Vertreibungen"?

Carstensen: Angela Merkel hat sich sowohl als Parteivorsitzende als auch als Fraktionsvorsitzende im Bundestag mehrmals für die Errichtung eines "Zentrums gegen Vertreibungen" ausgesprochen. Gegenwärtig wird über die Finanzierung nachgedacht. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat beschlossen, auch die Länder um finanzielle Unterstützung zu bitten. Die CDU stützt und fördert die Idee und ist der Überzeugung, daß ein solches Zentrum nach Berlin gehört und nicht irgendwo in die Provinz. Die Bundesregierung in Berlin hat im Juli 2002 beschlossen, ein "Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen" einzurichten. Geschehen ist bisher nichts, weil die Mehrheit von Rot-Grün nicht mit dem Herzen dahintersteht.

Haben Sie schon jetzt eine Erwartungshaltung für das Landtagswahlergebnis?

Carstensen: Unser letztes Kommunalwahlergebnis war eine Sensation. 50,8 Prozent für die CDU, 29,3 Prozent für die SPD - so könnte es meinetwegen bleiben. Doch Spaß beiseite. Mir ist völlig klar, daß bis zur Wahl noch viel Wasser die Elbe herunterfließt. Wir werden einen geschlossenen Wahlkampf führen, mit einem detaillierten, auf die Zukunft ausgerichteten Programm und einer kompetenten Mannschaft. Dann hat der Wähler zu entscheiden.

Wenn es zur absoluten Mehrheit am 20. April 2005 nicht reicht, erstreben Sie eine Koalition mit der FDP. Gibt es nicht ein gespanntes Verhältnis zwischen Ihnen und Herrn Kubicki?

Carstensen: Es ist richtig, daß die FDP in letzter Zeit mit uns sehr ruppig umgegangen ist. Doch ich überbewerte das nicht. Die FDP hat verständlicherweise einige Angst, in einem zugespitzten Wahlkampf Carstensen/Simonis Federn zu lassen. Deshalb möchte sie sich ein möglichst unabhängiges Profil verschaffen. Wie ich Herrn Kubicki kenne, weiß er jedoch genau, daß seine Partei, wenn das Wahlergebnis dementsprechend ausfällt, nur mit uns eine Chance zur Regierungsbildung hat.

Könnten Sie sich ein Bündnis mit den Grünen vorstellen?

Carstensen: Auf der kommunalen Ebene kann ein schwarz-grünes Bündnis durchaus eine Möglichkeit sein. In Kiel wird es jetzt seit einem Jahr erfolgreich praktiziert. Voraussetzung ist immer, daß die Realisten dominieren, und nicht die Ideologen. In bezug auf die Landespolitik sind die grünen Positionen, zum Beispiel in der Bildungspolitik, so weit von uns entfernt, daß eine Koalition undenkbar ist.

Die rot-grüne Landesregierung gibt keinen Pfennig mehr aus für die Pflege der Kultur des alten Ostdeutschland, Schlesien und Pommern. Werden Sie das ändern?

Carstensen: Daß das Erbe von Kant und Herder, von Agnes Miegel und Fanny Lewald, von Kopernikus und Eichendorff, von Corinth, Holz oder Wiechert der Förderung wert ist, ist für mich selbstverständlich. Über die Höhe der Förderung muß 2005 der Landtag nach den Haushaltsmöglichkeiten entscheiden. Daß der Haushaltsspielraum dafür begrenzt ist, muß ich nicht betonen.

Rüttelt am Stuhl von Heide Simonis: Peter Harry Carstensen
 
     
     
 
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