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Seit über einem Monat ist die Leipziger Buchmesse 2004 Geschichte. Vergessen dürfte sie deshalb noch lange nicht sein, denn in den Köpfen der über 100.000 Besucher - eine neue Rekordzahl - ist sie mit nach Hause getragen worden, die unendlich sprudelnde Wunderwelt aus der Quelle "Gutenberg" mit ihren schönen Gestalten und aufregenden Geschichten, mit dramatischen Bildern, Träumen und Gedanken, mit Texten und Ereignissen der Vergangenheit und Zukunftsentwürfen aus dem Reich der ewigen Wiederkehr.
Das Buch erweist sich auch im Zeitalter elektronischer Massenunterhaltung nach wie vor als die große Alternative zu allem, wenn es darum geht, im eigenen Kopf Funken zu schlagen, aus 26 Buchstaben ganze Welten zu imaginieren, intime Beziehungen mit dem Geist schlechthin aufzunehmen. Und daran ändert nicht einmal die leider unbestreitbare Tatsache etwas, daß auch das Buch in unseren Tagen mehr denn je als Massenware den Markt beherrscht: Krimis bis zum Abwinken, steindumme "Wit-zischkeit", Platitüdeninflation aus Moderator en- und Politikerbüros - zwischen zwei Deckel gepreßt, wuchern sie wie Unkraut in den Buchhandlungen empor. Das Gedicht, allerdings, zarteste wie haltbarste aller Literaturformen, findet sich im hintersten Regal. Oder selbst das nicht einmal.
Auch deswegen gibt Leipzig dem Buch und seinem Autor als Doppelcharakter doppelt Spiel-Raum: in Verlagspräsentationen am Stand und den Literaturarenen der Stadt, in Sälen, Zimmern und Kneipen, auf Plätzen. Das reine Geschäft mit dem Buch bleibt zwar nicht außen vor, aber zweitrangig schon. Der Blick wird frei für Erstrangiges.
Dazu gehört das Buch als Kunstwerk: "Wie Feste" sollten sie sein, beschwor einst der große Tagebuchschreiber und Bücherfreund Harry Graf Kessler die gebildete Welt seiner Zeit, "leicht und reich und hell innen und außen". 1913 gründete er in Weimar seine legendäre Cranach-Presse. Ihre Titel verwandelten Texte von Shakespeare oder Vergil mit Hilfe von feinstem Papier, handgesetzten Seiten und Illustrationen von Maillol oder Edward Gordon Craig in schönheitskultische Ereignisse. Kessler verstand sein ästhetisches Programm zugleich als bewußten Affront gegen Massenprodukte für Massengeschmack. Bis 1937 konnte der kunstsinnige Graf durchhalten; im Jahr seines Todes starb auch seine Cranach-Presse. Der Bibliomane hatte sich mit ihr zwar ein kulturelles Denkmal gesetzt, ökonomisch jedoch ruiniert. Kesslers Idee aber lebt ungebrochen weiter. Eine ihrer blühenden Zweige von heute heißt Mariannenpresse.
Die nunmehr 114. Edition der in Berlin beheimateten Buchkunstwerkstatt hat soeben unter dem Titel "Im Koffer nur Steine" drei Erzählungen des aus Erfurt stammenden, aber seit langem in Berlin lebenden Autors Jürgen K. Hultenreich veröffentlicht. Jede dieser Geschichten, in schnörkel-los-nüchterner Roundet Light auf dreiblättrigen Leporellos gesetzt, wird abgeschlossen und eröffnet von Siebdrucken Hans Hendrik Grimmlings.
Grimmling, ein Jahr älter als der 1948 geborene Hultenreich, stammt wie er aus der ehemaligen DDR. Beide verließen Mitte der 80er Jahre nach Repressionserfahrungen die SED-Diktatur. Grimmlings Arbeiten - dunkle, alptraumartige Ding-Szenen, die wie düstere Gewölbe über einer Serie von Atelierfotos (von Gudrun Vogel) hängen - zeigen sich als Metakommentar schwärzesten Humors zu den sarkastisch-makabren Geschichten Hultenreichs. Der führt uns noch einmal in die kafkaeske Welt der Diktatur der Mediokren, die insofern aber nur scheinbar untergegangen ist, als sie eine Potenz der Gattung Mensch bleibt. Auch deshalb meiden die Geschichten jede Historisierung. Die Stoff- und Farbschwere der Texte und Bilder wird dabei aufgehoben durch eine federleichte dunkelrote Kassette, in der der Leser die Leporellos überreicht bekommt. Es geht etwas Japanisches von diesem Buchkunstwerk aus, etwas Hochsymbolisches, das mit der Illusion unbeschwerter Existenz ernsthaft spielt.
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