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Dem Ergebnis der Volksabstimmung vom 21. Mai Rechnung tragend, erklärte sich Montenegro am 3. Juni auch formell für unabhängig. Der neue Staat wurde bereits von Rußland, der EU, den USA und etlichen anderen offiziell anerkannt. Die Auflösung des von der EU erzwungenen Staatenbunds mit Serbien scheint – ähnlich wie der Zerfall der Tschechoslowakei – unblutig zu verlaufen. Alleiniger Rechtsnachfolger des Bundes ist Serbien, Montenegro muß sich selber um Aufnahme in international e Organisationen bemühen. Montenegro hat bereits bei der Nato angefragt – wohl nicht aus Sicherheitserwägungen, sondern weil Nato-Stützpunkte Devisenbringer sind. Und Montenegro hat auch der Nato etwas zu bieten, nämlich die Bucht von Kotor, die einst Hauptstützpunkt der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine war.
Es war unschwer vorauszusagen, daß die Ereignisse in Montenegro Auswirkungen auf die Nachbarschaft haben würden – eben deshalb hatten ja die „Europäer“ bis zuletzt die Unabhängigkeit Montenegros zu verhindern getrachtet. Prompt meldeten sich die Serben in Bosnien-Herzegowina zu Wort und beriefen sich ebenfalls auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Milorad Dodik, Ministerpräsident der „Republika Srpska“, sprach sogar von einem Referendum nach dem Muster Montenegros. Seit dem Abkommen von Dayton 1995 besteht Bosnien-Herzegowina aus der „Republika Srpska“ und der „Bosnisch-Kroatischen Föderation“, ist de facto aber ein Protektorat, in dem der „Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft“, derzeit der Deutsche Christian Schwarz-Schilling, alle wesentlichen politischen und personellen Entscheidungen der lokalen Behörden genehmigen muß und aufheben kann. Dodik mußte daher gleich wieder einen Rückzieher machen, um nicht abgesetzt zu werden. Schwarz-Schilling wies ihn mit der Behauptung zurecht, daß die Republika Srpska weder mit Montenegro noch mit Kosovo vergleichbar sei. Was er natürlich nicht sagte: Wenn die Serben in Bosnien-Herzegowina Selbstbestimmung fordern, werden das die dortigen Kroaten ebenfalls tun – und was sollte dann mit den muslimischen Bosniaken geschehen?
Aber da ist noch etwas: So wie die Grenzen der Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf von Stalin gezogene Republikgrenzen zurückgehen, dürfen auch in Jugoslawien nur die von Tito gezogenen Republikgrenzen zu Staatsgrenzen werden. Jede Änderung dieser ohne Rücksicht auf Völker gezogenen Grenzen wird als „Gefährdung der Nachkriegsordnung in Europa“ angesehen. Und daher darf es höchstens ein Selbstbestimmungsrecht von „Bevölkerungen“ geben – in existierenden Grenzen, siehe Montenegro.
Mittlerweile trat auch Carla del Ponte, Chefanklägerin in Den Haag, wieder auf den Plan. Mit einem Rundumschlag, denn sie übte nicht nur heftige Kritik an Serbien, weil Mladic und Karadzic noch immer nicht festgenommen und ausgeliefert wurden, sondern auch an Rußland, wo sich ein paar der als Kriegsverbrecher Gesuchten aufhalten sollen, und – man höre und staune – sogar an der UNMIK, der Uno-Verwaltung im Kosovo!
Es mag Zufall sein oder auch nicht: Zwei Tage nach del Pontes Kritik an der UNMIK wurde bekannt, daß der Däne Sören Jessen-Petersen, seit knapp zwei Jahren Chef der UNMIK, von seinem Amt zurücktritt – „aus familiären Gründen“. Er war der fünfte UNMIK-Chef seit 1999. Während seine Amtsvorgänger – der Franzose Kouchner, der Däne Haekkerup, der Deutsche Steiner und der Finne Holkeri – durchweg von unrealistischen Annahmen und Postulaten ausgegangen waren und dementsprechend agiert hatten, war er der erste Pragmatiker in dieser Funktion und kann eine durchaus beachtliche Bilanz ziehen.
Optimisten meinen, es würde sich gar nicht mehr lohnen, einen Nachfolger zu suchen, weil die Wiener Kosovo-Verhandlungen in ein paar Monaten abgeschlossen sein könnten. Da aber selbst nach der sechsten Verhandlungsrunde noch in keiner auch nur annähernd wichtigen Frage Übereinstimmung erzielt wurde, scheint Pessimismus eher angebracht. Sollte aber wieder einmal eine Lösung oktroyiert werden, würde das eine begrenzte Souveränität des Kosovo bedeuten und – wie in Bosnien – auch weiterhin eine massive „internationale“ Präsenz erforderlich machen.
Serben wollen auch ihre Eigenständigkeit |
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